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Vorbild Deutschland

26. Juni 2009

Seit der Militärdiktatur hat die argentinische Armee ein massives Imageproblem - zuviele Angehörige waren in Menschenrechtsverbrechen verstrickt. Darum soll jetzt ein Wehrbauftragter nach deutschem Vorbild her.

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Der deutsche Wehrbeauftragte Reinhold Robbe zusammen mit der argentinischen Verteidigungsministerin Nilda Garré
Garré und Robbe haben sich in den vergangenen Jahren regelmäßig gesehen.Bild: Deutscher Bundestag / Anke Jacob
Bewaffnete Soldaten vor dem Präsidentenpalast Casa Rosada in Buenos Aires am 24. März 1976, nachdem die Militärs die Präsidentin Isabel Peron gestürzt hatten.
Das argentinische Militär übernahm von 1976 bis 1983 den PräsidentenpalastBild: picture-alliance/ dpa

Die Streitkräfte in Argentinien haben immer wieder die Macht im Staat ergriffen. Wenn Nilda Garré über die letzte Militärdiktatur spricht, nennt sie die Verbrechen Genozid. Sie selbst arbeitete in dieser Zeit als Menschenrechtsanwältin gegen die Generäle. Die Sicherheitskräfte ließen zwischen 1976 und 1983 tausende Menschen verschwinden, Todesschwadronen jagten Oppositionelle, das Militär folterte und mordete. Die Diktatur hinterließ in der argentinischen Gesellschaft eine tiefe Spaltung: "Das machte es notwendig, die Streitkräfte wieder in die Gesamtheit der Gesellschaft zurück zu holen und den Dialog neu zu beginnen." Bei diesem Prozess habe sich Argentinien stark am deutschen Modell des "Staatsbürgers in Uniform" orientiert.

Autonomie und klare Befugnisse

In einem ersten Schritt wurden bereits das Militärrecht und die Disziplinarregeln reformiert. Dort gab es noch die Todesstrafe und einige Paragrafen hatten ihren Ursprung in der Kolonialzeit. "Das war alles nicht mehr zeitgemäß", sagt Garré. Vor den alten Militärgerichten hatten die Soldaten beispielsweise auch nicht die gleichen Rechte wie alle andere Bürger. Jetzt kommen Soldaten vor die gleichen Richter wie alle anderen Argentinier.

Im zweiten Schritt will Garré nun auch einen Wehrbeauftragten wie Deutschland ihn hat einführen: Einen Ombudsmann, eine Vertrauensperson, an die sich jeder im Militär wenden kann – vorbei an der Befehlskette – vom einfachen Soldaten bis zum General. "Der Wehrbeauftragte ist heute nicht nur Kummerkasten und Sorgenonkel für die Soldatinnen und Soldaten. Er ist gleichzeitig der Anwalt und er ist auch ein wenig ihr Sprachrohr", sagt Reinhold Robbe, der seit 2005 der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages ist.

Argentiniens Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner mit blauem Barett der UN-Friedenstruppen, umringt von argentinischen Soldaten der UN-Stabilisierungsmission für Haiti.
Argentinisches Militär mit Präsidentin Kirchner 2008Bild: picture-alliance/ dpa

Er wird vom Parlament gewählt und ist auch der verlängerte Arm des Bundestages bei der Kontrolle der Bundeswehr. Er darf jederzeit und überall bei der Bundeswehr auftauchen, um sich ein Bild von der Lage zu machen - auch ohne Vorankündigung. In der Unabhängigkeit und dem Rückhalt durch das Parlament sieht Nilda Garré die besondere Stärke des deutschen Systems: "Andere Mechanismen sind eher im Militär selbst oder im Verteidigungsministerium angesiedelt, aber in Deutschland ist es eine vom Parlament gewählte Institution, mit parlamentarischer Autonomie und klaren, präzisen Befugnissen."

Solidarität statt Desinteresse

Von einem zivilen Wehrbeauftragten erhofft sich Garré auch ein positiveres Bild vom Militär bei den Zivilisten in Argentinien. So wie auch der deutsche Wehrbeauftragte Robbe von der Gesellschaft in Deutschland mehr Akzeptanz fordert. Nach wie vor trete man den Soldaten in Deutschland mit "freundlichem Desinteresse" entgegen: "Und je mehr sie ihre Gesundheit und ihr Leben einsetzen für die deutschen Interessen, desto größer ist der Wunsch und auch die Forderung, dass die lieben Mitbürger sich etwas solidarischer zeigen mit den Menschen in der Bundeswehr." Das sei unabhängig davon, wie man zu dem politischen Mandat der Bundeswehr stehe.

Auf Einladung der argentinischen Verteidigungsministerin hat Robbe vor zwei Jahren das Militär in Argentinien besucht, und war nicht nur von der Professionalität der argentinischen Streitkräfte beeindruckt: "Die Argentinier die haben wirklich aus ihrer Geschichte gelernt und gehen mit den Schattenseiten ihrer Militär-Geschichte sehr offen um. Das ist allerdings auch Vorraussetzung dafür, dass sich etwas entwickeln kann, das für uns in Deutschland Gang und Gäbe ist, das Prinzip des Staatsbürgers in Uniform."

An der Schwelle zur Normalität

Der Chef der Militärjunta Jorge rafael Videla bei seiner Amtseinführung
Argentinisches Militär mit Staatsoberhaupt 1976Bild: Leidel

Ein Teil dieser Aufarbeitung sind auch die Prozesse gegen die Verantwortlichen der Diktatur. Der Großteil der Soldaten schäme sich dafür, dass das Militär die staatlichen Institutionen kompromittiert habe, sagt Garré: "Wir sind noch am Übergang zur Normalität." Die meisten Militärs, die an den Menschenrechtsverbrechen der Diktatur beteiligt waren, sind mittlerweile aus dem Dienst geschieden – vor allem aus Altersgründen. Doch auch wenn sie nicht mehr Teil der Streitkräfte seien, sagt Garré, gebe es manchmal anlässlich der Prozesse schlechte Stimmung unter den Soldaten. "Manchmal gibt es eben so etwas wie einen Korpsgeist in den Streitkräften." Doch vor allem die jüngere Generation wolle diesen Teil der argentinischen Militärgeschichte hinter sich lassen.

Autor: Peter Deselaers
Redaktion: Ina Rottscheidt