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Zankapfel Strafgerichtshof

Klaus Dahmann14. Juni 2003

Der Streit zwischen den USA und den Verfechtern einer internationalen Verfolgung mutmaßlicher Kriegsverbrecher ist noch lange nicht zu Ende. Klaus Dahmann erklärt.

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Am 12. Juni 2003 hat der UN-Sicherheitsrat noch einmal guten Willen demonstriert: US-Bürger, die im Auftrag der Vereinten Nationen in aller Welt tätig sind, werden auch in den kommenden zwölf Monaten vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag Immunität genießen.

Zwölf Sicherheitsratsmitglieder stimmten dafür, drei enthielten sich: Deutschland, Frankreich und Syrien. Das Zähneknirschen war nicht zu überhören. Doch man wollte offensichtlich keine neuen Auseinandersetzungen mit Washington heraufbeschwören.

Ungeliebtes Völkerstrafrecht

Für Ärger sorgte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld beim NATO-Treffen in Brüssel: Belgien ist ins Visier geraten wegen eines nationalen Völkerstrafgesetzbuchs, das im engen Zusammenhang mit dem Internationalen Strafgerichtshof steht. Ähnliches gibt es auch in Deutschland. Diese Völkerstrafgesetze sind ambitioniert: Jede Person - egal welcher Nationalität - kann für Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord - egal wo begangen - vor ein belgisches oder deutsches Gericht gestellt werden.

So weit die Theorie. In der Praxis sind in Belgien ganz andere ins Visier der Justiz geraten: Israels Ministerpräsident Ariel Scharon beispielsweise - wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen während des Libanon-Krieges 1982. Und inzwischen auch zahlreiche US-Militärs, darunter General Tommy Franks - weil ihnen schwere Vergehen im Irak-Krieg vorgeworfen werden. Die Kritik der USA richtet sich offensichtlich nicht nur gegen Belgien, sondern gegen die internationale Gerichtsbarkeit insgesamt.

Washington prophylaktisch in Aufruhr

Zwar ist die Anklage gegen Scharon abgewiesen worden, und auch gegen die US-Militärs wird es wohl nicht zu einem Prozess kommen. Dennoch tobt man in Washington: Schon allein der Verdacht, es könne Kriegsverbrechen während der proklamierten "Befreiung des Irak" gegeben haben, ist für die US-Regierung ein Affront.

Und so ist es kein Wunder, dass Rumsfeld einen Hebel gesucht und gefunden hat, um Belgien vor den Bug zu schießen: Wenn US-Bürger Angst haben müssten, von der belgischen Justiz direkt aus dem NATO-Hauptquartier in Brüssel in Untersuchungshaft genommen zu werden, dann müsse eben die NATO woanders tagen. Auch Deutschland muss sich auf derartige Drohgebärden einstellen: Spätestens dann, wenn nämlich jemand auf die Idee kommt, hier Anklage gegen US-Militärs zu erheben.

Juristischer Fortschritt nicht mehr aufzuhalten

Fest steht: Der jetzt erreichte riesige Fortschritt im internationalen Recht - durch den Haager Gerichtshof und die nationalen Gesetze in Belgien und Deutschland - ist nicht mehr rückgängig zu machen. Das muss auch die US-Regierung begreifen. Auf lange Sicht ist der Versuch Washingtons, diese Revolutionierung der Welt-Justiz mit taktischen Manövern niederzumachen, zum Scheitern verurteilt.

Die erpresserischen Methoden zeigen nur, wie verzweifelt die derzeitige US-Regierung bemüht ist, zu retten, was noch zu retten ist. Die einzige Rettung wäre dabei so einfach: Washington müsste nur das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs ratifizieren. Denn das ist die einzig dauerhafte Garantie dafür, dass US-Bürger nur vor US-Gerichten angeklagt und verurteilt werden können: Den Haag wäre dann nicht zuständig. Das wäre eine Flucht nach vorn - zusammen mit den Europäern und allen anderen Verfechtern des internationalen Rechts.