"Wir haben genug" - Junge Konsumkritik
14. November 2013Genügsamkeit. Angemessenheit. Jedes Stichwort wird in Schnörkelschrift auf das Poster übertragen. Lisa Tschorn überlegt, was noch dazugehört. Gemeinsam mit 23 anderen Workshop-Teilnehmern sucht sie Antworten auf eine große Frage: Wie viel ist genug? Es ist ein Samstagmorgen, kurz nach 11 Uhr. Lisa hätte heute lange ausschlafen können. Stattdessen ist sie früh aufgestanden und mit dem Zug von Münster nach Dortmund gekommen. Auf einem Aufsteller vor der Eingangstür steht das Motto der Veranstaltung: "Die fetten Jahre sind vorbei" . So richtig fette Jahre hatte Lisa noch nie: Sie ist 29 Jahre, studiert Geografie und hält sich mit einer Reihe Nebenjobs über Wasser. "Ich bin reich, aber ich habe nicht viel Geld", lacht sie. Ihre Klamotten bekommt sie geschenkt oder tauscht sie mit anderen. Ihr letzter Urlaub ging per Anhalter nach Frankreich.
Nachhaltigkeit als Lifestyle
Auch Niko Paech verzichtet bewusst auf Luxusartikel: Er besitzt kein Handy, kein Auto. Bei der Frage, wann er sich das letzte Mal etwas geleistet hat, muss er kurz nachdenken. "Eine gebrauchte CD", fällt ihm dann noch ein. Paech ist Professor für Produktion und Umwelt an der Universität Oldenburg und reist von Vortrag zu Vortrag, um gegen den Wachstumszwang anzureden. "Wir haben nur einen Körper und können nicht mehr und mehr leisten. Dennoch eignen wir uns immer mehr Dinge an. Mit welchem Recht eigentlich?" Paech hat das Gefühl, dass viele junge Menschen heute Nachhaltigkeit ernsthafter verfolgen als das je zuvor der Fall war. "Aber das sind eben nicht so wahnsinnig viele." Nachhaltigkeit ist in den letzten Jahren zu einem Mode-Thema geworden. Ein oberflächliches Ökologiebewusstsein prägt den modernen Lifestyle. Aber Bionade trinken allein heile nicht das System. Es muss weniger konsumiert werden. Nur durch Verzicht könnten Ressourcen geschont werden. Denn unsere Rohstoffe sind endlich - und damit auch das Wirtschaftswachstum.
Weniger Arbeit wagen
Einer, der bewusst nach diesen Prinzipien lebt und sich von Paech hat inspirieren lassen, ist Thomas Forbriger. Der 35-Jährige leitet den heutigen Workshop. Als er anfängt, von der Immaterialität des Geldes zu erzählen, richten sich viele verständnislose Blicke auf ihn. Er hat Mühe, das System kleinzureden. Dabei will er die Teilnehmer eigentlich motivieren, dass jeder etwas ändern kann. So wie er selbst: Thomas hat sich selbstbewusst gegen einen klassischen Nine-to five-Job entschieden. "Wenn ich meine Jobs zusammenrechne, komme ich maximal auf eine 50-Prozent-Stelle". Dadurch habe er aber auch mehr Zeit, Dinge zu reparieren oder selbst zu bauen. Oder im Gartenkollektiv auf dem Feld mit anzupacken. "Es geht um die Fremdversorgung: Dass man sich von dem Geld, das man verdient, Dinge leistet, die man selbst nicht erbringen kann. Das versuche ich weitgehend zurückzudrängen und mache mich damit auch unabhängig von Krisen."
"Damit mache ich mich selbst zum Außenseiter"
Die meisten Teilnehmer, die Thomas im Seminar gegenüber sitzen, sind gerade Anfang 20. Marleen Schwarze ist die Jüngste von ihnen: Die 18-Jährige geht noch zur Schule und macht nächstes Jahr ihr Abitur: "In der Schule lerne ich nichts von dem, was mich interessiert. Deshalb bin ich hergekommen." Und weil sie hofft, hier auf Gleichgesinnte zu treffen. Denn in der Schule wird Marleen von ihren Mitschülern oft schief angeschaut. Sie besitzt kein Smartphone, trägt nicht die neusten Modekreationen und wenn ihre Freunde sich Fastfood kaufen, fastet sie eisern. "Damit mache ich mich selbst zum Außenseiter", gesteht sie. Ob wir in Deutschland genug besitzen? "Nicht nur genug. Zu viel!", findet Marleen.
Kurze Pause für die Seminar-Teilnehmer. Als Nervennahrung werden Bioschokolade und Fair Trade-Nüsse herumgereicht. Es gibt viel Diskussionsbedarf: Auch Jesko Götting hört aufmerksam zu. Der 21-Jährige macht eine Ausbildung zum Zimmerer und interessiert sich seit Kurzem für das Thema. Er wirkt pragmatisch - und weniger ideologisch: "Den Müll richtig trennen oder mal das Auto stehen lassen - das finde ich schon richtig", sagt Jesko. "Aber auf eine weite Reise mit dem Flugzeug, nach Asien oder so, würde ich nicht verzichten."
"Konsumenten sind wie Junkies"
Und dabei seien gerade Flugreisen ein wesentlicher Klimakiller, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Niko Paech. "Das ist das größte Konsumproblem der jungen Menschen neben Elektronikgeräten und Einwegverpackungen." Und gerade bei diesen Dingen wollen viele junge Menschen ihre Ansprüche nicht herunterschrauben. Echte Hoffnung, dass ein breites Umdenken das System irgendwann zum Besseren verändert, hat Paech nicht. "Darüber reden schadet ja nicht", sagt er. Aber es sei letztendlich eine Frage der Disziplin, wie sehr man es schafft, sich einzuschränken. "Wir sind abhängig vom Konsum. Wir sind Junkies. Und Junkies tun nichts gegen den Dealer."