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Ägyptens Intellektuelle halten sich zurück

3. Februar 2011

Die Intellektuellen und die Revolte. Bei Umbrüchen in Osteuropa und der deutschen Wiedervereinigung haben sie eine Rolle gespielt. Bei den aktuellen Protesten in Ägypten, sind sie zurückhaltend. Samir Grees weiß, warum.

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Ägyptischer Demonstrant, der sein Gesicht in den Farben der Nationalflagge bemalt hat (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Samir Grees arbeitet als freier Journalist für die Arabische Redaktion von Deutsche Welle Radio. Er ist Übersetzer und hat gute Beziehungen zu Autoren und Schriftstellern in seinem Heimatland Ägypten.

DW-WORLD.DE: Die Proteste in Ägypten gehen hauptsächlich von jungen Leuten aus, die sich übers Internet vernetzt haben. Häufig ist es so, dass bei solchen Umbrüchen Studenten eine wichtige Rolle spielen – wie ist das momentan in Kairo?

Samir Grees auf der Buchmesse in Kairo 2005 (Foto: Litrix)
Samir Grees (Mitte)Bild: Litrix

Samir Grees: Der Protest wird zwar hauptsächlich von jungen Leuten geleitet, aber nicht nur von Studenten. Es sind meistens junge Akademiker, die ihr Studium schon abgeschlossen haben, die keine oder keine gute Arbeit finden, die einfach frustriert sind wegen der Korruption und der Arbeitslosigkeit im Land, der schlechten wirtschaftlichen und sozialen Lage. Insgesamt ist diese Bewegung aber nicht neu. Seit Jahren gibt es immer wieder Aufrufe zu Protesten, aber sie waren eben noch nie so stark wie am 25. Januar 2011, am so genannten "Tag des Zorns".

Welche Rolle haben denn die Intellektuellen bei diesen Protesten gespielt?

Sie sind nicht so präsent und stehen auch nicht im Vordergrund. Es sind vor allem junge Leute, die im Herzen von Kairo protestieren, die Intellektuellen spielen keine so große Rolle wie noch in den 1960er oder 1970er Jahren in Ägypten. Damals waren sie immer vorne mit dabei – bei der Studentenbewegung gegen den ehemaligen Präsidenten Anwar El Sadat. Die Intellektuellen sind leiser geworden. Man muss aber fairerweise erwähnen, dass es 2004 eine Bewegung gab, die sich übersetzt "Es reicht" nannte. Diese Bewegung hat damals Präsident Mubarak aufgerufen nicht mehr zu kandidieren – und es war eine Bewegung, die von Intellektuellen, von Schriftstellern und Künstlern angeführt wurde.

Gab es denn in den vergangenen Jahren so etwas wie eine literarische Dissidentenszene in Ägypten? Man weiß ja, dass einige Autoren an der Oppositionsbewegung beteiligt waren – zum Beispiel Alaa al-Aswani, der mit seinem Roman "Der Jakubijan-Bau" auch in Deutschland sehr bekannt wurde.

Ja, Alaa al-Aswani beteiligte sich wie andere Schriftsteller auch an einer Bewegung, die sich um Friedensnobelpreisträger Mohammed El Baradei scharrte, Anfang 2010. Man muss dazu aber sagen, dass das Regime Mubarak es geschafft hat, den Schriftstellern Freiräume zu lassen. Schriftsteller können zum Beispiel die heftigste Regimekritik in den Zeitungen veröffentlichen, aber es passiert nichts. Das Regime Mubarak verfolgt seit etwa zehn Jahren die Politik: lasst das Volk reden, wir herrschen, wir machen was wir wollen. In der unabhängigen Presse in Ägypten kann man Artikel lesen, die in Marokko, in Jordanien oder im Jemen undenkbar wären. Aber diese Artikel haben keine Folgen – sie lösen keine Veränderungen aus.

Man hat also die Intellektuellen und Journalisten mehr oder weniger kalt gestellt? Sie können publizieren, aber es hat keinen Effekt?

Ja, das auch. Aber die Intellektuellen haben auch immer weniger Einfluss auf die Menschen in Ägypten. Die Mehrheit der Ägypter arbeitet zwölf Stunden am Tag, um überhaupt über die Runden zu kommen. Die meisten Ägypter haben einen Hauptjob, einen Bürojob, und nachmittags arbeiten sie noch als Taxifahrer. Außerdem hat sich das Regime so stark gezeigt, dass viele den Eindruck hatten, sie könnten eh nichts verändern. Wenn die Opposition mal gefährlich wurde und ins Parlament eingezogen ist, wurde sie massiv unterdrückt. Wahlen selbst wurden massiv gefälscht. Da hatten viele eben das Gefühl, dem Regime gegenüber machtlos zu sein. Die aktuellen Proteste überraschen jetzt viele Ägypter, sie sehen auf einmal: es ist doch vieles möglich.

Das Gespräch führte Aya Bach

Redaktion: Marlis Schaum