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Typisch israelisch

Gil Yaron, Tel Aviv18. Februar 2009

An den jüdischen Feiertagen müssen sich junge Paare in Israel immer wieder die Frage stellen lassen: Seid ihr bei seinen oder deinen Eltern. Und darüber kann dann auch mal gestritten werden.

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Jedes Jahr feiert man auch Hanukkah - das LichterfestBild: AP

Zwei Fragen gelten als typisch israelisch. Die eine dient hauptsächlich der Information: "Wo hast Du in der Armee gedient?" lautet sie, und gibt dem Fragenden Einblick in einen wichtigen Teil der Biographie des Gegenübers. Die andere hat keine Folgen für den Fragenden, für den Gefragten jedoch überragende Konsequenzen. "Wo seid Ihr zu den Feiertagen?", ist die Frage, die sich junge Paare alle paar Wochen zu den zahlreichen jüdischen Feiertagen stellen. "Bei den Eltern von ihr oder ihm?", so lautet das Dilemma, über das tagelang gestritten wird, bestimmt sie doch nicht selten nicht nur über das persönliche Wohlbefinden, sondern legt auch maßgeblich den Einstellwinkel eines schiefen oder wohl justierten Haussegens fest.

Feiertage ganz nach der Mama

Im Einwandererland Israel wird der Jahresrhythmus von den religiösen Feiertagen diktiert. Eigentlich begehen alle die gleichen Feste. Zuerst kommt Rosch Haschana und dann kommt der Fasttag Jom Kippur, an dem die Gläubigen sich mit Gott und Nachbar versöhnen sollen und an dem der Verlauf des kommenden Jahres besiegelt wird. Oberflächlich betrachtet hat man ähnliche Traditionen. Alle sind an diesen Tagen in feierlichem Weiß gekleidet und Lederschuhe sind verpönt. Doch der Teufel steckt bekanntlich im Detail, und wie genau die Feiertage begangen werden, hängt ganz davon ab, woher die Eltern ursprünglich stammen.

Böse Zungen behaupten, dass man alle jüdischen Feiertage mit einem kurzen Motto erklären kann:" Sie wollten uns töten, wir haben überlebt, was gibt's jetzt zu essen?" Tatsächlich ist das gemeinsame Abendmahl Hauptprogrammpunkt der meisten Feste, und hier trennen sich die Geister. Nehmen wir den "gefilten Fisch" zum Beispiel, diese glorifizierte, kalt gereichte und reichlich gesüßte jüdische Fischfrikadelle, die meistens mit einem wacklig-glibberigen Film von Gelatine und zerkochten Möhrchen überzogen ist. In den Augen der aschkenasischen Großmutter, also einer Jüdin, deren Vorfahren aus Osteuropa stammen, ist der oft fade gefilte Fisch ein Eckpfeiler des Festtagessens, egal welche exotischen Gewürze der israelische Markt zu bieten hat. Man kann sich leicht das zurückhaltende Entsetzen ausmalen, mit dem ein Sepharde oder Misrahi, also ein Jude, dessen Eltern aus arabischen Ländern einwanderten und dessen Zunge nicht von Kindesbeinen auf trainiert wurde, sich den Geschmack selbst dazu zu denken, auf das graue schwabbelnde Etwas auf dem Teller vor ihm reagiert. Umgekehrt lösen die deftig gewürzten Speisen der Misrahim bei Aschkenasen nicht nur ein Feuer im Schlund, sondern auch ein anhaltendes Sodbrennen aus, das die Pein des Fastens wie einen Genuss erscheinen lässt.

Symbolisches Essen

Und das ist erst die Vorspeise! Gelangweilte Hausfrauen haben sich über die Jahrhunderte allerlei ausgefallene Gerichte einfallen lassen, wohl um ihre Gatten davon zu überzeugen, sie beim nächsten Neujahr nicht mehr in die Küche zu schicken. Dass ein Apfel in Honig getaucht wird, um ein süßes neues Jahr zu symbolisieren, ist dabei noch der appetitlichste Brauch. Aber wenn Rinderlungen gereicht werden, um die Hoffnung auf fortan nur mehr "leichte Sünden" zu versinnbildlichen, oder ein beliebiger Tierkopf auf der Tafel erscheint, damit man immer am Anfang und nicht am Ende stehen möge, vergeht vielen die Esslust.

So entscheidet die Antwort auf die Frage:" Wo seid Ihr zu den Feiertagen?" also nicht nur, wessen Eltern denn nun dieses Jahr beleidigt sein werden, sondern oft auch die entscheidende Frage, wer nach diesem Feiertag hungrig ins Bett steigt. Kein Wunder also, dass immer mehr israelische Paare versuchen, sich diesem schweren Dilemma zu entziehen. Nicht umsonst verlässt an diesen Tagen alle 50 Sekunden ein Flugzeug das Land. Die Lieblingsantwort auf die schwerste Frage in Israel lautet nämlich neuerdings:" Gott sei Dank, im Ausland."