"Gemeinsam die Kurve kriegen"
10. April 2013Jeden Dienstagvormittag kommen mehr als 100 Menschen in das ökumenische Kirchenzentrum in Hannover-Mühlenberg. Auf vier langen Tischen haben 15 ehrenamtliche Mitarnbeiter Obst und Gemüse, frisches Brot und abgepackten Aufschnitt ausgelegt. "Es kommen Leute her, die Hartz IV oder andere Sozialleistungen bekommen oder die einfach nur eine geringe Rente haben", berichtet Dirk Kroll, Ständiger Diakon der katholischen Maximilian-Kolbe-Gemeinde. "Das sind Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, einige Ältere, aber auch Familien mit vielen Kindern." Seit 13 Jahren bietet die Gemeinde die Tafel für Bedürftige auf dem Mühlenberg an – einem sozialen Brennpunkt in der niedersächsischen Landeshauptstadt. Regina Zimmermann gehört zu den Ehrenamtlichen, die schon von Anfang an dabei sind. Viele der Menschen, die sich hier dienstags mit Obst und Gemüse die Taschen füllen, kennt sie schon seit Jahren. Sozusagen Stammkunden. Bei denen, die nur zeitweilig kamen, habe sie. Dann hat man das Gefühl, "die konnten die Kurve kriegen und die haben jetzt andere Lebensentwürfe." Das sei dann ein gutes Gefühl."
Engagiert für das Leben
Die Tafel auf dem hannoverschen Mühlenberg ist ein Projekt nach dem Geschmack von Cornelia Coenen-Marx. Die Oberkirchenrätin ist im Kirchenamt der EKD, der Evangelischen Kirche in Deutschland, Chefin der Bereiche "Kirchliche Sozialpolitik" und "Woche für das Leben". Seit 1991 gibt es diese Aktion – zunächst gestartet von der katholischen Deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, also dem katholischen Dachverband kirchlicher Laien. 1994 schloss sich dann die EKD der Aktion an. "Anfangs ging es um die Bedrohung des Lebens wie zum Beispiel bei der Abtreibung, dann aber auch um Themen wie Sterbehilfe und Sterbebegleitung", erläutert die evangelische Kirchenfrau. "Die Kirchen hatten das Gefühl, dass mit dem Wert des Lebens nicht mehr achtsam genug umgegangen wird."
Die Themenschwerpunkte haben sich in den vergangenen Jahren verschoben. So ging es auch um Suchtproblematik, Pflegenotstand und Kinderbetreuung. In diesem Jahr steht die Woche vom 13. bis zum 20. April unter dem Motto "Engagiert für das Leben: Zusammenhalt gestalten". Man habe sich für diesen Schwerpunkt entschieden, weil hierzulande immer mehr Menschen vereinzeln und immer weniger auf die Unterstützung durch ihre Familie bauen können. Das Verwurzeltsein im traditionellen Familienstrukturen sei "in den letzten zehn Jahren enorm zurückgegangen", sagt Cornelia Coenen-Marx. Nur noch 64 Prozent der Deutschen gäben an, dass sie im Notfall auf jemanden aus ihrer Familien zurückgreifen können. "Das heißt: Wir brauchen viel mehr Initiativen vor Ort, Nachbarschaften, Kirchengemeinden, die Halt geben und das wollen wir gern fördern."
Zum Beispiel mit Initiativen an der Basis der Bevölkerung wie die Tafel des ökumenischen Kirchenzentrums in Hannover. Regina Zimmermann sortiert dort gerade die Kohlrabi, die mit einem Kleinlaster angeliefert wurden. "Da ist immer noch viel Abfall dabei", sagt die rüstige Rentnerin und rupft die verwelkten Blätter der Kohlrabi ab. Die Nachfrage ist groß. "An manchen Tagen seien nach 80 Kunden bestimmte Dinge nicht mehr vorrätig, obwohl draußen noch 40 weitere warten. Aber wir versuchen, die Mengen so zuzuteilen, dass es für alle irgendwie reicht." Dass der Andrang der Bedürftigen während der 13 Jahre immer größer geworden ist, bestätigt auch der katholische Diakon Dirk Kroll. "Heute kommen viermal so viele wie in den Anfangsjahren."
Nicht nur Einzelhilfe
Die Tafel passt zum Konzept der "Woche für das Leben". Doch es dürfe nicht nur um individuelle Hilfe gehen, betont Cornelia Coenen-Marx. Die Kirchen müssten sich auch politisch einmischen und sich dafür einsetzen, dass beispielsweise den Kommunen mehr Geld zur Verfügung gestellt werde, damit die ihre sozialen Aufgaben wahrnehmen zu können.
Im kommenden Jahr will sich die "Woche für das Leben" wieder mehr ihrem Ursprung annähern. Dann soll es um den Anfang des Lebens gehen: Um Themen wie Präimplantationsdiagnostik, um Embryonenschutz und Genscreening. "Das sind heiße Debatten. Und die katholische und die evangelische Kirche sind an der Stelle auch nicht immer der gleichen Meinung", räumt Cornelia Coenen-Marx ein. Das mache es nicht gerade einfacher, eine ökumenische Aktion zu veranstalten. "Aber wir glauben, dass es wichtig ist, eine gesellschaftliche Diskussion anzustoßen und dass es vielleicht auch niemand besser kann als die Kirchen."