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Wachstum: Der Süden stützt die Eurozone

Dirk Kaufmann
6. Februar 2025

Die Wirtschaft in der Eurozone stagniert - vor allem wegen der Schwäche Deutschlands. Einzig aus dem Süden der Union gibt es verhältnismäßig gute Zahlen: aus Portugal, Spanien und Griechenland. Woran liegt das?

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Symbolbild I Inflation in Eurozone
Bild: Frank Rumpenhorst/dpa/picture alliance

Vor wenigen Jahre erst waren Portugal, Italien, Spanien und vor allem Griechenland noch die Sorgenkinder der Europäischen Union (EU) und der Eurozone. Davon könne aber nun keine Rede mehr sein, zeigte sich Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez kürzlich auf dem Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos überzeugt: "Wir im Süden können auch Lösungen für gemeinsame Probleme beitragen."

Er sprach davon, in der Energiekrise nach der russischen Invasion in der Ukraine mehr saubere Energien - in Spanien ist das vor allem Sonnenenergie - produzieren und exportieren zu können. Spanien solle auf diesem Wege, so Sánchez, die "beste Wirtschaft weltweit" werden.

Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez bei einer Rede im Madrider Parlament
Pedro Sánchez - hier bei einer Rede im Madrider Parlament - verspricht die "beste Wirtschaft der Welt"Bild: JAVIER SORIANO/AFP

Deutschland sorgt für Süd-Nord-Gefälle

Aus gesamteuropäischer Sicht sieht die Lage aber gar nicht rosig aus: Die Wirtschaft in der Eurozone stagniert. Das gemeinsame Bruttoinlandsprodukt (BIP) verharrte im Schlussquartal 2024 auf dem Niveau des Herbstquartals, wie die EU-Statistikbehörde Eurostat Ende Januar mitteilte. Im Sommerquartal war noch ein Wachstum von 0,4 Prozent herausgesprungen.

Viele Experten sind sich einig: Hauptverantwortlich dafür ist die Dauerschwäche von Europas größter Volkswirtschaft. In Deutschland schrumpfte das BIP im vierten Quartal und im Gesamtjahr 2024 um 0,2 Prozent. "Deutschland wird immer mehr abgehängt", sagte der Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank, Alexander Krüger, der Nachrichtenagentur Reuters.

Nicht genug Dampf für den ganzen Zug         

Die größte Volkswirtschaft in der Eurozone schwächelt und die ehemaligen Sorgenkinder starten durch - könnten die Südländer in Zukunft also die Funktion der Lokomotive übernehmen? Der Ökonom Gabriel Felbermayr sieht das nicht so. Der Direktor des österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) sagte der DW: "Nein, das können sie nicht, dafür sind sie einfach ökonomisch zu klein."

Deutschland und Frankreich, so Felbermayr, machten "schon mehr als 50 Prozent des Eurozonen-BIP aus. Und diesem industriestarken Nordblock muss man Länder wie Österreich, Slowenien, Slowakei und auch die Niederlande zurechnen". Und nicht nur die seien betroffen: "Auch Nicht-Euroländer in der EU, allen voran Tschechien, in Teilen auch Polen, leiden unter der Schwäche des industriellen Kerns der EU."

Zwei Arbeiter in einem Gewirr von Rohren im "Rohrbahnhof" im ZeTO von Lanxess
Besonders die deutsche Chemieindustrie leidet unter den hohen EnergiepreisenBild: Thorsten Martin/LANXESS

Hohe Energiepreise

Was macht die "Südländer" gerade so stark und lässt den sonst so starken Rest alt aussehen? Für den Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn, ehemals Chef des Münchner Ifo-Institutes, liegt das ebenso an äußeren Gründen wie an den Weichenstellungen der Politik: "Deutschland litt in den letzten Jahren sehr stark unter der Energiekrise, die durch ein Zusammenwirken des Krieges (in der Ukraine) mit einer selbst verursachten Energieknappheit zustande kam."

Er beklagt insbesondere die angestrebte Abkehr von fossilen Brennstoffen zu grünen Energieträgern. Dabei hätten "die EU und Deutschland Maß und Mitte verloren. Das Resultat dieser Eingriffe hat dazu geführt, dass unser Land inzwischen die höchsten Strompreise der ganzen Welt hat."

Darunter, so Sinn zur DW, leide "insbesondere die Chemieindustrie". Auch die deutsche Vorzeigeindustrie, der Autobau, sei schwer belastet: "Die von der EU festgesetzten Flottenverbrauchsregeln haben die Automobilindustrie ihrer Wettbewerbsfähigkeit beraubt."

Großes Gedränge: Touristen halten am Strand von Almunecar an der Küste Andalusiens
An den Stränden des Mittelmeeres erwirtschaften die Länder des europäischen Südens einen großen Teil ihres BIP Bild: Lorenzo Carnero/ZUMA/dpa/picture alliance

Südliche Standortvorteile

Das sieht Gabriel Felbermayr ähnlich. In den südlichen Ländern spiele Tourismus und Landwirtschaft eine größere Rolle, dort gebe es "deutlich geringere Industrieanteile an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung. Die in ganz Europa höheren Energiepreise, die Handelskriege, die Herausforderungen der Dekarbonisierung - all das betrifft den Süden einfach weniger als den Norden."

Außerdem hätten sie auch einen "selbst gemachten" Vorteil: seit 2010 wiesen die Südländer geringere Inflationsraten aus als der Norden. "Das hat ihrer Wettbewerbsfähigkeit genutzt. Die Reformanstrengungen nach der Euro-Schuldenkrise haben also gefruchtet. Das kann man für Griechenland, Spanien und Portugal sagen."

USA Präsident Trump spricht am Flughafen Joint Base Andrews
Er schwebt über allem: US-Präsident Trump, der fast der ganzen Welt mit hohen Zöllen drohtBild: Ben Curtis/AP Photo/picture alliance

Und dann noch Trump                          

Ein Licht am Ende des Konjunkturtunnels ist nicht in Sicht. Es zeichne sich allenfalls eine blutleere Aufwärtsbewegung ab, sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer der Nachrichtenagentur Reuters. "Die tiefe Strukturkrise in der Industrie und Trumps Zolldrohungen ziehen alles nach unten." Der US-Präsident droht Europa mit Zöllen. Das würde das exportorientierte Deutschland besonders stark treffen.

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Gefahr erkannt, Gefahr gebannt?

"Bislang gibt es keinerlei Erholungszeichen", bestätigt der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Sebastian Dullien, gegenüber Reuters. Er nennt verschiedene Gründe für die Dauerflaute der deutschen Konjunktur, darunter auch "die aggressive Industriepolitik Chinas, die dem Export zusetzt. Außerdem bremsen die für die aktuelle Konjunkturlage immer noch hohen Zinsen der Europäischen Zentralbank Investitionen".

Container mit EU Flagge am Kranhaken und Weltkarte im Hintergrund
In der Eurozone ist vor allem Deutschland stark vom Export - auch in die USA - abhängigBild: Zoonar/picture alliance

Bleibt die Hoffnung, dass Einsicht der erste Schritt zur Besserung ist. Zur Einsicht scheint der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck gelangt zu sein. Er sagte auf dem gerade beendeten WEF in Davos: "Wir haben gewissermaßen übersehen, dass es sich nicht um eine kurzfristige Krise, sondern um eine Strukturkrise handelt."

Das zeige sich vor allem bei der Industrie, die mit hohen Strompreisen kämpfe. Der für Deutschland wichtige Außenhandel schwächele und die Verbraucherstimmung verschlechtere sich. "Wir müssen unser Geschäftsmodell neu erfinden", fordert nun auch Habeck.

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Was jetzt nötig ist

Die EU-Kommission erwartet für 2025 dennoch eine leichte Konjunkturerholung in der Eurozone und ein Wachstum von 1,3 Prozent. Die Europäische Zentralbank, die nach Einschätzung von Experten kurz vor einer Zinssenkung steht, dürfte im Laufe des Jahres weitere Schritte nach unten folgen lassen.

WIFO-Chef Gabriel Felbermayr hält die aktuellen Kräfteverhältnisse zwischen Nord- und Südländern jedenfalls nicht für außergewöhnlich: "Einmal hat der industriestarke Norden die Nase vorn, dann wieder die dienstleistungsstarken Südländer. Das ist in anderen großen Volkswirtschaften, wie den USA, ja nicht anders."

Entscheidend sei, dass "der Norden die notwendigen Reformen für eine höhere Wettbewerbsfähigkeit voranbringt, der Süden dabei aber nicht nachlässt. Wichtig wäre auch, dass der Binnenmarkt, der ja auch ein Vehikel des Ausgleichs zwischen den einzelnen Regionen ist, wieder gestärkt wird", so Felbermayr zur DW.