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PolitikEuropa

Wofür stehen die Rechtsaußen-Parteien im EU-Parlament?

19. August 2024

Rechtspopulistisch, rechtsextrem, nationalkonservativ - in der EU gibt es zahlreiche Parteien, die dem Rechtsaußen-Lager zugerechnet werden. Wie kann man sie einordnen? Was haben sie gemeinsam - und was nicht?

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Europawahl 2024 | EU Fahnen
Im neu gewählten EU-Parlament gibt es drei Fraktionen, die rechts außen im politischen Spektrum stehen. Bild: Dwi Anoraganingrum/Panama Pictures/IMAGO

Innerhalb des EU-Parlaments sammeln sich die Parteien des Rechtsaußen-Lagers im Wesentlichen in drei Fraktionen. Insgesamt sitzen in diesen Fraktionen um die vierzig Parteien aus ganz Europa, die dem rechten beziehungsweise Rechtsaußen-Spektrum zugerechnet werden. Ähnlich zahlreich sind die Attribute, welche Journalisten und Wissenschaftlerinnen ihnen zuschreiben.

Der rechtsnationale französische Rassemblement National von Marine Le Pen, die nationalkonservative Fidesz-Partei von Viktor Orban aus Ungarn, die nationalistische Lega aus Italien und die rechte Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) sitzen gemeinsam mit anderen Parteien in der neu gegründeten Fraktion "Patrioten für Europa". Mit 84 Mitgliedern und mehr als einem Dutzend Parteien ist sie die personell größte dieser Gruppen.  

Giorgia Melonis ultrarechte Fratelli d'Italia und die polnische nationalkonservative Recht und Gerechtigkeitspartei (PiS) sind die größten Parteien in der rechtskonservativen Fraktion der "Europäischen Konservativen und Reformer" (EKR). Sie hat 78 Abgeordnete aus rund zwanzig Parteien und bezeichnet sich auf ihrer Webseite selbst als "Mitte-Rechts-Partei".

Neues rechtspopulistisches Bündnis in EU-Parlament
Ende Juni stellen der tschechische ANO-Vorsitzende Andrej Babis, Herbert Kickl von der FPÖ und Ungarns Premier Viktor Orban ihr "Patriotisches Manifest" in Wien vor. Bild: TOBIAS STEINMAURER/APA/picturedesk.com/picture alliance

Die vom Bundesverfassungsschutz in Teilen als gesichert rechtsextrem eingestufte Alternative für Deutschland (AfD), die EU-skeptische und nationalistische bulgarische Wasraschdane („Wiedergeburt“), Polens rechtsradikale Konfederacja und fünf weitere Parteien bilden die Fraktion "Europa der Souveränen Nationen" (ESN). Insgesamt stellt die Gruppe 25 Abgeordnete. 

"Ultranationalismus" als gemeinsamer Nenner 

Politikwissenschaftler Michael Minkenberg von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) meint, dass die beste Umschreibung für diese Parteien der Begriff "rechtsradikal" ist. Darunter versteht er eine Gruppe aus Parteien und Politikern am rechten Rand des politischen Spektrums, die eine "ultranationalistische Ideologie" verträten. Also in antiliberaler und potenziell antidemokratischer Weise die Verteidigung des nationalen Territoriums, der Kultur und der Bevölkerung proklamierten. Sie hätten gemeinsam, dass sie zuwanderungsfeindlich seien, den Islam bekämpfen wollten und der EU kritisch bis feindlich gegenüberstünden.

Neben ihrer "ultranationalistischen Haltung“, sagt Michael Minkenberg gegenüber der DW, eine die drei rechten Fraktionen im Europaparlament, dass sich diese auch gegen diejenigen richteten, die politisch auf der anderen Seite stünden und beispielweise Zuwanderung zuließen und Grenzen öffnen wollten und stark pro-europäisch seien. 

Europa vor dem Rechtsruck?

Auch Oliver Drewes, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Extremismusforscher an der Universität Trier, sieht als Wesensmerkmal von Rechtsaußen-Politik in der EU "eine Fokussierung auf den Nationalstaat als Referenzgröße". Dieser bleibe identifikationsstiftend und die sogenannte Supranationalität - also das Verlagern von Politikkompetenzen auf EU-Ebene - werde durch diese Parteien abgelehnt. Der Fokus liege vielmehr auf der eigenen Nation. 

Wie spiegelt sich das in den Prioritäten der Parteien wieder?

Die Fraktion "Patrioten für Europa" nennt auf ihrer Website unter anderem als Hauptziele das "Schaffen von Frieden in Europa", eine "kontrollierte Migration" sowie den "Schutz der nationalen Souveränität", ohne dies weiter auszuführen. Ende Juni schrieben die "Patrioten" in ihrem Gründungsmanifest, die politische Bruchlinie verlaufe zwischen Zentralisten, die einen neuen "europäischen Superstaat" verkündeten, sowie den Patrioten und Souveränisten, welche für das von ihnen geschätzte "Europa der Nationen" kämpften. Sie wollten ein Europa sehen, welches entschlossen ist, "die illegale Einwanderung zu stoppen und seine kulturelle Identität zu bewahren".

Die EKR nennt als Priorität auf ihrer Webseite explizit den "Schutz der nationalen Identität". Unter "Wahrung der Souveränität der Mitgliedstaaten" will sie die EU "modernisieren" und wendet sich gegen eine weitere Machtkonzentration in Brüssel. Auch nennt sie die Implementierung eines "ganzheitlichen Ansatzes gegen die illegale Migration" als Priorität, bei der auch die Bekämpfung von Fluchtursachen in den Herkunftsstaaten eine Rolle spiele.

Rechtspopulismus EU: Meloni und Orban
Auch wenn sich Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und Ungarns Premier Viktor Orban auf einem EU-Gipfel im März sichtlich gut verstehen: Experten halten es für unwahrscheinlich, dass sich ihre beiden Fraktionen im EU-Parlament zusammentun. Bild: Geert Vanden Wijngaert/AP/picture alliance

Die ESN-Fraktion hat, soweit ersichtlich, ihre politischen Prioritäten bislang nicht veröffentlicht. Einiges lässt sich jedoch schon am Fraktionsnamen "Europa der Souveränen Nationen" ableiten. Nach der ersten Plenarsitzung im Juli postete ihr Fraktionschef René Aust auf X, die Partei habe ihre Arbeit aufgenommen und den EU-Bürokraten "Dampf gemacht". Auf seiner Webseite spricht sich der AfD-Abgeordnete mit Blick auf die Migration für den Ausbau einer "Festung Europa", also für eine konsequentere Abschottungspolitik, aus. Dies sei "unverhandelbar" für "jeden, der die europäische Zivilisation und die europäischen Kulturen schützen" wolle. 

Warum schließen sich die drei Rechtsaußen-Fraktionen nicht zusammen?

Bei ihren Zielen finden sich in den drei rechten EP-Fraktionen also durchaus Gemeinsamkeiten. Und doch haben sie sich - trotz anderslautender Gerüchte vor den EU-Wahlen - nicht zu einer gemeinsamen Fraktion zusammengeschlossen. 

Eine solche Allianz hält Politikwissenschaftler Drewes aufgrund ideologischer, taktischer und persönlicher Differenzen auch für eher unwahrscheinlich. Ein zentraler Punkt sei beispielsweise die Haltung gegenüber Russland. Während einige Parteien, die großenteils in der EKR vertreten sind, eine anti-russische Haltung verträten, gölten andere Parteien, die bei den "Patrioten Europas“ und in der ESN sitzen, als russlandfreundlich, erläutert Drewes im Gespräch mit der DW.

Michael Minkenberg denkt, dass Parteien mit ultranationalen Zügen Zusammenschlüsse und Absprachen auf transnationaler Ebene schwerfallen. Die nationalen Egos, sagt der Politikwissenschaftler, seien so stark ausgeprägt, dass es immer Reibungen geben werde. Er rechnet in der Zukunft eher mit weiteren Abspaltungen als mit Fusionen.

DW Mitarbeiterin Lucia Schulten
Lucia Schulten Korrespondentin in Brüssel