"Wir beten für Helmut Kohl"
27. Juni 2017Wabernder Weihrauch und weiße Blumen, kräftiger Gesang mit vielen Männerstimmen. Es ist eine Totenmesse am frühen Dienstagmorgen in der deutschen Hauptstadt, und versammelt hat sich eine ganz eigene Gemeinde. Das politische Berlin nimmt Abschied von Helmut Kohl. Es ist eine kirchliche Feier, und doch wirkt der Gottesdienst auch wie ein nicht-staatlicher Staatsakt. Die Feier ist öffentlich zugänglich: Das ist bemerkenswert. Früh am Morgen schon sitzen auch "ganz normale" Berliner Gläubige in den Kirchenbänken.
Dem verstorbenen Helmut Kohl, sagt der Priester im schwarzen Gewand, Prälat Karl Jüsten, erweisen "auch viele die letzte Ehre, deren Beziehung zu ihm schwierig geworden war, auch die, die zeitlebens mit ihm fremdelten oder in ihm vor allem den politischen Gegner sahen. Heute sind fast alle politischen Lager im großen Respekt vor seiner Lebensleistung geeint".
Nach einer kurzer Nacht
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau sitzen in der ersten Reihe, daneben Kanzlerin Angela Merkel, Bundestagspräsident Norbert Lammert. Dahinter alle Bundestags-Vizepräsidenten. Fast ein Dutzend Bundesminister von Union und SPD und Hunderte Parlamentarier sind dabei, fast allesamt von CDU und CSU. Für einige von ihnen war die Nacht kurz. Denn Union und SPD ringen auf der krummen Zielgeraden dieser Legislaturperiode noch heftig um vier Gesetze, die das Parlament in dieser Woche beschließen soll.
Auch einige "Ehemalige" sind da, wie der frühere Bundespräsident Christian Wulff und Matthias Wissmann, unter Kohl fünf Jahre CDU-Bundesverkehrsminister und heute Präsident des Verbandes der Automobilindustrie. Sie kennen den aktiven Kohl. Anders als Jüsten, der seit bald 17 Jahren das Katholische Büro bei der Bundesregierung leitet und so etwas wie der katholische "Seelsorger der Politik" ist.
Er habe, sagt der Prälat, Kohl in dessen aktiver politischer Zeit "nur aus den Medien gekannt" und ihn spät erst persönlich kennengelernt. Vielleicht spricht er deshalb einfühlsamer, als es vielen in diesem Gotteshaus gelingen würde. Er nennt den Berufswunsch Kohls aus Jugendjahren, "in der Land- und Forstwirtschaft", und entfaltet daraus Bezüge zu verantwortlichem und geduldigem Handeln, zu Verantwortung und Augenmaß. Und einmal wird auch vernehmbar geschmunzelt. Da zitiert Jüsten ein Wort Kohls, das ihm ein enger Mitarbeiter berichtete: "Als Christen glauben wir auch an ein Leben vor dem Tod!"
"Er konnte polarisieren"
Ja, auch die Schwächen des "Kanzlers der Einheit" klingen kurz an ("Helmut Kohl konnte polarisieren"), aber es ist die Würdigung eines bei allem großen deutschen und europäischen Lebens "mit den Tugenden eines guten Försters". Und der Geistliche geht auch auf die familiäre Dramatik dieser Tage ein: "In dieser Stunde sind unsere Gedanken auch bei Helmut Kohls Witwe sowie bei seinen Söhnen und ihren Familien. Und wir wünschen ihnen allen, dass sie untereinander Versöhnung und Frieden erfahren."
Als die gut zehnminütige Predigt endet, wird es still im hohen Kirchenraum, 25, 30 Sekunden lang. Der Blick vieler geht zum großen Foto Kohls mit Trauerrand, das neben dem Altar vorne im Mittelpunkt steht. Ruhige Momente ohne Kameras, die im hektischen Politikbetrieb selten sind. Im weiteren Verlauf merkt man, wie sehr es eine Feier der Abgeordneten ist. Einige von ihnen tragen Fürbitten vor, vier andere helfen bei der Austeilung der Kommunion.
Die Trauermesse angekündigt hatte die Unionsfraktion. Ihr Vorsitzender Volker Kauder (CDU) habe, heißt es, um die Feier in Abstimmung mit Kohls Witwe Maike Kohl-Richter gebeten. Und so gelingt Kauder und Jüsten die Stunde der Trauer in Berlin, die viele aus dem politischen Betrieb so schmerzlich vermissen. Das unwürdig anmutende Gerangel dieser Tage ist bekannt: Der tragisch anmutende Streit in der Familie, kein Staatsakt in Deutschland, ein Gezerre um die Rede der Bundeskanzlerin beim "europäischen Trauerakt" im Straßburger Europaparlament. Vor zehn Tagen starb Kohl im Alter von 87 Jahren, an diesem Samstag folgt der Feier in Straßburg die Beisetzung in Speyer am Rhein.
"In der Fraktion war er zuhause"
Nach dem Ende der kirchlichen Feier tritt Volker Kauder selbst ans Mikrofon. Er berichtete, wie immer in freier Rede, wie er Kohl schon früher begegnet war. Und Kauder kommt zum Ende auf Kohls Person, dessen Verfehlungen. "Wo Licht ist, gibt es auch Schatten. Niemand ist vollkommen, auch Helmut Kohl war ein Mensch", sagt er. "Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion erinnern uns an seinen letzten Besuch, der uns alle, die dabei waren, emotional aufgewühlt hat. Vor allem ein Satz. Hier, so hat Helmut Kohl gesagt, in dieser Fraktion bin ich zuhause. Das hier ist meine Heimat."
Dann Orgelgebraus. Die neunte Strophe des Kirchenlieds "Großer Gott, wir loben dich": "Sieh dein Volk in Gnaden an. Hilf uns, segne, Herr, dein Erbe; leit es auf der rechten Bahn, dass der Feind es nicht verderbe. Führe es durch diese Zeit, nimm es auf in Ewigkeit." Die Beter streben zum Ausgang, Merkel plaudert leise mit der Grünen Katrin Göring-Eckardt. "Das war eine würdige Trauermesse", sagt ein Abgeordneter beim Weggehen zu Fraktionschef Volker Kauder. Der Tag beginnt im politischen Berlin. Aber auffallend viele Parlamentarier verzichten darauf, einen der reservierten Busse zum Reichstag zu nehmen, und gehen ruhig oder leise im Gespräch zu Fuß den Weg durch die morgendliche Stadt. Die Berliner Politik hat sich von Helmut Kohl verabschiedet.