"Das versteht keiner mehr"
30. September 2014Deutsche Welle: Bei der deutschen Bundeswehr sind viele Hubschrauber und Transportflugzeuge, aber auch Fahrzeuge nicht einsatzfähig. Ist das ein spezielles Problem in Deutschland oder sieht es bei anderen NATO-Ländern ähnlich aus?
Freudenstein: Das kommt darauf an, welche anderen NATO-Länder gemeint sind. Bei west- und südeuropäischen Verbündeten ist die Einsatzfähigkeit auch schwach. Bei den Briten und Franzosen ist es besser und bei den Polen auch, die in den letzten Jahren - schon mit der wachsenden russischen Bedrohung im Blick - vorbildlich modernisiert haben. Das Problem der Bundeswehr existiert übrigens schon seit vielen Jahren und die Bundeswehr hat auch immer wieder darauf hingewiesen. Jetzt, wo es kriselt, fällt das natürlich plötzlich einer breiteren Öffentlichkeit auf.
Muss man sagen, dass der Ehrgeiz der Bundesregierung, Deutschlands militärische Verantwortung zu steigern, bereits an der mangelhaften Ausrüstung scheitert?
Eindeutig ja, jedenfalls im Moment. Jetzt muss so schnell wie möglich Abhilfe geschaffen werden. Es geht ja nicht um neue teure Waffensysteme, es geht um Ersatzteile und Reparaturen.
Was denkt man bei den NATO-Partnern, wenn die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen einräumt, Deutschland könne seine Bündnisverpflichtungen nicht mehr erfüllen?
Die Partner denken sich ihren Teil. Ganz offen gesagt sind manche deutschen Phänomene und auch unsere Befindlichkeiten im Moment ziemlich schwer vermittelbar: Wir haben die größte und am besten funktionierende Wirtschaft, wir sind seit mehreren Jahren in der 'pole position' der europäischen Politik, aber wenn's ums Militärische geht, machen wir uns immer noch ganz klein mit dem verdrucksten Hinweis auf den Zweiten Weltkrieg und die deutsche öffentliche Meinung. Das versteht keiner mehr. Und natürlich können alle ärmeren Länder sich hinter uns verstecken.
Hat Bundeskanzlerin Angela Merkel Recht, wenn sie sagt, der Wehretat müsse trotzdem nicht erhöht werden?
Das ist für mich schwierig zu beurteilen. Natürlich zögert die Kanzlerin, den Etat zu erhöhen oder bei anderen Ressorts zu kürzen. Außerdem hat die Bundeswehr wohl tatsächlich schon seit mehreren Jahren Milliardenbeträge zurückgegeben. Das heißt, hier gibt es Mängel im Management und das nicht erst seit gestern. Ob diese anderthalb Milliarden aber reichen, um die Einsatzfähigkeit wiederherzustellen? Ich bezweifle es.
Passt vielleicht die gesamte Ausrichtung der Bundeswehr in puncto Ausrüstung, Ausbildung und Umfang nicht zu den hochgesteckten Zielen?
In der Tat hat die Bundeswehr den Schwenk zu globalen Einsätzen nur zögerlich vollzogen. Mehr als 4000 Soldaten kann Deutschland auch heute nicht in weit enfernte Einsätze schicken. Das ist zu wenig, 13 Jahre nach dem 11. September. Anscheinend hat die Bundeswehr die klassische Stammaufgabe Territorialverteidigung (und sei es als Abschreckung gegen russisches Säbelrasseln) aber ebenfalls vernachlässigt. Ich fürchte, im Moment muss Deutschland auf beiden Gebieten zulegen.
Wäre es eine Lösung, dass sich bestimmte NATO-Länder auf bestimmte Aufgaben spezialisieren, statt dass im Prinzip jeder alles macht?
Das ist Teil der Lösung. Noch wichtiger ist, dass wir uns alle zusammen im westlichen Bündnis darüber klar werden, dass wir mehrfachen Bedrohungen ausgesetzt sind, die ohne militärische Mittel nicht gelöst oder zumindest auf einem erträglichen Maß gehalten werden können. Den "Islamischen Staat" kann man nicht mit Lichterketten bekämpfen. Und Wladimir Putin beeindruckt man nicht mit ökumenischen Kirchentagen. Wir müssen Abschreckung wieder lernen - und daher wieder mehr für Waffen ausgeben. Das ist traurig, aber je länger wir es vor uns herschieben, desto schlimmer ist es für uns und unsere Kinder.
Roland Freudenstein ist Verteidigungsexperte und Forschungsdirektor beim Brüsseler Thinktank Wilfried Martens Centre for European Studies.