1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wut und Angst

23. November 2011

Die Rede des Chefs des ägyptischen Militärrats, Oberst Tantawi sollte eigentlich die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo beruhigen. Doch das Gegenteil ist der Fall.

https://p.dw.com/p/13FHB
Protestesauf dem Tahrir-Platz in Kairo gegen den ägyptischen Militrärat (Quelle: AP/dapd)
Bild: dapd

"Irhal, Irhal", "verschwinde, verschwinde" schreit der Tahrir-Platz nach der Rede des Feldmarschalls Hussein Tantawi. Die Demonstranten sind wütend und akzeptieren keine halbherzigen Zugeständnisse, sie wollen den Rücktritt des Militärrats, nichts anderes.

In einer Fernsehansprache am Dienstagabend hat Tantawi angekündigt, die Präsidentschaftswahlen vorzuziehen, bereits Ende Juni 2012 statt Anfang 2013 zu wählen. Er hat den Rücktritt der Regierung Essams Sharaf akzeptiert und angeboten, ein Referendum abzuhalten, in dem abgestimmt werden soll, ob der Militärrat an der Macht bleiben darf.

Demonstranten fordern den Rücktritt des Militärrats

Doch die Demonstranten sind damit nicht zufrieden, sind misstrauisch. Denn bereits nach dem Rücktritt Mubaraks versprach der Militärrat innerhalb von sechs Monaten Parlamentswahlen abzuhalten. Acht Monate sind seither vergangen und gewählt ist noch keiner. "Das ist doch wieder nur ein Spiel. Der Militärrat findet doch immer eine Begründung, die Wahlen zu verschieben.", sagt Mohammed Ismail, einer der Protestierenden vom Tahrir.

Tantawi während seiner umstrittenen Rede (22. November) (Quelle: Middle East News Agency/AP/dapd)
Tantawi während seiner umstrittenen Rede (22. November)Bild: dapd

Und auch das angebotene Referendum stößt auf Kritik. "Was für eine absurde Idee", sagt eine Demonstrantin. "Wir wählen ein Parlament, einen Präsidenten und dann sollen wir noch ein Referendum abhalten?". Eine andere fügt hinzu "Tantawi will uns doch nur vom Tahrir weg haben, darum versucht er uns weiß zu machen, dass er nicht an der Macht bleiben will."

Tantawis Rede erinnert an Mubarak

Außer einem Rücktritt des Militärrats wird auf dem Tahrir-Platz nichts akzeptiert. Dafür ist es zu spät. Zu viel Blut wurde bereits vergossen; Blut, für das die Demonstranten politische Konsequenzen sehen wollen. "Wie kann ich einen Mann als Staatsoberhaupt länger akzeptieren, der ein Mörder ist", twittert ein Revolutionär. Und in der Tat erinnert die Rede von Tantawi stark an die erste Rede von Mubarak im Februar. Auch er hatte sich mit Lösungen an das Volk gewandt, die nach den blutigen Ereignissen lange überholt waren.

Doch die Rede hat den Demonstranten auch Sorge bereitet. Sie zielt auf Emotionen, schürt Zukunftsängste, wie das Land ohne einen Militärrat aussehen könnte, und trifft damit den Nerv des einfachen Volks. Das könnte sich gegen die Protestbewegung stellen, das würde ihr Ende bedeuten.

Polizei setzt gefährliches Gas ein

Während Tantawi im Fernsehen spricht, postet die aus dem Amt scheidende Regierung auf Facebook. Sie kündigt an, dass Polizei und Militär vom Tahrir und der Umgebung abgezogen werden. In der Nähe des Innenministeriums sieht das aber anders aus. Wie schon in den letzten vier Tagen feuert das Militär in einer Seitenstraße Gummigeschosse und scharfe Munition auf die Protestierenden, bewirft sie mit Tränengas. Im Minutentakt werden die Verletzten von Motorrädern aus dem Kampfgebiet ausgefahren. Über 600 Protestler sollen allein gestern verwundet worden sein, mindestens zwei Demonstranten wurden getötet.

Tränengas im Einsatz gegen Demonstranten (Quelle: AP/dapd)
Tränengas im Einsatz gegen DemonstrantenBild: dapd

Und es wird zur neuer Gewalt gegriffen. Nachdem die Menschenmenge auch nach der Rede Tantawis den Tahrir nicht verlassen will, macht sich ein merkwürdiges Gas in der Luft breit. Es ist nicht sichtbar, aber schmerzt am ganzen Körper. In Augen, Lunge und Haut. Bei manchen schlägt es auf das Augenlicht, sie sind für ein paar Minuten blind, andere ringen nach Luft, fallen in Ohnmacht. Rücksicht wird auf niemanden genommen, auch Kinder kämpfen mit dem Gas und das Gift gelangt bis in die Feldkrankenhäuser. In der Metrostation ist es besonders stark, es scheint aus dem Ventilatorensystem zu kommen. El-Baradei postet auf Twitter: "Ein Massaker findet statt. Tränen-, Nervengas und scharfe Munition werden gegen Zivilisten auf dem Tahrir verwendet."

Die Grausamkeiten des Militärrats machen die Demonstranten nur noch wütender. Gestern Nacht waren Sprechchöre auf dem Tahrir zu hören. "Wenn ihr es macht wie Syrien, machen wir es wie Libyen", riefen sie. Vom Tahrir-Platz wollen sie nicht weichen, komme was wolle.

Autorin: Viktoria Kleber, Kairo

Redaktion: Daniel Scheschkewitz