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ErnährungssicherheitÄthiopien

Äthiopien: Tigray kämpft mit extremer Hungersnot

Million Haileselassie
16. Dezember 2023

In der Region Tigray herrscht eine verheerende Hungersnot. Die Folgen des Krieges und die Dürre bringen insbesondere die älteren Menschen in Lebensgefahr.

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Äthiopien: Eine Frau sucht Getreidereste vom Boden auf
In Ätiopien hält die schwere Dürre an und Menschen kämpfen ums ÜberlebenBild: Million Haileselassie Brhane/DW

Im Dorf Atsbi im Osten der Region Tigray versucht der 70-jährige Gebremariam Hagos, die restlichen Körner der extrem schlechten Ernte dieses Jahres zu sammeln. "Wir verbringen unsere Tage damit, wie Vögel nach Körnern zu suchen", sagt er.

Der Vater von fünf Kindern lebt jetzt allein im Haus seiner Familie. Seine Frau und Kinder sind in andere Teile der Region ausgewandert, um der Krise zu entkommen. "Dies ist eine Hungersnot, wir hungern", betont er im DW-Gespräch. "An manchen Tagen kann ich etwas zu Essen finden. An anderen Tagen gehe ich mit leeren Magen ins Bett. Was können wir tun? Wohin können wir gehen?"

Äthiopien | Tigray | Hungersnot
Gebremariam Hagos versucht in seinem Haus im Dorf Atsbi, mit Getreideresten zu überlebenBild: Million Haileselassie Brhane/DW

Die Zurückgebliebenen

Seit dem Ausbruch des Tigray-Kriegs im November 2020 leidet Nordäthiopien unter akuter Nahrungsmittelknappheit. Neben dem bewaffneten Konflikt, bei dem rund 600.000 Menschen starben, haben Heuschreckenplagen und eine anhaltende Dürre am Horn von Afrika die Krise verschärft. Während eines Großteils des Krieges stand die Region zudem unter einer Blockade, die die humanitäre Hilfe praktisch zum Erliegen brachte.

Die Hungersnot hat sich inzwischen auf mindestens zwölf Bezirke in Tigray ausgeweitet. In vielen Teilen des Bezirks Atsbi Wenberta sind auch Flüsse und andere Gewässer versiegt. Nach Angaben der Bezirksverwaltung sind allein in den letzten drei Monaten 111 Menschen an den Folgen des Hungers gestorben. In einem anderen nahe gelegenen Bezirk, Abergele, sind nach Angaben der örtlichen Behörden 76 Menschen ums Leben gekommen.

Dorfbewohner Gebremariam Hagos steht auf einem Hügel und schaut über sein dürres Farmland
Dorfbewohner Gebremariam Hagos blickt auf seine Farm: Die Dürre hat die Ernte extrem schlecht ausfallen lassenBild: Million Haileselassie Brhane/DW

Als sich die Bedingungen verschlechterten, verließen viele junge, arbeitsfähige Menschen das Gebiet. Doch die meisten älteren Menschen sind geblieben. Fittsum Woldegabriel, 65, erzählt der DW, dass es in ihrer Gegend im letzten Winter nur zweimal geregnet hat - so etwas hat sie noch nie erlebt. "Nichts, was wir gepflanzt haben, hat irgendeine Ernte eingebracht", sagte sie.

"Von einer solchen Hungersnot habe ich noch nie gehört, seit meine Mutter mich zur Welt gebracht hat. Wenn es früher ein Problem gab, ging man irgendwo hin und bettelte um etwas zu Essen. Jetzt haben wir nicht einmal mehr die Energie, um abzuwandern."

Gebremariams einzige Hoffnung  besteht jetzt darin, Unterstützung von außen zu erhalten. "Wenn es uns gelingt, Hilfe zu bekommen, werden wir essen und leben. Wenn nicht, werden wir tragisch sterben."

Anwohner fordern mehr Hilfe

Unter den Einwohnern wächst die Frustration über die ihrer Meinung nach unzureichende Reaktion auf die Krise - sowohl auf lokaler als auch auf internationaler Ebene. Nach Angaben der nach dem Krieg eingesetzten Interims-Regionalverwaltung (IRA) von Tigray sind rund zwei Millionen Menschen in Tigray vom Hungertod bedroht, weitere 5,2 Millionen benötigen Nahrungsmittelhilfe.

Der Bezirksgouverneur von Atsbi Wenberta, Mezgebe Girmay, warnt, dass die Situation schnell außer Kontrolle geraten könne. "Wir haben 97.000 Einwohner in diesem Gebiet und etwa 82.000 befinden sich in einer Notsituation", sagte er der DW.

"Wir befinden uns hier in einer Krise, die Menschen sterben vor unseren Augen. Regierungen und Nichtregierungsorganisationen müssen Verantwortung übernehmen und alles tun, was sie können, um das Leid zu lindern."

Landrat Mezgebe Girmay for einem Dorfschild im DW-Interview
Bezirksgouverneur Mezgebe Girmay warnt: Immer mehr Menschen seien vom Hungertod bedrohtBild: Million Haileselassie Brhane/DW

Die US-Agentur für internationale Entwicklung (USAID) soll noch in diesem Monat die Lieferungen von Nahrungsmittelhilfe in ganz Äthiopien wieder aufnehmen, nachdem sie das Programm vor fünf Monaten wegen eines Korruptionsprogramms lokaler Beamter gestoppt hatte. Die äthiopische Regierung hat seitdem "operativen Änderungen" bei der Verteilung der Hilfsgüter zugestimmt.

Auch das Welternährungsprogramm (WFP) hatte die Verteilung von Nahrungsmitteln im Juni dieses Jahres unterbrochen, bevor es sie im Oktober wieder aufnahm. Das Programm gibt an, nun direkt mit den Gemeinden zusammenzuarbeiten, um die Bedürftigsten zu ermitteln und sie digital zu registrieren, damit die Hilfe genauer verfolgt werden kann.

Eine gemeinsame Studie der örtlichen Gesundheitsbehörden und der Universität Mekelle, die im September veröffentlicht wurde, geht davon aus, dass mindestens 1329 Todesfälle in Tigray auf Hunger zurückzuführen sind, nachdem die Nahrungsmittelhilfe gekürzt wurde.

Aus dem Englischen adaptiert von Martina Schwikowki.