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Zweite Gutenberg-Revolution

Das Interview führte Jochen Kürten22. Juni 2007

Seufz! Hechel! Lechz! SMS, Emails und Internetchats verändern die Sprache. Schnell und unkompliziert auf den Punkt kommen ist wichtiger geworden als korrekte Rechtschreibung oder Grammatik.

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Mädchen tippt eine SMS in ihr Handy ein
Kurz und schnell das Wichtigste gesagt: HDGDL (Hab Dich ganz doll lieb)!Bild: picture-alliance / KPA

Wer heute zum Handy greift um eine SMS zu schreiben, der drückt sich anders aus, als jemand, der früher etwas zu Papier gebracht hat. Wer eine e-Mail schreibt, der lässt sich unter Umständen ganz neue Wörter und Zeichen einfallen. Und wer als junger Mensch heute im Internet bloggt, der bedient sich anderer Kommunikationsformen als frühere Generationen. Als "Zweite Gutenberg-Revolution" hat Peter Schlobinski den Wandel der Sprache im Laufe der letzten Jahre bezeichnet. Schlobinski ist Professor für Deutsche Literatur und Sprache an der Universität Hannover und forscht auf dem Gebiet "Neue Medien und Sprache".

DW-WORLD.DE: Sie haben mal gesagt, wir erleben gerade die zweite Gutenberg-Revolution. Sind die Entwicklungen in der Sprache tatsächlich so dramatisch?

Peter Schlobinski: Also ich denke schon! Wenn Sie überlegen, dass die erste Gutenberg-Revolution durch die Erfindung des Buches zu einer unglaublichen Verbreitung von Inhalten geführt hat, dann kann man jetzt feststellen, dass sich das vor allem sehr stark multipliziert hat. Das ist Natürlich eine Folge der weltweiten Vernetzung. Die erste Gutenberg-Revolution war damals ja nur auf Zentraleuropa beschränkt.

Revolution heißt ja auch: ´Da kommt was neues´, manchmal auch mit brachialer Gewalt! Was ist denn das Neue, was jetzt kommt?

Peter Schlobinski, Professor für Deutsche Literatur und Sprache
Peter Schlobinski

Es sind völlig neue Kommunikationsformen entstanden: die Chat-Kommunikation, die e-mail-Kommunikation und die SMS-Kommunikation. Wir erleben jetzt eine neue Entwicklungsphase der virtuellen Welt, Stichwort ´Second Life´. Und wenn man überlegt, dass die erste SMS 1992 probeweise geschickt wurde und wenn jetzt man sieht, dass wir heute weltweit ein Billionen-Aufkommen haben, dann sieht man allein an dieser quantitativen Entwicklung, welche Dynamik diese Kommunikationsrevolution hat.

Sie haben Stichworte genannt, SMS, E-Mail, zu denen man auch noch die Weblogs hinzufügen könnte. Hat das zu vielen verschiedenen Veränderungen in der deutschen Sprache geführt, hat also jede Kommunikations-Form seine eigene Veränderung hervorgebracht?

Man muss das sehr differenziert sehen. Es gibt da viele unterschiedliche Kommunikationsformen! Sehen wir uns als Beispiel die Chat-Kommunikation an, da haben wir sehr starke Abweichungen von der Standardsprache, auch von der Standard-Ortographie. Wenn sie sich dagegen eine Geschäfts e-mail ansehen, dann wird diese im Grunde genauso geschrieben wie ein Brief. Also man muss als Kommunikationswissenschaftler ganz genau auf die einzelnen Kommunikationsformen schauen und jede einzeln betrachten und auswerten.

Bleiben wir mal beim Chaten, können sie Beispiele nennen, wo das sehr offensichtlich ist, was sich da verändert hat und was neu ist?

Internet-Café
Beim Chatten muss es schnell gehen: FG (Freches Grinsen), BIBA (bis bald), DAU (dümmster anzunehmender User)Bild: picture-alliance/dpa

Die Chat-Kommunikation ist ja eine synchrone Kommunikation, man kommuniziert zum gleichen oder zum selben Zeitpunkt, und das bedeutet, dass man relativ schnell eintippen muss. Das hat natürlich zur Folge, dass man sehr sprachökonomisch vorgeht, das heißt zum Beispiel, dass man konsequent klein schreibt, dass man Abkürzungen braucht oder man nutzt Bildzeichen. Man benutzt aber auch neue Ausdrücke, Erweiterungen oder bedient sich Ausleihen aus der Comicsprache, wie zum Beispiel: „Seufz!“, „Hechel!“, „Lechz!“. Die Sprache ist in diesen neuen Kommunikationsformen erweitert worden. Information wird relativ komprimiert dargestellt, das findet man besonders in der Chat-Kommunikation.

Gibt es eigentlich andere Sprachräume, wo sich diese Veränderungen innerhalb einer Sprache anders entwickelt haben? Oder ist das in Deutschland so wie in aller Welt?

Also generell kann man sagen, dass das doch tatsächlich eine globalisierte Kommunikationsentwicklung ist. Aber man kann auch feststellen, dass da im Einzelnen kulturelle Unterschiede existieren, zum Beispiel in Japan. Grundsätzlich lassen sich jedoch überall die gleichen Phänomen zu beobachten. Wir haben zum Beispiel eine internationale Studie zu Weblogs durchgeführt und da haben wir unter anderem auch chinesische und europäische Weblogs untersucht. Auch wenn hinsichtlich der verschiedenen Sprachen kleine Unterschiede gibt, beobachten wir im Prinzip die gleichen Phänomene. Natürlich gibt es in China aufgrund der Schriftzeichen Unterschiede.

Kann man auch sagen, dass sich diese Phänomene vor allem bei der Jugend bilden? Die ältere Generation hat ja nicht selten Schwierigkeiten mit solch neuen Sprachschöpfungen!

Zwei Jungs tippen eine SMS ein
Jugendliche SprachrevolutionBild: AP
Jugendliche sind im Hinblick auf die Technik sicherlich adaptiver und innovativer. Teilweise versuchen sie ja auch jeden Hype mitzumachen und daher sind sie in bestimmten Formen des neuen Sprachgebrauchs führend, während Ältere sich relativ konservativ verhalten. Das zeigen auch Studien: wenn man sich SMS oder e-mails von Älteren ansieht, also von Menschen über 60, dann ist die in der Regel relativ konservativ geschrieben.