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Wohnungseinbruch mit staatlicher Lizenz?

23. August 2024

Das Bundeskriminalamt will zur Terrorabwehr heimlich in Wohnungen einbrechen. Doch das ist verboten. Innenministerin Nancy Faser plant eine Gesetzesänderung.

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Eine schattenhaft wahrnehmbare Person hinter einem verschlossenen Fenster versucht mit einem Stemmeisen in die Wohnung einzudringen
Wohnungseinbruch im staatlichen Auftrag? Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser will das in Ausnahmefällen ermöglichenBild: Jochen Tack/IMAGO

Das Szenario erinnert auf den ersten Blick an eine Methode des Ministeriums für Staatssicherheit in der kommunistischen DDR-Diktatur, als Deutschland bis 1990 geteilt war. Damals drang die kurz Stasi genannte Geheimpolizei heimlich in Wohnungen mutmaßlicher Regime-Gegner ein. Unbemerkt wurden Telefone manipuliert, um Gespräche mithören und aufzeichnen zu können.

Für absolute Ausnahmefälle will das auch die deutsche Innenministerin Nancy Faeser Ermittlern ermöglichen. Aber ganz anders als bei der willkürlich agierenden Stasi soll das gesetzlich vom Parlament legitimiert werden. Die Sozialdemokratin möchte das Bundeskriminalamt (BKA) ermächtigen, notfalls in Wohnungen terrorverdächtiger Personen einzudringen, um in deren Smartphones und Computern Spähsoftware zu installieren.

Angst vor islamistischem Terror in Deutschland

Ein Sprecher Faesers rechtfertigte die Pläne in der Regierungspressekonferenz mit der Bedrohungslage, in der sich Deutschland befinde, insbesondere wenn es um den islamistischen Terrorismus gehe. "In dem Zuge ist es aus unserer Sicht völlig selbstverständlich, dass die Sicherheitsbehörden entsprechende Befugnisse haben müssen, um dem begegnen zu können", sagte er.

Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser sitzt in einem weißen Jackett mit erhobenem Zeigefinger vor einer blauen Wand
Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser meldet sich mit Gesetzesplänen für heimliche Wohnungseinbrüche zu Wort Bild: Frederic Kern/Geisler-Fotopress/picture alliance

Details zum Gesetzentwurf nannte der Pressesprecher unter Verweis auf regierungsinternen Klärungsbedarf keine. Klärungsbedarf dürfte es vor allem mit dem von Marco Buschmann (FDP) geführten Justizministerium geben. Was Buschmann von der Idee seiner Kabinettskollegin hält, verkündete er wenig später in den sozialen Medien: "Es wird keine Befugnisse zum heimlichen Schnüffeln in Wohnungen geben. Im Staat des Grundgesetzes machen wir so etwas nicht. Das wäre ein absoluter Tabubruch. Als Verfassungsminister lehne ich solche Ideen ab."

FDP will keine schärferen Gesetze

Heimliche Wohnungseinbrüche mit staatlicher Lizenz, so scheint es, bleiben in Deutschland also vorerst verboten. Zumindest so lange, wie die Freien Demokraten (FDP) Teil der Bundesregierung sind. Die Verteidigung der Grundrechte gehört zum Markenkern der liberalen Partei. Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus und andere Formen der Schwerstkriminalität ist nach ihrer Überzeugung auch ohne weitere Gesetzesverschärfungen möglich.

Völlig wehrlos sind die Sicherheitsbehörden tatsächlich nicht, denn das sogenannte Verwanzen elektronischer Geräte verdächtiger Personen ist auch ohne Wohnungseinbruch möglich und unter bestimmten Voraussetzungen legal: mit Hilfe des sogenannten Bundestrojaners. Als Trojaner werden vermeintlich harmlose Computer-Programme bezeichnet, die unbemerkt schädliche Software auf den Geräten ahnungsloser Nutzerinnen und Nutzer installieren.

Hacker im Auftrag des Staates

Heimliche Online-Durchsuchungen sind erlaubt

Auf diese Weise ist es der Polizei in Deutschland seit 2017 erlaubt, die Wohnungen verdächtiger Personen im Rahmen einer sogenannten Online-Durchsuchung zu überwachen. Allerdings muss jede einzelne Maßnahme von einem Gericht genehmigt werden oder in besonders eilbedürftigen Fällen von einer Staatsanwaltschaft.

In Paragraph 100 der Strafprozessordnung ist detailliert beschrieben, welche Straftaten mit Hilfe der Online-Durchsuchung verfolgt werden dürfen. Die Liste ist lang: Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats, Bildung krimineller Vereinigungen, Mord, Sexualdelikte, Drogenschmuggel, Geldwäsche, Schleuserkriminalität, Asylmissbrauch. Kurz: alle Formen von Schwerstkriminalität.

Wegweisendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Die Zahl der Online-Durchsuchungen liegt nach offiziellen staatlichen Angaben seit Jahren im niedrigen zweistelligen Bereich. Anlass sind meistens Drogendelikte. Umstritten ist diese Form der Überwachung seit jeher. Als wegweisend gilt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2008. Damals wurde die Online-Durchsuchung zwar erlaubt, aber nur wenn "überragend wichtige Rechtsgüter" wie Menschenleben oder der Bestand des Staates konkret gefährdet sind.

Eine Polizistin trägt im Jahr 2020 während einer Hausdurchsuchung einen hellbraunen Pappkarton nach draußen. Wegen der damals grassierenden Corona-Pandemie hat sie ihren Mund mit einer weißen Maske bedeckt, um sich zu schützen
Nach dem millionenschweren Kunstdiebstahl im Grünen Gewölbe in Dresden kam es 2020 zu zahlreichen WohnungsdurchsuchungenBild: Wolfgang Kumm/dpa/picture alliance

Heimliche Wohnungsdurchsuchungen sind in der Kriminalitätsbekämpfung statistisch betrachtet also eine absolute Ausnahme. Ganz anders sieht es bei offenen Wohnungsdurchsuchungen aus, sie gehören zum Alltag der Polizei. Auch sie müssen von einem Gericht oder der Staatsanwaltschaft angeordnet werden.

Offene Hausdurchsuchungen an der Tagesordnung

In der Regel finden solche Durchsuchungen im Beisein der verdächtigten Person statt. Manche Fälle sorgen für Schlagzeilen, wenn Medien dabei sind und die Verdächtigen filmen oder fotografieren. Ein Beispiel ist der Chef des rechtsextremen "Compact"-Magazins, das Innenministerin Nancy Faeser im Juli 2024 verboten hat. Um Beweismittel zu sichern, wurde unter anderem Elsässers Haus durchsucht. 

Ob die Aktion erfolgreich war, wird sich zeigen, wenn das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig abschließend über den Fall entscheidet. Vorläufig darf das Magazin wieder erscheinen, weil das Gericht mit Blick auf die Presse- und Meinungsfreiheit Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des Verbots hatte.

Jürgen Elsässer, Chef des rechtsextremen "Compact"-Magazins steht vor seinem Haus, das gerade durchsucht wird und äußert sich gegenüber Journalisten. Vermummte Polizisten im Hintergrund beobachten die Situation
16. Juli 2024: öffentliche Hausdurchsuchung beim Chef des rechtsextremen "Compact"-MagazinsBild: Sven Kaeuler/tnn/dpa/picture alliance

"Gesichert rechtsextrem" bedeutet: Online-Durchsuchung möglich

Trotz dieses Teilerfolgs für Elsässer könnte sein Haus theoretisch heimlich durchsucht werden, denn sein "Compact"-Magazin wurde 2021 vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" eingestuft. Damit sind sogenannte verdeckte Ermittlungen erlaubt. Dazu gehört auch das Eindringen in die Wohnung, aber eben bislang nur aus der Ferne über den Staatstrojaner.

Bundesjustizminister Buschmann bekräftigte inzwischen seine Absage an Bundesinnenministerin Faeser, auch heimliche Wohnungseinbrüche zu ermöglichen. "Die Heimlichkeit wiegt im Vergleich zu einer offenen Durchsuchung besonders schwer, weil man sich als Bürger nicht gegen ungerechtfertigte Vorwürfe wehren kann", begründete Buschmann dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" (RND) seine ablehnende Haltung.

Justizminister sorgt sich um das Vertrauen in den Rechtsstaat

Zu solchen Mitteln habe der Staat nicht einmal zu Zeiten ständiger Entführungen, Sprengstoffattentaten und Morden der Roten Armee Fraktion (RAF) gegriffen. Er mahne daher zu Verhältnismäßigkeit. "Wenn jedoch ein Gesetz erlaubt, dass der Staat heimlich in eine Wohnung einbrechen kann, um sie zu durchsuchen, werden viele Menschen ihr Vertrauen in den Rechtsstaat verlieren", warnt Buschmann.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland