Würgt der unruhige Arbeitsmarkt den Aufschwung ab?
29. November 2024Die deutsche Wirtschaft schwächelt - und das wird sich auch so schnell nicht ändern. Besonders besorgniserregend beim Blick auf das kommende Jahr sind die Ankündigungen von Unternehmen aus "Vorzeigebranchen", etwa der Autobauer, der Stahlkocher oder aus der Chemieindustrie, tausende Stellen zu streichen oder Werke ganz zu schließen.
Beispiel Automobilindustrie: So will das Management von Ford Deutschland 2900 Stellen streichen, derzeit sind es noch rund 12.000. Der Autobauer Volkswagen plant neben der Schließung von deutschen Werken den Abbau mehrerer tausend Arbeitsplätze. Die Autozulieferer Bosch, Continental und ZF Friedrichshafen wollen ebenfalls Standorte schließen und Arbeitsplätze abbauen.
Das vom Münchner Ifo-Institut ermittelte Beschäftigungsbarometer sank im zu Ende gehenden Monat November auf 93,4 Punkte, nach 93,6 Zählern im Oktober. Immer mehr Firmen stellen niemanden mehr ein und erwägen stattdessen Entlassungen, erklärt Ifo-Forscher Klaus Wohlrabe: "Die Industrie versucht, der Krise mit einer Mischung aus Kurzarbeit und Arbeitsplatzabbau zu begegnen"
Langsames Siechtum
Ist diese Belastung des Arbeitsmarktes nun eine Folge der schwachen Konjunktur - oder gibt es dafür auch andere Gründe? Und darüber hinaus: Ist der Verlust von Arbeitsplätzen ein Hemmschuh auf dem Weg zu neuem Wirtschaftswachstum - oder ist diese Tendenz vielleicht sogar hilfreich im Kampf um mehr Fachkräfte?
Jedenfalls kann eine höhere Zahl an Erwerbslosen nicht zu mehr Wachstum führen: Steuereinnahmen sinken und staatliche Transferleistungen steigen. Marc Schattenberg, Volkswirt bei Deutsche Bank Research, schreibt dazu in einem Newsletter: "Die gegenwärtige wirtschaftliche Schwäche wird zunehmend auch am Arbeitsmarkt sichtbar. Arbeitsplatzsorgen drohen zudem, die Konsumstimmung stärker zu belasten."
Für Dominik Groll, Arbeitsmarktexperte beim Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), sind die Arbeitslosenzahlen "ein Symptom für eine ganz breite Entwicklung. Sie steigen schon seit zwei Jahren und gleichzeitig stagniert die Wirtschaft." Der DW gegenüber fasst er zusammen: "Das ist so etwas wie ein langsames Dahinsiechen."
Deutschlands Bruttoinlandsprodukt klebt an der Null-Linie - von Aufschwung keine Spur
Die Stimmung wird immer trüber
Das Ifo-Institut gibt monatlich seinen Geschäftsklimaindex heraus, der bundesweit große Beachtung findet. Auch im Bericht für den November 2024 sucht man vergebens nach dem Licht am Ende des Tunnels: "Die Stimmung der Unternehmen in Deutschland hat sich eingetrübt", stellen die Ökonomen dort fest. Dies sei "vor allem auf die schlechtere Beurteilung der aktuellen Lage zurückzuführen. Die Erwartungen sanken geringfügig. Der deutschen Wirtschaft fehlt es an Kraft."
Bitter für die traditionell stark vom Export abhängige deutsche Wirtschaft sei die "Entwicklung des Auslandsgeschäfts. Am stärksten ist weiterhin die Metallindustrie betroffen, wo deutliche Rückgänge beim Export erwartet werden. Auch in der Automobilbranche rechnen die Unternehmen mit einer Verringerung, aber nicht mehr so stark wie noch im Vormonat. Im Maschinenbau gibt es seit Monaten eine leicht negative Tendenz."
Natürlich war es schon mal schlechter, aber von Hoffnung kündet das Geschäftsklima auch nicht.
Das deutsche Desaster
Auf die Frage, wie es dazu kommen konnte, wird meistens auf die Weltwirtschaft verwiesen. Das will Dominik Groll so nicht gelten lassen: "Das ist ein Deutschland-spezifisches Problem. In vielen anderen Ländern läuft es besser. Das heißt, äußerliche Gründe wie etwa die europäische Zinspolitik oder das internationale Umfeld sei schlecht - das kann nicht die Erklärung sein, dass Deutschland so heraussticht."
Dr. Ralph Solveen, vom Economic Research der Commerzbank, zieht zunächst zwar generelle äußere Umstände als Erklärung heran: "In erster Linie ist dies die Folge einer ungünstigen Konjunktur, also einer schwachen Nachfrage aus dem In- und Ausland." Doch er nennt der DW auch spezifisch deutsche Gründe, wie "die hohen Energiepreise, die zuletzt kräftig gestiegenen Arbeitskosten und die überbordende Bürokratie, die alle zusammen Deutschland als Investitionsstandort unattraktiver machen."
Krisenherd Arbeitsmarkt
Manch ein Optimist sieht in der steigenden Zahl von Entlassungen eine Chance, dem vielbeklagten Fachkräftemangel entgegenwirken zu können. Commerzbank-Ökonom Solveen widerspricht dem vehement. Zwar würden "derzeit auch Fachkräfte entlassen." Hauptsächlich aber, "passieren diese Arbeitsplatzverluste häufig in der Industrie, während die offenen Stellen eher im Dienstleistungssektor zu finden sind, wo andere Fähigkeiten erwartet werden.
Tom Krebs, Ökonomieprofessor an der Universität Mannheim, hat dagegen eigene Vorschläge zur Rekrutierung von Fachkräften. Auf eine entsprechende Frage der DW verwies er etwa auf "gut ausgebildete Frauen mit Kindern, die nur halbtags oder im Mini-Job arbeiten. Hier würde ein Ausbau der Ganztagsbetreuung an Kitas und Schulen helfen."
Eine andere Idee sei innerbetriebliche Weiterbildung. Dabei könnte eine "neue Tätigkeit ohne eine Zeit der Arbeitslosigkeit" erfolgen. Und vor allem ist ihm wichtig, dass zum Beispiel bei Volkswagen nicht die Arbeiter die Schuld an der Schieflage des Konzerns trügen, sondern dass "es klare Managementfehler" gab. Seine Forderung: "Zuerst einmal den gesamten VW-Vorstand austauschen, bevor wir Werksschließungen diskutieren."
Wieder attraktiv werden!
Bei der Analyse der aktuellen Krise ist Dominik Groll vom IfW wichtig, dass "die Schwäche vor allem in der Industrie zu beobachten ist, nicht bei den Dienstleistungen. Und da muss man schon von einer Strukturkrise sprechen." Als ein Beispiel nennt er die Konkurrenz aus Fernost: "Die Geschäftsmodelle, die in der Industrie viele Jahrzehnte erfolgreich waren, geraten unter Druck - unter anderem, weil etwa China die Maschinen, die es bislang aus Deutschland importiert hat, selbst herstellt."
Diese Strukturkrise könne man nur überwinden, wenn der Industrie von der Politik unter die Arme gegriffen werde: "Standortbedingungen müssen auf breiter Front verbessert werden: durch steuerliche Entlastung etwa oder durch Bürokratieabbau."
Ganz ähnlich sieht das auch Ralph Solveen von der Commerzbank. Der DW sagt er: "Das Wichtigste wäre, den Standort Deutschland wieder attraktiver für Investitionen zu machen." Dazu müssten die "Bürokratie abgebaut sowie Energie- und Arbeitskosten gesenkt werden. Letztere umfassen auch die Lohnnebenkosten wie Sozialbeiträge, die drohen, in den kommenden Jahren weiter massiv zu steigen."