Zensiert Instagram irankritische Beiträge?
4. Juli 2022Auf die Frage, ob Inhalte von iranischen Dissidenten und Befürwortern der Demokratie im Iran auf Instagram, einer Plattform des Konzerns Meta, zensiert würden, sagte ein Sprecher des Konzerns dem US-Magazin "Slate" vor wenigen Tagen: Beiträge, die gegen die Meta-Konzern-Richtlinien verstoßen, würden von den Plattformen des Konzerns gelöscht. Dazu gehörten zum Beispiel "Beiträge, die zur Gewalt aufrufen oder Hass und Todeswünsche beinhalten".
Den politischen Aktivisten Mehdi Hajti überzeugt diese Begründung für mögliche Löschungen besagter Inhalte nicht, wie er im DW-Gespräch erläutert. Zum Hintergrund: Der Social-Media-Konzern besitzt neben Facebook die einzige noch nicht im Iran gesperrte Plattform Instagram. "Instagram dient vielen Iranern als wichtige Informationsquelle", sagt Hajti. "Zahlreiche regimekritische Beiträge wurden in den vergangenen Monaten von Instagram gelöscht. Zum Beispiel Videos, in denen Demonstranten im Iran 'Tod dem Diktator' und 'Tod für Chamenei' skandierten. 'Tod dem Diktator' ist aber kein Aufruf zur Gewalt, sondern eine politische Parole. Sie wird im politischen Diskurs seit der Revolution 1979 bewusst genutzt. Ein Beispiel ist der Ruf 'Tod den USA' oder genauer gesagt 'Nieder mit den USA', der nach jedem Freitagsgebet in allen Ecken des Landes skandiert wird. Jetzt wenden die Iraner diesen Slogan gegen die Machthaber im eigenen Land, um ihre Unzufriedenheit zu demonstrieren."
Sperrung "aus Versehen"
Iranische Menschenrechtsaktivisten erhalten schon seit Monaten Beschwerden von iranischen Usern über Einschränkungen ihrer Accounts auf Instagram. Zum Beispiel der Account "1500 Tasvir", der über die immer wieder aufflammenden Proteste im Iran berichtet, konnte zuletzt nicht mehr auf Videos zugreifen, die User aus dem Iran an dieses Instagram-Konto geschickt hatten.
Im Januar entfernte Instagram Posts mit dem Hashtag #IwillLightACandleToo. Mit dem Hashtag wollten die Menschenrechtsaktivisten an die 176 Opfer des Abschusses eines Passagierflugzeugs durch die Revolutionsgarden im Januar 2020 in der Nähe von Teheran erinnern. Instagram entschuldigte sich später und sagte, der Hashtag sei "aus Versehen gesperrt " worden.
Vorwürfe eines Ex-Instagram-Moderators
Ob Instagram-Beiträge gegen die Richtlinien verstoßen oder nicht, entscheiden sogenannte Instagram-Moderatoren. Sie werden von Telekommunikationsunternehmen angestellt, die dem Meta-Konzern Dienstleistungen anbieten. Dazu gehört die kanadische "Telus International Corporation". Ende Mai berichtete das persischsprachige Programm der BBC (BBC Persian), dass die deutsche Niederlassung des Unternehmens auch für die Überprüfung persischsprachiger Inhalte auf Instagram zuständig sei und 400 iranische Mitarbeiter habe. Ein ehemaliger Mitarbeiter, der anonym bleiben wollte, sagte gegenüber der BBC, dass die meisten seiner früheren Kollegen regelmäßig in den Iran gereist seien. Einige von ihnen sollen Anweisungen vom iranischen Geheimdienst erhalten haben, um bestimmte Post und Videos zu löschen oder Konten zu sperren, so der anonyme Zeuge. Wenn sie den Anweisungen Folge leisteten und Inhalte löschten, "sei dies ohne ernsthafte Konsequenzen geblieben."
Laut der Quelle lag in 90 Prozent der Entscheidungen, ob ein Post zur Gewalt aufruft oder Hass und Todeswünsche beinhaltet, in den Händen dieser "Faktenprüfer". Etwa jede zehnte Entscheidung wird nach Angaben des Konzerns stichprobenartig geprüft. So soll sichergestellt werden, dass die Standards und die Qualitätskriterien eingehalten werden.
Telus International sagte gegenüber der BBC, man nehme die "sehr ernst" und eine Untersuchung sei eingeleitet worden. Meta sieht "keine Beweise, die diese Behauptungen stützen", teilte ein Meta-Sprecher gegenüber der BBC mit. Meta kontrolliere die Entscheidungen der Prüfer regelmäßig, um ihre Richtigkeit sicherzustellen.
Menschenrechtsgruppen und US-Kongress besorgt
Drei Menschenrechtsgruppen haben Meta aufgefordert, die Verfahren zur Überprüfung persischsprachiger Inhalte für den Iran zu überarbeiten. Die digitale Bürgerrechtsgruppe "Access Now", die in London ansässige Menschenrechtsorganisation "Article 19" und das in New York ansässige "Center for Human Rights in Iran" haben sich mit einem Vertreter des Konzerns getroffen. Ihr Ziel: Sicherzustellen, dass die Meinungsfreiheit der Nutzer geschützt wird, insbesondere bei Protesten.
Sogar der US-Kongress wurde aufmerksam. Drei republikanische Abgeordnete in den Ausschüssen für auswärtige Angelegenheiten und für die Streitkräfte haben eine Untersuchung eingeleitet, um herauszufinden, ob die Plattform Inhalte von iranischen Dissidenten und Befürwortern der Demokratie zensiert.
"Wir wissen seit langem, dass der iranische Geheimdienst Kontakt zu Leuten sucht, die für soziale Netzwerke außerhalb des Landes arbeiten. Sie werden entweder bestochen oder unter Druck gesetzt, um mit dem Regime zusammenzuarbeiten", sagt der politische Aktivist Hajat.
Ein bekanntes Beispiel dafür ist der Fall Behdad Esfahbod. Der Software-Ingenieur wurde während eines Besuchs in Teheran im Jahr 2020 verhaftet. Der Geheimdienst habe gewusst, dass er für Facebook arbeite, sagte Esfahbod später der DW. Er blieb sieben Tage in Einzelhaft und wurde lange verhört. Unter der Bedingung, bestimmte Leute auf Facebook auszuspionieren und Informationen zu liefern, wurde er freigelassen. Esfahbod kehrte zurück in den USA und machte den Fall bekannt. Zurück in den Iran kann er nicht mehr.