Wovor haben die Deutschen Angst?
7. September 2017Nein, ein Volk von Angsthasen - Stichwort German Angst - seien die Deutschen nicht. "Das ist eine Fehldiagnose", sagte Manfred G. Schmidt, Politikwissenschaftler und Leiter der Studie "Die Ängste der Deutschen" in Berlin. Die meisten Ängste hätten nämlich einen "realen Kern", so Schmidt. Die Befragten würden auf "Veränderungen der Großwetterlagen einigermaßen sachgerecht" reagieren. Die "Top-Ängste" der Deutschen seien so etwas wie "ungelöste Hausaufgaben" der Politik und Wirtschaft.
Auf Platz eins: Die überwiegende Mehrheit der Deutschen (71 Prozent) fürchte sich vor Terror, sagte Brigitte Römstedt, Pressesprecherin der R+V-Versicherung, von der die Studie nun schon zum 26. Mal finanziert wurde. Man könne sich nun fragen, warum der Wert so hoch sei, da die Wahrscheinlichkeit bei einem Autounfall zu sterben, schließlich statistisch gesehen höher läge als die, Opfer eines Terroranschlags zu werden. Der Grund sei, so Schmidt, dass sich die Befragten und Deutschen wohl generell um die Politik und die Gesellschaft sorgten und eher nicht so egozentrisch seien. Generell kennzeichne die Deutschen, dass sie Stabilität und Sicherheit liebten.
Auf Platz zwei und drei folgten, so Römstedt, weitere Ängste vor Gewalt. 61 Prozent haben der Studie zufolge Angst vor "politischem Extremismus". Das sei nach 1992 der zweithöchste Wert, betonte Römstedt. Wobei in der Frage nicht zwischen linkem und rechtem Extremismus differenziert worden sei. Als wohl typisch deutsche "Stabilitätsangst" findet sich auf Platz drei die Angst vor "Spannungen durch Zuzug von Ausländern".
Insgesamt weniger ängstlich
Als einen "bemerkenswerten Befund" stufte Schmidt die Einschätzung der rund 2400 Befragten zur Euro-Krise ein, die auf Platz vier gelandet ist. Anders als die Politik, die sage, die Krise sei unter Dach und Fach, hätten die Bürger einen realistischen Blick auf die Gefahr, am Ende doch mit Milliardenbeträgen für Schulden in der EU aufkommen zu müssen. Insgesamt aber sind auch die "Top-Ängste" zurückgegangen. Deshalb ist auch der Angst-Index von 52 auf 46 gesunken.
Zwei Arten von Angst machen eine Ausnahme: Vor Schadstoffen in Lebensmitteln und vor Naturkatastrophen fürchten sich nun mehr Bürger. Da die Befragungen im Juli 2017 stattfanden, schlage sich der aktuelle Skandal um verseuchte Eier darin nicht nieder. Schmidt erklärt sich das Ergebnis mit einer allgemein gestiegenen medialen Berichterstattung über Umweltthemen.
Wirtschaftliche Sorgen auf Rekordtief
Beim Blick auf die wirtschaftliche Lage sorgen sich mit 37 Prozent vergleichsweise wenige Bürger. Die Sorge vor dem Verlust der eigenen Arbeitsstelle ist mit 27 Prozent so gering wie noch nie. Sie ist gegenüber dem Vorjahr um 17 Prozentpunkte gesunken und jetzt auf dem vorletzten Platz. Das spiegele die bessere Wirtschaftslage wieder, erklärte Studien-Autor Schmidt. Der Trend zu sinkenden Arbeitslosenquoten und mehr Jobs sei nun schon seit 2005 "ganz massiv".
Diese Entwicklung sei auch im Osten Deutschlands messbar, wo die Arbeitslosenquote traditionell höher als im Westen liege. Generell haben die Studien-Autoren in diesem Jahr erstmals auf eine Unterscheidung zwischen Ost und West verzichtet, da die Unterschiede marginal seien, ähnlich wie die zwischen den weiblichen und männlichen Befragten, hieß es zur Begründung.
Überraschenderweise ließen sich bestimmte Ängste kaum bestimmten Parteianhängern zuordnen. "Mit den Ergebnissen kann man nicht die AfD erklären", betonte Schmidt. Auf lange Sicht zeige sich, dass in Deutschland Sorgen zur Sozial- und Umweltpolitik von der Politik sehr ernst genommen würden.
Nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers gebe es aber auch Sorgen, die "werden von der Politik ziemlich konsequent ignoriert". Die Flüchtlingskrise sei neben der Euroschuldenkrise ein Beispiel dafür.