Youtube ändert Richtlinien gegen Desinformation
3. Juni 2023Zwei Jahre nach der erklärten Absicht, Falschinformationen im Zusammenhang mit der Präsidentschaftswahl in den USA zu bekämpfen, hat die Onlineplattform Youtube eine Abkehr von ihren bisherigen Richtlinien angekündigt. Die Videoplattform, die zum Google-Konzern Alphabet gehört, werde "keine Inhalte mehr entfernen, die falsche Behauptungen über weitverbreiteten Betrug, Fehler oder Pannen bei der Präsidentschaftswahl 2020 und anderen vergangenen US-Wahlen aufstellen", teilte das Unternehmen in einem Blog-Eintrag mit.
"Zwei Jahre, Zehntausende von entfernten Videos und eine Wahlperiode später haben wir erkannt, dass es an der Zeit ist, die Auswirkungen dieser Politik in der heutigen, veränderten Landschaft neu zu bewerten", begründete das Unternehmen seinen Schritt. Die Entfernung der Inhalte dämme zwar "einige Falschinformationen" ein, könne aber auch "den unbeabsichtigten Effekt haben, die politische Meinungsäußerung einzuschränken".
"Für eine funktionierende demokratische Gesellschaft"
Die Möglichkeit, offen über politische Ideen zu diskutieren, selbst wenn diese umstritten seien oder auf unbewiesenen Annahmen beruhten, sei jedoch "für eine funktionierende demokratische Gesellschaft von zentraler Bedeutung - insbesondere inmitten der Wahlsaison", hieß es weiter.
Die aktualisierte Richtlinie tritt ab sofort in Kraft. Andere Regeln hingegen sollen offenbar bestehen bleiben, darunter das Verbot von Inhalten, die Wähler täuschen oder Menschen dazu verleiten könnten, demokratische Prozesse zu stören.
"Zunehmend polarisierte politische Landschaft"
Die Maßnahme stieß umgehend auf Kritik. Die unabhängige Organisation Free Press forderte Youtube auf, die "gefährliche Entscheidung" sofort zurückzunehmen. Die Onlineplattform liege "völlig falsch" mit ihrer Begründung zugunsten der Meinungsfreiheit. Vielmehr bedrohten Hass und Falschinformationen in einer zunehmend polarisierten politischen Landschaft "unsere Demokratie".
Youtube sei "eine der letzten großen Online-Plattformen" mit einer Richtlinie zur Eindämmung von Fehlinformationen zur Wahl 2020 gewesen, kritisierte auch die linksgerichtete Organisation Media Matters den Schritt. Das Unternehmen lasse damit "Leuten wie (Ex-Präsident, Anm. d. Red.) Donald Trump und dessen Erfüllungsgehilfen freie Hand, um weiterhin ohne Konsequenzen Lügen über die Wahl 2020 zu verbreiten".
Die politischen Debatten in den USA sind von spaltender Rhetorik, aggressivem Tonfall und teilweise von Desinformation geprägt. Etliche US-Tech-Riesen beschäftigt daher die Frage, wie Falschinformationen bekämpft werden können, ohne die Meinungsfreiheit einzuschränken.
Die nächste Präsidentschaftswahl ist für November 2024 angesetzt. Die Vorwahlen beginnen im Februar. Der Sieger der Republikaner-Vorwahlen wird Amtsinhaber Biden von der Demokratischen Partei herausfordern, der sich um eine Wiederwahl bewirbt. Auch Trump hat seine Bewerbung aufseiten der Republikaner schon angekündigt.
"Sie können weglaufen, aber sie können sich nicht verstecken"
Vor einer Woche hatte EU-Industriekommissar Thierry Breton mitgeteilt, dass sich der Kurzmitteilungsdienst Twitter nicht mehr an einen EU-Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation gebunden fühlt, den das Unternehmen zuvor mitgetragen hatte. Breton erklärte auf seinem eigenen Twitter-Account, die Verpflichtungen blieben dennoch bestehen: "Sie können weglaufen, aber sie können sich nicht verstecken."
Der Verhaltenskodex der Europäischen Union sieht regelmäßige Fortschrittsberichte von Digitalunternehmen vor, die etwa Daten über entgangene Werbeeinnahmen infolge abgelehnter politischer Anzeigen ausweisen müssen.
Nach dem Kauf von Twitter durch Tesla-Chef Elon Musk ist der Posten des Abteilungsleiters für Sicherheit und Integrität des Onlinedienstes bereits zum zweiten Mal vakant. Ella Irwin bestätigte am Freitag, dass sie ihren Job als Verantwortliche für die Moderation der Inhalte auf Twitter gekündigt habe. Irwin hatte den Posten erst im November von Yoel Roth übernommen, der Twitter nach der chaotischen Übernahme durch Musk mit mehreren anderen ranghohen Beschäftigten verlassen hatte.
jj/AR (dpa, rtr, ap)