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Ons Jabeur - "Ministerin des Glücks"

Mathias Brück
8. Juli 2022

Ons Jabeur erfüllt ihre tunesischen Landsleute mit Stolz: Als erster Tennisprofi aus Nordafrika erreicht sie das Wimbledon-Finale. Auch wenn sie die Partie verliert - es geht ihr um viel mehr als den sportlichen Erfolg.

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Die tunesische Tennisspielerin Ons Jabeur lächelt mit ausgebreiteten Armen nach dem Sieg im Wimbledon Halbfinale 2022
Ons Jabeur freut sich nach ihrem Halbfinalsieg in WimbledonBild: Dave Shopland/Shutterstock/IMAGO

Ons Jabeur ist es mittlerweile gewohnt, die Erste zu sein. Letztes Jahr gewann sie als erste Spielerin der arabischen Welt ein WTA-Turnier, damals in Birmingham. Kurz darauf kam die Premiere im Viertelfinale von Wimbledon, im Oktober war sie die erste arabische Frau in den Top Ten der Weltrangliste. Nun stand die 27-jährige aus der tunesischen Mittelmeer-Stadt Sousse, deren Spiel ein bisschen an die zurückgetretene Ash Barty erinnert, im Finale von Wimbledon - und hat damit als erste afrikanische Frau das Endspiel eines Grand-Slam-Turniers erreicht. Dieses Mal sollte sie allerdings nicht als Siegerin vom Platz gehen. Gegen die Kasachin Jelena Rybakina unterlag sie mit 3:6, 6:2, 6:2.

Dennoch: Dieser Tag, dieser Moment war ein bedeutender für Jabeur, aber auch für alle anderen Frauen und Mädchen in Nordafrika, die auch heute noch um viele Dinge kämpfen müssen, die für Sportlerinnen aus Europa oder Nordamerika selbstverständlich sind. "Ich habe schon lange gehofft, dass ich das mal schaffen würde", sagte Jabeur nach dem Halbfinalsieg gegen die Deutsche Tatjana Maria. "Ich möchte viele Generationen inspirieren und mehr Spielerinnen und Spieler aus meiner Heimat, aus dem Nahen Osten und aus Afrika sehen. Ich versuche, den Menschen dort zu zeigen, was möglich ist."

Ons Jabeur feiert ihren Turniersieg in Berlin 2022 mit der Trophäe und einem Lächeln im Gesicht
Ons Jabeur feiert ihren Turniersieg in Berlin 2022Bild: Wolfgang Kumm/dpa/picture alliance

Seit ihrem Turniersieg vor drei Wochen in Berlin ist Jabeur die Nummer zwei der Welt. Bevor sie in Birmingham im Juni 2021 ihren ersten WTA-Tour-Titel gewann, wirkte die Tunesierin lange Zeit frustriert. In der Weltrangliste bewegte sie sich zwischen den Plätzen 60 und 80, obwohl sie das Gefühl hatte, sie gehöre mit ihren Fähigkeiten eigentlich in die Top Ten. Sie versuchte, sich und ihr Team besser zu organisieren, kümmerte sich mehr um ihre Fitness. Unterstützung erhielt sie dabei von ihrem Ehemann Karim Kamoun, der praktischerweise auch ihr Fitnesstrainer ist. Nun steht sie also im Finale von Wimbledon.

Hicham Arazi als Inspiration?

Ob es auch an einer ganz besonderen Motivationshilfe lag? Hicham Arazi war viele Jahre lang der beste Tennisspieler aus Nordafrika und der arabischen Welt. Zwischen 1997 und 2004 schaffte es der Marokkaner bei den Australian Open und den French Open je zweimal ins Viertelfinale. Er war ein begabter Typ, der an guten Tagen auch den besten Spielern der Welt Probleme bereiten konnte. Vor kurzem traf der Ex-Profi auf Ons Jabeur. "Wir Araber verlieren immer im Viertelfinale, und wir haben die Nase voll davon", gab Arazi der Tunesierin mit auf den Weg.

Der marokkanische Ex-Tennisprofi Hicham Arazi schlägt eine Rückhand bei den US Open 2004
Der Marokkaner Hicham Arazi - hier bei den US Open 2004 - stand viermal in Grand-Slam-ViertelfinalsBild: Rhona Wise/dpa/picture-alliance

In der Heimat steigt der Druck auf Jabeur mit jedem gewonnenen Match. Auf den Straßen der Hauptstadt Tunis ist man stolz auf den ersten Tennis-Star aus Tunesien. Wenn zum Beispiel Turniere in den USA stattfinden, stehen viele Menschen in der Nacht auf, um die Spiele Jabeurs im Fernsehen zu verfolgen. "Verrückt" nannte die Spielerin dies. Doch sie ist sich der großen Erwartungshaltung bewusst. "Ich spiele ja nicht nur für mich", sagte Jabeur im vergangenen Mai am Rande des Turniers in Madrid, das sie gewinnen konnte: "Ich spiele für mein Land, für die arabische Welt, für den afrikanischen Kontinent."

Und Jabeur hält dem Druck stand. Die Rolle als Vorbild für viele Frauen und Mädchen aus ihrer Region belastet sie nicht. "Ich bin sehr, sehr stolz auf das, was ich erreicht habe", sagte Jabeur. "Manchmal, wenn wir in Afrika Fed Cup spielen, kommen Fans und andere Spielerinnen, wollen Fotos machen und fragen mich, wie ich das erreicht habe. Es motiviert mich sehr, dass ich für sie eine Inspiration sein kann." Die zuvor beste Araberin in der Weltrangliste war ihre Landsfrau und Mentorin Selima Sfar - als Nummer 75. Sfar hatte zwischen 2001 und 2008 sechsmal in der zweiten Runde von Grand-Slam-Turnieren gestanden: zweimal in Paris, dreimal in Wimbledon und einmal in New York. Dann jedoch war für Sfar jeweils Endstation gewesen. "Selima ist eine Inspiration für mich. Sie hilft mir immer und unterstützt mich", sagte Jabeur.

Die ehemalige Tenisspielerin Selima Sfar schlägt eine Vorhand beim WTA-Turnier in Dubai 2010
Ihre Landsfrau Selima Sfar, hier 2010 beim WTA-Turnier in Dubai, inspirierte Ons JadeurBild: Ryan Pierse/Getty Images

Vom "Großmaul" zur Volksheldin

In der Jugend hatte sich die Weltranglistenzweite fast vom Tennis abgewendet. Vieles sei ihr damals zu anstrengend gewesen, erzählte Jabeur in einem Interview mit der WTA. Das Training, der straffe Zeitplan, das eingeschränkte Privatleben. Ihre Mutter Samira habe sie dann ermahnt, immer das Bestmögliche aus sich zu machen - diesen Ratschlag hat sie befolgt.

In Tunesien wird Jabeur "Ministerin des Glücks" genannt - ein Titel, auf den sie sehr stolz ist. Diesen bekam sie nicht nur, weil sie eine der Besten Spielerinnen der Welt ist, sondern auch, weil sie vor allem ein ausgesprochen positiver, nahezu immer fröhlicher Mensch ist. "Ich bin einfach jemand, der das Leben sehr liebt", sagte Jabeur. "Eine Tenniskarriere dauert nicht allzu lange, und die Leute vergessen schnell. Wichtiger ist, was ich für einen Charakter habe und wie die Menschen über mich reden."

Die 27-jährige machte nie einen Hehl aus ihrem Ziel: eine der besten Tennisspielerinnen der Welt zu werden. In ihrer Heimat Tunesien stand sie als Mädchen mit so großer Ambition lange ziemlich alleine da. "Man nannte mich ein Großmaul, weil ich sagte, ich wolle Grand Slams gewinnen", sagte sie dem "Guardian". "Und sie lachten mich aus." Jetzt war das große Ziel zum Greifen nah. Ein Wimbledon-Titel wäre die ultimative Krönung einer bereits jetzt außerordentlichen Karriere. Sie wird noch weitere Chancen bekommen.