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Politik

Ein Hoch auf Whistleblower

Kommentarbild Muno Martin
Martin Muno
4. Oktober 2021

Facebook wurde zuletzt von immer wieder neuen Anschuldigungen belastet. Jetzt ist klar, wer dahinter steckt: die ehemalige Mitarbeiterin Frances Haugen. Ihr gebührt unser aller Respekt, meint Martin Muno.

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Frances Haugen im Interview mit CBS-Reporter Scott Pelley
Am Sonntag wurde das Interview mit der früheren Facebook-Mitarbeiterin Frances Haugen vom Sender CBS ausgestrahltBild: Robert Fortunato/CBS News/60 Minutes via AP/picture alliance

Seit mehreren Wochen rumort es wieder beim immer noch größten sozialen Netzwerk der Welt. Eine Artikel-Serie im 'Wall Street Journal' zeigte haufenweise Missstände bei Facebook auf.

So gelten die strikten Veröffentlichungs-Regeln für die Besitzer von 5,8 Millionen sogenannter VIP-Accounts nur bedingt. Der Fußballstar Neymar konnte zum Beispiel Nacktfotos einer Frau veröffentlichen, die ihn beschuldigt hatte, sie vergewaltigt zu haben. Die Moderatoren durften den Post nicht löschen - erst eine übergeordnete Stelle ordnete dies an. Inzwischen hatten aber rund 56 Millionen Nutzende den Post gesehen.

Depressionen dank sozialer Medien

Am meisten Aufregung verursachte allerdings ein Artikel, in dem es um schädlichen Einfluss von Instagram auf die psychische Gesundheit von Jugendlichen ging. In einer internen Studie kam Facebook zu dem Schluss, bei zahlreichen Teenagern - vor allem Mädchen - verstärke Instagram die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper. Und das sorge für Essstörungen und Depressionen. Diese Erkenntnisse habe das Facebook-Management bewusst zurückgehalten.

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DW-Redakteur Martin Muno

Facebook tat das, was es auch bei anderen Anschuldigungen tut: das Unternehmen wiegelte ab - legte aber gleichzeitig seine Pläne für eine Instagram-Kids-Version für Zehn- bis Zwölfjährige auf Eis.

Seit dem Wochenende ist klar, wer hinter den Enthüllungen steckt: Frances Haugen, eine Datenwissenschaftlerin, die von 2019 bis 2021 für Facebook arbeitete. Sie trat im US-Fernsehen auf und erhob heftige Vorwürfe gegen den ihren ehemaligen Arbeitgeber. Ihre Kernaussage: Facebook sei in dem Interessenskonflikten "zwischen dem was für die Öffentlichkeit gut ist und was für Facebook gut ist" gefangen. Der Konzern habe sich dabei "immer wieder dafür entschieden, seine eigenen Interessen zu optimieren". Die Anschuldigungen belegte sie mit internen Dokumenten. Ihr Fazit: "Diese Version von Facebook zerreißt unsere Gesellschaft und verursacht Gewalt in der Welt."

Ein mutiger Schritt

Haugen soll am Dienstag vor dem US-Kongress aussagen. Sie beantragte nun offiziell Schutz als Whistleblowerin, um sich vor einer Klage ihres ehemaligen Arbeitgebers zu schützen.

Wie mutig ihr Schritt ist, zeigen die Parallelen mit anderen Whistleblowern: Edward Snowden, der zutiefst verstörende Einblicke in das Ausmaß der globalen Überwachungspraktiken von Geheimdiensten und damit die NSA-Affäre auslöste, lebt seit Jahren im russischen Exil. Eine Familie, die ihn 2013 vor den US-Behörden versteckte, erhielt vor wenigen Tagen Asyl in Kanada.

In unserem ureigensten Interesse

Ebenfalls vor ein paar Tagen wurde bekannt, dass der US-Regierung unter Präsident Donald Trump erwogen haben soll, den Gründer der Whistleblower-Plattform Wikileaks, Julian Assange, ermorden zu lassen. Assange sitzt seit mehr als zwei Jahren in britischer Haft. Ihm droht die Auslieferung in die USA.

Nicht nur die Geschichte dieser Menschen zeigt, dass Whistleblower keineswegs egomanische Verräter oder Nestbeschmutzer sind. Auch die Enthüllungen der Pandora Papers wäre ohne sie nicht möglich gewesen. Wenn - und nach allem Anschein ist dies der Fall - die Anschuldigungen Haugens eine sachliche Grundlage haben, sollte sie unbedingt geschützt werden. Auch in unserem ureigensten Interesse.

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Martin Muno Digitaler Immigrant mit Interesse an Machtfragen und Populismus