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Äthiopien macht Jagd auf Homosexuelle

Martina Schwikowski
17. August 2023

Der Hass auf die LGBTQ-Community sitzt tief in Äthiopiens Gesellschaft. Die Behörden haben nun die Verfolgung von Homosexuellen verschärft und rufen Bürger zur Mithilfe auf.

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Äthiopien | Straßenszene in Addis Abeba
Straßenkreuzung in Addis Abeba (Archiv): Tabu HomosexualitätBild: Sergi Reboredo/VWPics/IMAGO

"Als Äthiopier queer und ganz real Teil der LGBTQ-Community zu sein, bedeutet, dass man in Äthiopien nicht Existent ist", sagt Faris Cuchi Gezahegn und bringt das Gefühl vieler anderer Betroffener auf den Punkt. Die Angst von Schwulen, Lesben und Bisexuellen, Transpersonen und anderen Angehörigen sexueller Minderheiten vor Verfolgung ist so groß, dass einige ins Ausland fliehen.

Gezahegn bezeichnet sich selbst als non-binär, hat die LGBTQ-Aktivistengruppe "The House of Guramayle" in Äthiopien mitgegründet und musste ebenfalls aus dem Land im Nordosten Afrikas fliehen. Nun lebt Gezahegn in Wien und arbeitet von Österreich aus mit anderen zusammen, die Zuflucht in London und Washington gefunden haben. Aus dem Exil kämpfen sie für ihre Anerkennung und gegen den Hass in Äthiopien, der sich gerade in den vergangenen Tagen dort in einer neuen homophoben Welle zeigt.

"Abscheuliche Handlungen verbieten"

Die Behörden der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba haben vergangene Woche ein hartes Vorgehen gegen gleichgeschlechtliche Aktivitäten in Hotels und Bars angekündigt. Die Bevölkerung wurde aufgefordert, solche "abscheulichen" Handlungen der Polizei zu melden.

Das sogenannte "Büro für Frieden und Sicherheit in Addis Abeba", eine Regierungseinrichtung, teilte mit, man habe bereits eine Razzia in einem Gästehaus in Addis Abeba durchgeführt, nachdem ein entsprechender Hinweis eingegangen sei. Der Geschäftsführer wurde festgenommen.

Äthiopien | Stadansicht von Addis Abeba
Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba: "Abscheuliche" Handlungen?Bild: Tiksa Negeri/REUTERS

Faris Cuchi Gezahegn spricht von einem koordinierten und organisierten Angriff, der stark politisch motiviert sei, "um die Aufmerksamkeit von den aktuellen Ereignissen abzulenken". Mit "aktuellen Ereignissen", von denen Gezahegn im DW-Interview spricht, sind der erneute Gewaltausbruch im Land und die Reaktion der Regierung von Premierminister Abiy Ahmed gemeint.

Wegen tagelanger Gefechte der Armee mit aufständischen Milizen der Fano-Gruppe in der Amhara Region wurde am 4. Augst der Ausnahmezustand in Äthiopien verhängt. Auslöser der Gewalt war die Ankündigung der Regierung, örtliche Milizen aufzulösen und in die Streitkräfte des Landes zu integrieren. Äthiopien ist also erneut in einem Unruhezustand und das, obwohl es erst im November gelungen war, den zweijährigen Bürgerkrieg in der Region Tigray mit einem Friedensvertrag zu beenden.

Von der Familie überwacht

Nach Ansicht von Gezahegn ist die aktuelle Jagd auf Homosexuelle eine Nebelkerze der Regierung: "Wir werden als Spielball benutzt!" Ziel sei, von den politischen Spannungen abzulenken.

Die Behörden können sich allerdings auf die bestehende Rechtslage beziehen: Gleichgeschlechtlicher Sex ist in Äthiopien sowohl Männern als auch für Frauen verboten und kann mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft werden.

"Homosexualität in Äthiopien ist nicht nur ein Tabu, sondern es ist gleichgesetzt mit Kriminalität oder Mord", sagt die aus Äthiopien stammende DW-Redakteurin Azeb-Tadesse Hahn.

Früher habe man über Homosexualität überhaupt nicht offen gesprochen. Gleichgeschlechtliche Liebe wurde als Teufelszeug verdammt. "Heute sagen die Leute: 'Es ist nicht unsere Kultur, Homosexualität ist in Äthiopien nicht akzeptabel, es ist eine Sache von westlichen Ländern'."

 Faris Cuchi Gezahgen
Faris Cuchi Gezahgen: "Als Spielball benutzt!"Bild: Ina Aydogan

Faris Cuchi Gezahegn verurteilt die Eskalation scharf: "Es ist wirklich so, dass diese gesellschaftliche Mentalität und dieses Denken bis in die Familien hineinreicht." Äthiopien sei durch und durch sehr homophob. "Wir werden von unseren Familien überwacht", sagt Gezahegn.

Die homophobe Einstellung in weiten Teilen der äthiopischen Gesellschaft zeigen auch Daten des Equaldex vom vergangenen Jahr. Demnach wollen 69 Prozent der Äthiopier nicht mit LGBTQ-Menschen Tür an Tür wohnen und 80 Prozent sind gegen eine Akzeptanz von Homosexualität. Equaldex ist eine Online-Publikation zu LGBTQ-Rechten.

Annette Atieno arbeitet im Nachbarland Kenia bei der Kommission für Menschenrechte von Schwulen und Lesben in Nairobi. Aus ihrer Sicht ist die Situation in Äthiopien sehr besorgniserregend, aber nicht überraschend.

Homophobie sei in vielen afrikanischen Ländern tief verwurzelt in Religion, Kultur und Tradition - so auch in Äthiopien, sagte Atieno der Deutschen Welle. Insbesondere die konservativ geprägte und sehr einflussreiche Orthodoxe Kirche sei mitverantwortlich, dass es nach wie vor eine starke Ablehnung von LGBTQ-Menschen in der Gesellschaft gebe.

Auch Atieno ist der Ansicht, dass die aktuell zunehmende Verfolgung von Homosexuellen mit der angespannten Lage in Äthiopien zu tun hat: "Wir wissen aus der Geschichte, dass in Zeiten politischer Instabilität oder gesellschaftlicher Unruhen Minderheitengruppen zu bequemen Sündenböcke werden, und in diesem Fall ist die LGBTQ-Community die Leidtragende dieser fehlgeleiteten Aggression", so Atieno.

Soziale Medien - Werkzeug des Hasses

Hinzu käme die ungebremste Hetze in den Sozialen Medien: "Ohne jegliche Kontrolle und Ausgewogenheit werden diese Plattformen zum Feuer des Hasses und der Vorurteile."

Faris Cuchi Gezahegn blickt vom Exil in Wien aus dennoch mit Optimismus in die alte Heimat Äthiopien: "Wie alle Nationen haben auch wir eine LGBTQ-Gemeinschaft, die versucht zu überleben und sich zu behaupten!" Angesichts der angespannten politischen Lage sei das zwar sehr schwierig, "aber trotz all dieser Herausforderungen existieren wir, ich würde sagen, auf eine bedeutende Weise."