Wissenschaft als Bühnenshow
14. September 2010Donnerstagabend im Kölner Club "Bogen 2". Dicht gedrängt stehen die Besucher im Thekenraum, die meisten sind Studierende. Alle Augen sind auf eine kleine Bühne gerichtet. Wo sonst Musikbands auftreten, steht heute Manuel Lorenz, um die Dreißig und Mittelalter-Historiker aus Freiburg. Doch Lorenz macht weder Musik noch klassische Kleinkunst.
"Gravitationslinseneffekt" und "konfokales Fluoreszens-Mikroskop"
Manuel Lorenz ist Doktorand. Und in den nächsten zehn Minuten macht der Geschichtswissenschaftler das, was er besonders gut kann: dozieren. Über die Katharer, eine Religionsbewegung aus dem 12. Jahrhundert. Doch er spricht nicht langatmig und wissenschaftlich fundiert wie an der Uni oft üblich. Er hält eine rotzig-freche Rede über die Katharer, die er publikumswirksam mal mit Jimi-Hendrix-Jüngern und dann wieder mit Kiffern heute vergleicht.
Der Jungwissenschaftler aus Freiburg tritt zum "Science Slam" an. Will er gewinnen, muss er sich heute Abend gegen seine drei akademischen Konkurrenten durchsetzen: eine Astrophysikerin, einen weiteren Historiker und einen Experimentalphysiker. Im Laufe des "Slams" wird es noch um den "Gravitationslinseneffekt" in fernen Galaxien gehen, um das merkwürdige Wechselverhältnis von Popkultur und Vietnamkrieg und um die Wirkungsweise des "konfokalen Fluoreszenz-Mikroskops".
Vorbild: Poetry Slam
Ähnlich wie beim Poetry Slam ist auch beim "Science Slam" die Grenze zur Comedy fließend. Der Kandidat muss über ein Darstellungs- und Komik-Talent verfügen, um seine Zuschauer zu überzeugen. Und er darf – anders als beim Poetry Slam –technische Hilfsmittel verwenden, um sein wissenschaftliches Thema für Laien anschaulicher zu machen. Die Idee zu diesem ungewöhnlichen Showkonzept hatte Julia Offe, Molekularbiologin aus Hamburg, als sie jahrelang und weitgehend abgeschottet von der Außenwelt an ihrer Doktorarbeit über genetisch veränderte Mäuse schrieb.
Vom Elfenbeinturm auf die Kneipenbühne
"Wir hocken in Deutschland als Wissenschaftler immer noch viel zu sehr im Elfenbeinturm", sagt die 37-Jährige selbstkritisch. "Deswegen kursieren auch die wildesten Gerüchte darüber, was wir angeblich so alles in unseren Laboren machen – von Biowaffen bis hin zur Wundermittel-Herstellung gegen Krebs." Solche Vorstellungen hätten aber nichts mit dem wissenschaftlichen Alltag zu tun. Und genau den möchte die Molekularbiologin Nicht-Wissenschaftlern nun näher bringen. Schließlich seien Forschungsprojekte sehr teuer.
Die ersten "Science Slams" fanden in Hamburg, Berlin, Münster und Braunschweig statt. Inzwischen organisiert Offe den akademischen Wettstreit bundesweit. "Warum sollte man da nicht der Öffentlichkeit öfter mal allgemein verständlich erklären, woran man eigentlich im Kern arbeitet", wundert sich Offe. Ihre "Slams" seien im Grunde ein Pionierprojekt, das traditionell gehemmte Verhältnis zwischen Experten und Laien in Deutschland zu entkrampfen.
Verulkung oder Kommunikationsangebot?
Doch die "Science Slams" haben auch Skeptiker auf den Plan gerufen. Sie nehmen Anstoß an der Trivialisierung komplizierter Inhalte. Den ersten Shows von Julia Offe haben Kritiker gar die Verunglimpfung wissenschaftlicher Erkenntnisse vorgeworfen. Ein Vorwurf, den weder die Organisatorin noch Manuel Lorenz verstehen können. "Ein bisschen Verulkung ist bei so einem Auftritt natürlich immer dabei", räumt Lorenz zwar ein. Aber das schade seiner Meinung nach nicht der Wissenschaft. Im Gegenteil: "Vor allem die Orchideenfächer wie mittelalterliche Geschichte nehmen sich oft viel zu ernst", sagt Lorenz.
Manuel Lorenz ist überzeugt davon, dass deutsche Forscher sich ihre komplizierte wissenschaftliche Sprache und die Kontaktscheue gegenüber Laien bald nicht mehr leisten können. "Wir leben im Informationszeitalter des 21. Jahrhunderts", so Lorenz. "Da ist der Science Slam nur die Eisspitze eines neuen Trends von Wissensformaten, die ein interessiertes Publikum endlich dort abholt, wo es steht." Das Kölner Kneipenpublikum jedenfalls ist begeistert – und kürt Manuel Lorenz als Gewinner des Abends.
Autorin: Gisa Funck
Redaktion: Svenja Üing