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PolitikChina

Wo ist Chinas Außenminister?

Yuchen Li
20. Juli 2023

Seit über drei Wochen wurde Qin Gang nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen. Das politische Peking schweigt und gibt damit weiten Raum für Spekulationen.

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Der chinesische Außenminister Qin Gang, hier bei einer Pressekonferenz in Deutschland, April 2023
Abgetaucht: der chinesische Außenminister Qin GangBild: SUO TAKEKUMA/AFP

Drei Wochen ist es her, dass der chinesische Außenminister Qin Gang keinen öffentlichen Auftritt mehr absolviert hat. Zuletzt gesehen wurde er am 25. Juni.

Als der 57-Jährige sein Amt im Dezember antrat, war er einer der Jüngsten, die in der Geschichte Chinas jemals in diese Position berufen wurden. Weithin galt er als enger Vertrauter des chinesischen Präsidenten Xi Jinping.

Letzte Woche äußerte sich das chinesische Außenministerium erstmals offiziell zu Qins Abwesenheit. Aus "gesundheitlichen Gründen" werde er nicht am ASEAN-Außenministertreffen in Indonesien teilnehmen, hieß es.

China schickte daraufhin Qin Gangs Amtsvorgänger, den in der Parteihierarchie über ihm stehenden Wang Yi, zu dem Treffen.

Auf die Frage, wann Qin auf seinen Posten zurückkehren wird, antwortete das chinesische Außenministerium nur ausweichend. Die Sprecherin Mao Ning erklärte am Montag, sie könne "keine Informationen" zur Verfügung stellen. Chinas diplomatische Aktivitäten würden "wie üblich" fortgesetzt.

Auch der chinesische Botschafter in den USA, Xie Feng, gab sich zugeknöpft. Auf die Frage, ob der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger, derzeit in Peking zu Besuch, sich mit Qin getroffen habe, antwortete er kurz: "Nun, warten wir es ab". Weiter ging er auf die Frage nicht ein.

Henry Kissinger zu Gast Xi Jinping, Peking, 20.7.23
Im Gespräch mit dem chinesischen Präsidenten, aber wo ist dessen Außenminister? Henry Kissinger zu Gast bei Xi Jinping, Peking, 20.7.23Bild: China Daily/REUTERS

"Versagen der chinesischen Diplomatie"

Es kommt nicht selten vor, dass prominente Persönlichkeiten in China mit einem Mal aus der Öffentlichkeit verschwinden, um später ohne klare Erklärung wieder aufzutauchen. Kurz bevor er 2012 Chinas Staatsoberhaupt wurde, war sogar Präsident Xi selbst für zwei Wochen aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwunden.

Dennoch sei das Verschwinden Qins aufgrund seiner Position sowie des Zeitpunkts seiner Abwesenheit recht ungewöhnlich, sagen Analysten.

"Als chinesischer Außenminister muss er häufig auf der internationalen Bühne auftreten, insbesondere zu einer Zeit, in der Chinas diplomatischer Terminkalender äußerst dicht ist", sagt Deng Yuwen, ehemals Redakteur einer Zeitung der Kommunistischen Partei und gegenwärtig Kommentator für aktuelle Themen in den USA, im DW-Interview.

So wäre es gerade jetzt nötig, dass Qin Giang Präsenz zeigt. Nach der Lockerung der COVID-19-Beschränkungen erholt sich die chinesische Wirtschaft langsamer als erwartet. Umso mehr bemüht sich die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, durch eine Vielzahl diplomatischer Aktivitäten Investitionen anzuziehen.

Die Abwesenheit eines hochrangigen Amtsträgers wie des Außenministers - ohne jede Erklärung - sei "ein Versagen der chinesischen Diplomatie", sagt der chinesische Polit-Kommentator Wu Qiang. Dieses könne bei den einheimischen Unternehmen Unzufriedenheit mit der Regierung auslösen.

Junge Chinesen drängen sich vor Aushängen, auf denen Arbeitsmöglichkeiten angeboten werden.
Wirtschaft unter Druck. Junge Chinesen auf Jobsuche.Bild: Ren Quanjun/picture-alliance/dpa

Brodelnde Gerüchteküche

Die Abwesenheit Qin Gangs wirkt sich bereits auf die diplomatischen Aktivitäten des Landes aus. So wurden vor zwei Wochen die geplanten Gespräche zwischen Qin und dem Außenpolitikchef der Europäischen Union, Josep Borrell, verschoben. Über die Terminänderung setzte China die EU nur zwei Tage vor Borrells geplantem Besuch in Kenntnis, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf eine namentlich nicht genannte Quelle.

Auch nahm Qin Gang nicht an diplomatischen Gesprächen zwischen chinesischen und US-amerikanischen Spitzenpolitikern teil, darunter US-Finanzministerin Janet Yellen und der Klimabeauftragte John Kerry.

Umso mehr spekulieren Diplomaten, politische Analysten und die chinesische Öffentlichkeit über die Hintergründe von Qins Verschwinden.

Auf Weibo, dem chinesischen Äquivalent zu Twitter, wurden Videoclips mit den Antworten der Außenamtssprecherin Mao auf Fragen zu Qins Terminen zehntausende Male aufgerufen.

Aufmerksamkeit erregte vor allem ein Clip. Auf die Frage, ob Qin gemeinsam mit Wang Yi im kommenden Monat am  BRICS-Treffens in Südafrika teilnehmen werde, und dann auch die Türkei, Kenia und Nigeria besuchen werde, antwortete sie, sie habe zu Wangs Besuch alles gesagt und nun "nichts mehr hinzuzufügen ".

"Irgendetwas ist definitiv schiefgelaufen", kommentierte ein Nutzer unter dem Clip. Ein anderer schrieb: "Höchstwahrscheinlich wird gegen ihn ermittelt."

Chinesische Kommentatoren im Ausland äußerten die Vermutung, Qins Abwesenheit könnte auf eine Affäre mit einer Fernsehmoderatorin zurückgehen. Es sei allerdings schwierig, solche Spekulationen zu belegen, so Kommentator Deng Yuwen gegenüber der DW.

John Kerry und der chinesische Vizepräsident Han Zeng, Peking, 19.7.2023
Klimaschutz als Außenpolitik: John Kerry und der chinesische Vizepräsident Han Zeng, Peking, 19.7.2023Bild: Zhang Ling/Xinhua/AP/picture alliance

Unerfüllte Erwartungen

Beobachter sind der Ansicht, dass die Frage, ob Qin wieder auftauche, nicht der springende Punkt sei. Vielmehr spreche der Vorfall bereits jetzt Bände über den Zustand der Regierung Xi.

Das plötzliche Verschwinden von Qin sei "höchst beunruhigend", so Wu gegenüber der DW. Denn es deute darauf hin, dass Peking sich auf eine "geheimnisvolle und unberechenbare" autokratische Führung zubewege.

Als Xi Jinping seine dritte Amtszeit als Chinas Präsident antrat, umgab er sich mit Loyalisten, um einen starken politischen inneren Kreis um sich zu bilden. Qin galt als einer von ihnen.

Bereits nach nicht einmal zwei Jahren als chinesischer Botschafter in den USA wurde Qin im vergangenen Jahr zum chinesischen Außenminister ernannt. Eine seiner vornehmsten Aufgaben sei es gewesen, die Beziehungen zu Washington zu stabilisieren, so Wu.

Diese Erwartungen erfüllten sich jedoch nicht: Seit dem Abschuss eines mutmaßlichen chinesischen Spionageballons über dem Hoheitsgebiet der USA eskalierten die Spannungen zwischen beiden Ländern. Auch die Streitigkeiten über die von den USA und ihren Verbündeten verhängten Exportkontrollen für chinesische Computer-Chips dauern an. Das der Erfolg ausgebleiben ist, könnte eine mögliche Ursache für Qins Verschwinden sein, so Wu gegenüber DW.

Wenn Qin bis Ende des Monats nicht wieder auftaucht, "kann ich fast davon ausgehen, dass seine politische Karriere zu Ende ist", sagt Deng.

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.