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Reifeprüfung

1. April 2009

Der Euro ist zehn Jahre alt. Nach einer glücklichen Kindheit kommt jetzt die vorzeitige Reifeprüfung. Manche sagen, der Euro steht vor einer Zerreißprobe. Staatsbankrotte und sogar Austritte sind nicht ausgeschlossen.

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Euro als Ziel einer Straße aus Euroscheinen
Bild: picture-alliance / Helga Lade Fotoagentur GmbH

Vor zehn Jahren, am 1. Januar 1999, ist der Euro als Buchwährung in elf Mitgliedsländern der Europäischen Union eingeführt worden. Das war die Geburtsstunde des Euros, obwohl die Bürger in Euroland das Bargeld erst drei Jahre später in die Hand bekamen. Damals gab es viele Skeptiker, die an der Stabilität und Beständigkeit der neuen gemeinsamen Währung zweifelten. Doch das ist Geschichte.

"Eine Erfolgsgeschichte", sagt Jürgen Matthes, zuständig für Internationale Wirtschaftspolitik beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. "Viele haben befürchtet, dass wir eine Weichwährung kriegen würden. Doch die Europäische Zentralbank hat sehr schnell eine hohe Glaubwürdigkeit aufgebaut." Das Ergebnis: Mit 2,2 Prozent lag die durchschnittliche Inflationsrate in Euroland in den vergangenen zehn Jahren sogar knapp unterhalb des Durchschnitts der deutschen Inflationsrate in den letzten zehn Jahren vor der Währungsunion.

Die Exportunternehmen, die sich vor der Währungsunion gegen Wechselkursschwankungen und Währungsrisiken absichern mussten, sparen zudem sehr viel Geld, sagt Jürgen Matthes. "Die Schätzungen darüber belaufen sich auf einen knappen Prozentpunkt der Wirtschaftsleistung, die in etwa eingespart wird. In Deutschland ist es wahrscheinlich etwas weniger, weil vorher schon Rechnungen in D-Mark geschrieben wurden, wenn man nach Europa exportierte. In anderen Ländern sind die Einsparungen aber sicherlich deutlich größer geworden."

Wachstum und Wohlstand

Euro- und Dollarscheine auf dem Tresen einer Wechselstube (AP Photo/Ferdinand Ostrop)
Nach dem Dollar ist der Euro die zweitwichtigste ReservewährungBild: AP

Der Euro ist also eine Erfolgsgeschichte. Er hat nicht nur für stabile Preise gesorgt, sondern auch für Wachstum, Wohlstand und zunehmenden Handel. Die Investitionen in Euroland stiegen in den letzten zehn Jahren jährlich um drei Prozent und damit deutlich stärker als in den USA mit 2,3 Prozent. Mehr als 16 Millionen Arbeitsplätze wurden in den vergangenen zehn Jahren in Euroland geschaffen, fast doppelt so viele wie in den zehn Jahren zuvor- und anderthalb mal so viele wie in den USA. Und auch international hat der Euro an Renommee gewonnen. Neben dem Dollar, der rund 60 Prozent aller Währungsreserven stellt, halten die Zentralbanken dieser Welt inzwischen fast ein Drittel ihrer Währungsreserven in Euro.

Trotzdem ziehen für den Euro dunkle Wolken auf. Die Währungsunion steht vor ihrer größten Belastungsprobe. Vor allem den südeuropäischen Mitgliedsländern geht es seit der Finanz- und Wirtschaftskrise so schlecht, dass mache Beobachter sogar ein Auseinanderbrechen des Währungsclubs nicht mehr ausschließen. Zum Beispiel Joachim Starbatty, der Vorsitzende der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft. Gemeinsam mit drei anderen Professoren reichte er 1997 Klage beim Bundesverfassungsgericht gegen den Vertrag von Amsterdam zur Einführung des Euros ein – ohne Erfolg.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Die Geburtsfehler des Euros

Geburtsfehler

Das Euro-Starter-Kit (AP Photo/Joerg Sarbach)
Das Starter-Kit: Für 20 D-Mark gab es 10,23 EuroBild: AP

Was ihn damals störte, behagt ihm auch heute nicht – im Gegenteil: "Als man den Euro begründet hat, sind Länder mit unterschiedlichem wirtschaftspolitischem Ausweis hinzugekommen", sagt Starbatty. "Es waren einige Länder dabei, die stabilitätsorientiert waren, und bei anderen Ländern musste man das anzweifeln. Die Aufnahmekriterien für die Währungsunion sind sehr nachlässig interpretiert worden, teilweise wurden sie auch gar nicht kontrolliert. Und so sind dann Länder zusammengekommen, die in ihrer unterschiedlichen wirtschafts- und sozialpolitischen Auffassung nicht gut zusammenpassen."

Das rächt sich jetzt, meint auch Helmut Schlesinger, der ehemalige Präsident der Deutschen Bundesbank. Denn es fehlt ein wichtiges Ausgleichsventil. "Die Europäische Währungsunion schließt per Definition Wechselkursänderungen aus und verlegt das Problem der Anpassung der Volkswirtschaft in die einzelnen Volkswirtschaften zurück", sagt Helmut Schlesinger. "Die Volkswirtschaften müssen sich selbst bemühen, einigermaßen im Gleichschritt mit den anderen Partnerländern zu marschieren in Bezug auf Inflation, Lohnerhöhungen, Solidität der Staatsfinanzen."

Denn, so erklärt Peter Hampe, Landesvorsitzender der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung: "Währungsunion heißt, ich kann nicht mehr unterschiedliche Entwicklungen in den einzelnen Ländern durch den Wechselkurs korrigieren, sondern ich muss diese Anpassung machen durch die nationale, binnenwirtschaftliche Finanzpolitik, Lohnpolitik und Sozialpolitik. Das haben am Anfang nicht alle Leute verstanden, aber das ist die Konsequenz der Währungsunion. Und wenn sich Länder nicht an diese Spielregeln halten, dann kriegen sie Probleme."

Südliche Wackelkandidaten

Sonnenbadende am Strand von Alassio, Italien
Schöne Strände, aber wirtschaftliche Probleme: Die mediterranen Clubmitglieder müssten eigentlich abwertenBild: AP

Und die sind jetzt da, sagt Joachim Starbatty, Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft: "Eine Währungsunion zeichnet sich dadurch aus, dass es nur noch eine Geldpolitik gibt und dass die einzelnen Länder bereit sind, ihre nationalen Politiken an den supranationalen Notwendigkeiten auszurichten. Und das ist eben nicht geschehen, es ist in Italien nicht geschehen, es ist in Griechenland, Portugal, Spanien nicht geschehen. Das hat den Euro jetzt in eine Zerreißprobe gebracht."

Griechenland, Italien, Spanien und Portugal haben jahrelang von der Währungsunion profitiert. Sie erlebten dank des Euro einen beachtlichen Aufschwung. Der ist inzwischen zwar wieder abgeflaut – nicht jedoch seine Begleiterscheinungen: Die Löhne stiegen weiterhin stark, während sich die Produktivität nicht wesentlich verbesserte. Die Lohnstückkosten erhöhten sich wesentlich stärker als im übrigen Euroraum. Oder anders ausgedrückt: Die Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder hat enorm nachgelassen, die Exporte sanken drastisch, die Importe nahmen zu.

Griechenland hatte 2007 ein Leistungsbilanzdefizit von über 14 Prozent seiner Wirtschaftsleistung, in Spanien und Portugal klaffen Löcher von rund zehn Prozent. Eigentlich müssten diese Länder ihre Währung abwerten. "Ich gehe davon aus, dass etwa Italien um 40 Prozent abwerten müsste, Spanien um 30 Prozent, Griechenland liegt irgendwo dazwischen, das gilt auch für Portugal", sagt Joachim Starbatty. Nur so könnten die Exporte dieser Länder auf dem Weltmarkt wieder wettbewerbsfähig werden. Doch abwerten geht nicht, denn diese Länder haben keine eigene Währung mehr, sie haben den Euro.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Raus aus dem Währungsclub?

Austritt oder nicht?

"Die Frage ist jetzt, wäre es aus Sicht der Staaten sinnvoll, aus dem Euroclub auszutreten und ihre Wirtschaft durch eine Abwertung und eine expansive nationale Geldpolitik wieder auf die Beine zu stellen", fragt sich Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft. Allerdings hält er diese Möglichkeit für wenig realistisch. "Man muss faktisch davon ausgehen, dass die Währungsunion unumkehrbar ist. Denn gerade in der jetzigen Situation, in der die Finanzmärkte immer unsicherer geworden sind, würde der Austritt eines Landes aus der Währungsunion bedeuten, dass eine noch viel schlimmere Finanzkrise auf dieses Land zukäme."

Denn es wäre absolut klar, dass ein Land, das austreten und wieder eine eigene Währung einführen würde, sofort abwerten müsste. "Und das ist eine Einbahnstraßenspekulation", sagt Matthes. "Für jeden ist absehbar, was passiert. Jeder wird versuchen, davon zu profitieren. Es würde massiv Geld aus diesen Ländern abgezogen, um es nach der Abwertung wieder zurückzutauschen."

Einmal drin, immer drin

Verkehrsschild Einbahnstraße
Der Euroclub ist eine Einbahnstraße: Einmal drin, immer drinBild: DW/Nelioubin

Der Euroclub ist also nicht nur eine Währungsgemeinschaft, sondern auch eine Schicksalsgemeinschaft. Eine Einbahnstraße. Einmal drin, immer drin. Denn ein Ausstieg hätte katastrophale Folgen. Doch was könnte den südeuropäischen Wackelkandidaten helfen? Sie müssen sich selbst aus dem Sumpf ziehen, sagen Fachleute, und zwar durch eiserne lohnpolitische und finanzpolitische Disziplin.

"Jetzt müsste man das nachholen, was bisher hätte gemacht werden müssen", sagt der Euro-Kritiker Starbatty. "Und es ist natürlich schwierig, genau das in einer Krise zu machen. Wir sehen ja, dass es in Griechenland schon Aufruhr in den Straßen gab. Wenn wirklich Leistungen des Staates gekürzt werden, um wieder konkurrenzfähig zu werden, um die Schulden abzubauen, dann kann man sich vorstellen, dass das zu erheblichen Erschütterungen führt, das sehen wir ja auch in anderen Ländern wie Island oder Lettland."

Wohlgemerkt: Die Finanzkrise, an der sich die ganze Welt infiziert hat, ist nicht etwa der Auslöser dieser Ungleichgewichte in Euroland. Die Fehler wurden viel früher gemacht. Aber die aktuelle Krise erschwert enorm, das zu tun, was eigentlich nötig wäre: nämlich eisern zu sparen und die Löhne an der tatsächlichen Produktivität zu orientieren. In einer Zeit, in der fast alle Regierungen gigantische Konjunkturpakete auflegen, müssten die südlichen Wackelkandidaten der Währungsunion genau das Gegenteil tun. Doch damit würden sie vorerst noch tiefer in eine Rezession schlittern. Eine Zwickmühle.

Internationale Anleger spüren das genau. Wenn sie ihr Geld italienischen oder spanischen Staatsanleihen anvertrauen, verlangen sie bei der Verzinsung mittlerweise Risikoaufschläge von rund anderthalb Prozentpunkten im Vergleich zu deutschen Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit. Und der griechische Staat musste zeitweilig bis zu drei Prozentpunkte mehr an Zinsen bieten, um seine Schuldtitel unters Volk zu bringen. Das klingt erst einmal nach nicht sehr viel – aber es summiert sich sehr schnell auf riesige Beträge. Schließlich geht es hier um die Schulden ganzer Staaten. Kein Wunder, dass zum Beispiel der italienische Finanzminister Giulio Tremonti von einer europäischen Anleihe träumt: "Wir haben einen gemeinsamen Kontinent, einen Markt und eine Währung, jetzt brauchen wir eine gemeinsame Anleihe", sagte er auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos.

Hoffnung auf die Euro-Anleihe

Italiens Finanzminister Giulio Tremonti EPA/MARIO DE RENZIS +++(c) dpa - Report+++
Hofft auf den Euro-Bond: Italiens Finanzminister Giulio TremontiBild: picture-alliance / dpa

Seine Hoffnung ist natürlich, damit auf dem deutschen Zinsniveau zu landen und eine Menge Geld zu sparen. Deutschlands Finanzminister Peer Steinbrück weiß dagegen sehr genau, dass eine europäische Anleihe eher auf italienischem oder griechischem Zinsniveau landen würde – und er damit jährlich bis zu drei Milliarden Euro mehr an Zinsen zahlen müsste. Von einer Euro-Anleihe hält er deshalb gar nichts.

Allein aus diesen Zinsdifferenzen, die man auch "Spreads" nennt, glauben viele Beobachter ableiten zu können, dass die Europäische Währungsunion bald auseinanderbrechen wird. Aber nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Denn schaut man sich die Zinsaufschläge an, die zum Beispiel Kalifornien, Michigan, Massachusetts, Maryland oder New York gegenüber zehnjährigen US-Treasuries zu zahlen haben, dann ergeben sich ebenfalls Zinsspreads von anderthalb bis drei Prozentpunkten. Trotzdem käme der kalifornische Gouverneur Arnold Schwarzenegger vermutlich niemals auf die Idee, aus dem Dollarraum auszutreten und eine eigene Währung einzuführen.

Mit anderen Worten: Trotz aller Ungleichgewichte und Spannungen bleibt der Euroclub eine Schicksalsgemeinschaft. Mit einer bislang stabilen und attraktiven Währung. Länder wie Polen oder Ungarn würden diesem Währungsclub lieber heute als morgen beitreten - zu groß sind die Vorteile, die in diesem Club winken. Der Euro ist zehn Jahre alt, die pubertären Probleme sind früher gekommen als bei anderen Kindern. Aber, das wissen viele Eltern, solche Probleme sollten sich auswachsen mit der Zeit.

Autor: Rolf Wenkel

Redaktion: Karl Zawadzky/Klaus Ulrich