Atomendlager in Schweden
23. März 2011Eingeschweißt in bis zu 25 Tonnen schwere Kupferkapseln und von einem Betonitpuffer wasserdicht umhüllt soll der hochradioaktive Strahlenmüll 500 Meter tief im Granitgestein für alle Ewigkeit ruhen. In Nun stellte die mit der Entsorgung betraute Atomfirma SKB bei den zuständigen Aufsichtsbehörden einen Antrag für die Genehmigung. Auf die schwedische Kapseltechnologie setzen auch die Finnen. Im Nachbarland wird bereits an einem Stollen gebaut, der einmal als Endlager dienen könnte. Saida Laârouchi Engström, Sprecherin der privaten Atomfirma SKB, versichert, dass man alle nur denkbaren Szenarien - vom Erdbeben bis zur Eiszeit - in Erwägung zieht. "Unser Antrag ist die Frucht von 30 Jahren Arbeit. Wir haben überall im Land nach einem Standort gesucht."
Ein Fels für die Ewigkeit
Im mittelschwedischen Forsmark habe man eine Gemeinde gefunden, die das Projekt befürwortet. Auch die Geologie sei dort besonders gut geeignet, versichert Laârouchi Engström. Im Granitgestein unter Tage gebe es kaum Risse und Spalten. "Der Fels ist fast zwei Milliarden Jahre alt. 100.000 Jahre müssen wir das Material sicher verwahren. Für uns Menschen ist das eine unfassbar lange Zeit. Aber geologisch betrachtet doch nur ein kurzer Augenblick."
Nach Prüfung der geologischen Eignung und der Einlagermethode sowie einem Regierungsbeschluss könnte frühestens 2013 mit dem Bau am langjährigen Atomstandort Forsmark auf einer Halbinsel in der Ostsee begonnen werden. Ab 2020 soll das Endlager die ersten Kupferkapseln aufnehmen. Bis zu 12.000 Tonnen hochgiftigen Strahlenmüll werden die schwedischen Reaktoren bei einer geplanten Betriebsdauer von 60 Jahren produzieren. Barsebäck 1 und 2 waren die ersten und bislang einzigen Reaktoren, die nach dem schwedischen Entscheid zum Atomausstieg vom Netz genommen wurden. Seit Mai 2005 steht das Atomkraftwerk am Öresund still. Die zehn verbliebenen Meiler stehen heute für rund die Hälfte der schwedischen Stromerzeugung. Auch 5.000 Tonnen Strahlenmüll wurden produziert.
Erdbeben & Tsunami: Gefahr für alte Brennstäbe
Bislang verwahrt SKB die verbrauchten Brennstäbe in einem Zwischenlager. Zur Kühlung lagern sie dort in Wasserbecken. Doch das ist riskant, sagt die Schwedin. "Die Verwahrung dort ist sicher, solange man eine funktionierende Kühlung hat. Die Anlage muss 365 Tage im Jahr bewacht werden. An der Oberfläche muss man mit Erdbeben und Tsunamis rechnen, wie wir sie gerade in Japan erleben. Tief unter der Erde wäre das Material viel sicherer aufgehoben."
Falsche Sicherheitsanalysen für Endlager
Doch so sicher, wie SKB glauben macht, ist die gewählte Endlagermethode nicht. Peter Szakálos, Materialforscher an der Königlich Technischen Hochschule (KTH) in Stockholm, präsentiert eigene Studien. Sie legen nahe, dass sich Kupfer ohne Beisein von Sauerstoff im Grundwasser auflöst. Die Kapseln könnten folglich schneller als gedacht zerfallen, hochgiftige Nuklide in das Grundwasser und damit an die Oberfläche gelangen.
"Kupfer reagiert mit Chloriden und Sulfiden, aber auch mit dem Wassermolekül an sich", sagt Szakálos. "Das Material löst sich im Grundwasser auf. In unseren Experimenten können wir zeigen, dass die Korrosion 1000 oder gar 10.000 Mal schneller abläuft, als SKB in ihrer so genannten Sicherheitsanalyse angibt."
Zweifel an der Kupferkapsel
SKB weist die Kritik als Einzelmeinung zurück. In eigenen Laborversuchen sei es nicht gelungen, die behauptete Kupferkorrosion nachzuweisen. Die private Atomfirma gehört den Betreibern E.ON, Vattenfall und Fortum, die in Schweden für den Bau neuer Reaktoren werben. Die SKB-Eigner sind gesetzlich verpflichtet, ein Konzept zur sicheren Endlagerung ihres Atommülls zu entwickeln. Der Bau des Depots wird durch einen staatlich verwalteten Rücklagenfonds finanziert. Aus dem Fonds werden aber auch Forschungsprojekte finanziert, die SKB in Auftrag gibt.
Zweifel werden ignoriert
Mikael Karlsson, Vorsitzender des schwedischen Naturschutzbundes, spricht von einem Skandal. "Die Industrie wollte zeigen, dass sie den Atommüll entsorgen kann. Sie hat sich früh festgelegt und auch später jeglichen Zweifel ignoriert." Dabei werde die Kritik der Forscher immer lauter, sagt Karlsson. Umweltschützer monieren zudem, dass bei der Wahl des Standorts auf einer Halbinsel in der Ostsee vor allem die Interessen der Industrie berücksichtigt wurden. Die Gemeinde Östhammar habe die Erkundung nur deshalb zugelassen, weil das am langjährigen Atomstandort das AKW Forsmark läuft. "Der Bauantrag für das Endlager kommt zu früh", warnt Karlsson. "Wir brauchen dringend mehr unabhängige Forschung in diesem Bereich."
Ausstieg aus dem Atomausstieg
Die konservative Regierung hatte den langjährigen Konsens zum Atomausstieg 2009 gekippt. Seither werden die schwedischen Reaktoren massiv aufgerüstet. Laufzeitverlängerungen von 20 bis 30 Jahren sind geplant. Doch die Katastrophe in Japan hat auch im atomfreundlichen Schweden das Vertrauen in die Technik ins Wanken gebracht. Alarmiert von dem Forscherstreit hat die für die Genehmigung zuständige Aufsichtsbehörde eine internationale Expertenkommission berufen. Bis zum Bau des Endlagers dürfte also auch in Schweden noch viel Zeit vergehen.
Autor: Alexander Budde
Redaktion: Irene Quaile / Gero Rueter