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Kinder im Netz - Surfen ohne Risiko?

Sabrina Pabst12. Juli 2015

Kindgerechte Bedienung, bunte Bilder und Lernerfolg: Internet- und App-Angebote locken immer mehr Kinder in die digitale Welt. Die zunehmende Digitalisierung führt allerdings nicht automatisch zur Chancengleichheit.

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Ein kleiner Junge steht in seinem Kinderzimmer und spielt mit Smartphone (Foto: picture alliance/dpa/J. Kalaene)
Bild: picture alliance/dpa/J. Kalaene

"Unsere Tochter darf sich auf YouTube Lieder anhören. Wenn eins fertig ist, sagt sie mir, was ich als nächstes anmachen soll", berichtet Tanja Schulz und setzt ihre fünfjährige Tochter in den Kindersitz ihres Fahrrads. Drei Lieder hören sie maximal zusammen. "Im Internet lauern zu viele Gefahren."

Tanja Schulz ist verunsichert. Nicht-kindgerechte Inhalte oder der Kontakt zu unbekannten Personen schätzten sie und andere Eltern als großes Risiko ein. Sie wollen für diesen Beitrag, der im Internet immer auffindbar sein wird, weder fotografiert werden, noch möchten sie ihren echten Namen nennen. Zu groß ist ihre Sorge darüber, was mit den Inhalten passiert.

Dabei ist im Familienalltag die Internetnutzung allgegenwärtig: Online einkaufen, Kontakte über soziale Netzwerke pflegen oder per Chat verabreden. Es werden Fotoalben online gestaltet, Musik, Video und Filme konsumiert. Lernen und arbeiten ohne Internet ist fast unmöglich. Kinder wachsen in einer digitalisierten Umwelt auf. "Es reicht, wenn wir uns stundenlang damit beschäftigen", erklärt der Lebenspartner von Tanja Schulz. "Damit müssen unsere Kleinen noch nicht anfangen. Die sollen lieber ein Buch lesen, malen oder spielen."

Babysitter "Smartphone"

Eine weitere Mutter, die anonym bleiben möchte, verrät, dass sie eine Zeit lang gerne auf die elektronische Unterhaltung für ihren dreijährigen Sohn zurückgegriffen hat. "Als ich meine Abschlussarbeit geschrieben habe, durfte er lange mit meinem Tablet spielen." Damals war sie alleinerziehend und brauchte viel Zeit und Ruhe. Heute bereut sie ihr Verhalten: "Wir gehen jetzt oft auf den Spielplatz, springen Trampolin oder basteln. Mit mir zu spielen, macht ihm viel mehr Spaß."

Digitale Medien würden oft als Babysitter verwendet, berichtet Christine Feil vom Deutschen Jungendinstitut. Dort leitet sie das Projekt "Digitale Medien in der Lebenswelt von Klein- und Vorschulkindern". "Aber man muss nicht pädagogisch heuchlerisch sein. Die Mütter könnten genauso ein Bilderbuch dafür nutzen."

Kinderschutz im Internet

Erweiterung der analogen Welt

Jedes zehnte dreijährige Kind ist regelmäßig online, belegt die Studie "Kinder in der digitalisierten Welt" des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI). Von den Sechsjährigen geht fast ein Drittel ins Internet (28 Prozent) und mehr als die Hälfte der Achtjährigen (55 Prozent). Die frühe Nutzung von Spielen auf Smartphone & Co. birgt nach Christine Feil wenige Risiken.

"Die meisten Spiele, die Fünf- oder Sechsjährige nutzen sind Erweiterungen von den Spielwelten, die sie bereits kennen", sagt Feil. Wenn die Spiele keinen Bezug zu der Lebenswelt der Kinder haben, könnten sie damit auch nichts anfangen. Wichtig sei, dass Eltern ihren Nachwuchs begleiten, um die Daten der Kinder zu schützen. Eine weitere Gefahr bestünde im sehr frühen Heranführen an kommerzielle Angebote, wie zum Beispiel In-App-Käufe und Werbung.

Mit großen Risiken seien Kinder erst konfrontiert, wenn sie älter sind und alleine das Internet nutzen, besonders wenn sie in sozialen Netzwerken unterwegs seien - oder wenn die Nutzung digitaler Angebote im Tagesablauf ritualisiert würde, erklärt Feil.

Schnelle Hilfe bei Erklärungsnot

Wie Kinder das Internet nutzen hängt besonders von ihren Lesefertigkeiten ab. Mädchen und Jungen, die noch nicht lesen und schreiben können, werden von Eltern unterstützt. Durch das Erkennen von Symbolen und das intuitive Bedienen der Oberflächen sind Kleinkinder in der Lage, eigenständig Anwendungen auf Smartphones und Tablets zu nutzen. "Die Apps sind einfacher zu bedienen, weil das Grundprinzip der Touchscreen ist. Dort muss man nur drücken oder wischen. Die Inhalte sind vertont, so müssen Kleinkinder nicht lesen können, um sich dort zu orientieren", erklärt Christine Feil.

Interessant ist, dass viele Haushalte gut mit Medien ausgestattet sind - unabhängig vom Einkommen der Eltern. 98 Prozent der deutschen Haushalte haben einen Internetzugang. Trotzdem führt diese Ausstattung nicht automatisch zu Chancengleichheit, so die Autoren der DIVIS-Studie. Der Bildungsgrad der Eltern spiele eine große Rolle, wenn es um die Art und Weise der Mediennutzung im Internet geht.

Eltern mit einem hohen Bildungsgrad bieten ihren Kindern den Zugang zu Informationen und Lerninhalten. Eltern mit einem geringen Bildungsniveau hingegen sehen das Angebot im Internet als Freizeitmedium. Schulen müssten für einen Ausgleich das Internet als Wissensvermittler oder Informationsmedium mit in den Unterricht integrieren, damit Kinder aus bildungsfernen Familien lernen, dass das Internet nicht nur als Spielwiese funktioniert. Denn, "wenn Kinder Informationen suchen, recherchieren sie meistens für Hausaufgaben", sagt Feil.

Die Kinder von Tanja Schulz wissen bereits, dass sie durch das Smartphone ihrer Mutter schnell Informationen bekommen. "Das Wort Kakadu fanden beide richtig lustig, wussten aber nicht, was es ist. Also habe ich ein Foto gegoogelt und ihnen den Vogel gezeigt", erzählt die zweifache Mutter.

Digitale Kompetenz als Chance

Digitale Medien und kleine Kinder - ein Tabuthema, bei dem vielen Eltern Vorbehalte haben. "Die Apps für kleine Kinder sind eigentlich ganz banal", meint Christine Feil. "Sie können eine App nur verkaufen, wenn sie lernen verspricht." Darauf hoffen auch Alana Habibi und ihr Ehemann. Auch Habibis Name ist geändert, weil sie anonym bleiben möchte. Ihre beiden Jungen haben ein eigenes Tablet. "Deutsch ist nicht unsere Muttersprache und es gibt viele Programme, durch sie die deutsch besser lernen können", erklärt Habibi. Doch Kleinkinder lernen nur dann wirklich etwas, wenn sie die Apps mit den Eltern gemeinsam nutzen und darüber sprechen, betont Christine Feil. "Das gilt auch für Apps, von denen behauptet wird, sie dienen dem Spracherwerb."

Obwohl Kinder in einer digitalisierten Welt aufwachsen, sind nicht alle Kinder sogenannte "Digital Natives". Ob Kinder überhaupt online gehen wollen oder im Netz unterwegs sein dürfen, sei von der Nähe der Eltern zur "digitalen Lebenswelt" abhängig, schreiben die Autoren der DIVIS-Studie. Je häufiger die Eltern selbst im Internet unterwegs sind, desto eher sind auch die Kinder online. Doch je früher Kinder mit dem Internet in Berührung kommen, desto mehr Herausforderungen warten auf die Eltern. Und nicht alle sind ihnen gewachsen.