Wilhelm Hauff
"Es war schon Nacht, als der fremde Herr wieder im Wagen vor dem Tor ankam. Es saß aber noch eine Person im Wagen, die den Hut tief ins Gesicht gedrückt und um Mund und Ohren ein seidenes Tuch gebunden hatte. Der Torschreiber hielt es für seine Pflicht, den andern Fremden anzureden und um seinen Paß zu bitten; er antwortete aber sehr grob, indem er in einer ganz unverständlichen Sprache brummte."
Der Autor
Geboren am 29. November 1802 in Stuttgart,
Gestorben am 18. November 1827 in Stuttgart
Wilhelm Hauff war es nicht vergönnt, sein literarisches Talent voll zu entfalten. Mit 24 Jahren stand er erst am Anfang seiner Karriere, sein früher Tod riss ihn mitten aus einem produktiven Leben. Er war ein Vielschreiber, modebewusst und ständig auf der Suche danach, sein Talent ins rechte Licht zu rücken. Als Romanautor ("Lichtenstein") und genialer Satiriker wurde er zu seiner Zeit gefeiert, als Vertreter der sogenannten Schwäbischen Dichterschule ist er in die Literatur-Geschichte eingegangen. Aber berühmt wurde er mit seinen Märchen: "Der kleine Muck", "Kalif Storch" und "Zwerg Nase", die heute jedes Kind kennt. Auch "Das kalte Herz" und "Das Wirtshaus im Spessart" sind Volksgut geworden.
Aufgewachsen ist Hauff in einer angesehenen württembergischen Beamtenfamilie. Nach dem Tod des Vaters zieht die Mutter mit ihren Kindern nach Tübingen. Im Haus des Großvaters entdeckt Wilhelm die Wunderwelt einer großen Bibliothek. Wahllos verschlingt er alles, was im Bücherregal steht: mit Vorliebe Räuberpistolen und Ritterromane, aber auch die großen Klassiker Goethe, Schiller, Lessing und populäre Übersetzungen englischer, russischer und französischer Literatur.
Da die finanziellen Mittel der Familie für ein Studium nicht reichen, tritt Wilhelm Hauff 1820 als Stipendiat in das evangelische Stift in Tübingen ein. Nur so kann er Theologie und Philosophie studieren. Er genießt das freie, ungebundene Studentenleben und schließt sich mit Begeisterung den Burschenschaften an.
Nach der theologischen Abschlussprüfung ist ihm klar, dass der Pfarrberuf nichts für ihn ist. Das Schreiben und der Umgang mit Literatur interessieren ihn viel mehr. Im Oktober 1824 tritt er eine Stelle als Hauslehrer an. Die sporadische Erziehungsarbeit lässt ihm genug Zeit für seine schriftstellerischen Pläne. Und das gesellschaftliche Leben im Hause seines Dienstherrn Baron von Hügel, dem Präsidenten des württembergischen Kriegsministeriums, ist eine wahre Fundgrube an Geschichten: In nur wenigen Monaten schreibt er zwei Romane, Unmengen von Gesellschaftsnovellen und er gibt seinen ersten Märchenalmanach "für Söhne und Töchter gebildeter Stände" heraus.
Als Schriftsteller bekannt wird Hauff aber erst durch einen selbst inszenierten Skandal: Im Spätsommer 1825 veröffentlicht er seine parodistische Erzählung "Der Mann im Mond" unter dem Namen eines populären Erfolgsautors seiner Zeit. Eine Klage wegen "rechtswidriger Täuschung " ist die Folge, bringt ihn aber in die Schlagzeilen aller Feuilletons. Das Lesepublikum ist hingerissen von dem frechen Nachwuchsautor.
Der Verleger Cotta, der auch die Werke von Goethe und Schiller herausgibt, trägt Hauff die Redaktion des "Taschenbuchs für die Damen" an und bittet ihn, auch die redaktionelle Verantwortung des "Morgenblatts für gebildete Stände" zu übernehmen, der damals meistgelesenen Unterhaltungszeitschrift. Hauff sagt beides zu: "Die erste Stelle würde bey wenig Arbeit tausend Gulden tragen. Rechne ich dazu, was ich durch critische und erzählende Arbeit verdienen kann so kann ich leicht zweitausend zusammen bringen." Endlich ist er so abgesichert, dass er seine langjährige Verlobte heiraten kann. Aber das Glück hält nicht lang: Von einer Recherche-Reise für seinen neuen Roman kehrt er schwerkrank aus München und Tirol zurück. Über Wochen ist er bettlägerig. Die Drucklegung des "Taschenbuchs für Damen" erlebt er noch mit und schlägt Heinrich Heine als Autor für die nächste Ausgabe vor. Acht Tage nach der Geburt seines ersten Kindes stirbt Wilhelm Hauff mit 24 Jahren an Nervenfieber.
Der Text
Ein Fremder zieht in die Stadt Grünwiesel. Er gilt als sonderbar, weil er sich dem gesellschaftlichen Treiben nicht anschließt und sehr zurückgezogen lebt. Die Leute "zerreißen sich das Maul" über ihn. Eines Tages kehrt er von einer Reise mit seinem vermummten Neffen zurück, "einem Engländer", wie er dem Bürgermeister angibt. Der junge Herr legt allerdings seltsam rüpelhafte Manieren an den Tag, die die Einwohner von Grünwiesel für "vornehm und modern" halten. Der Höhepunkt der Flegeleien ist ein Stadt-Konzert, das zum Desaster ausartet: Der Neffe wird als Orang-Utan enttarnt, die Bürger haben sich zum Affen machen lassen. Aber - es gibt ein glückliches Ende...
Die Novelle "Der junge Engländer oder Der Affe als Mensch" ist ein satirischer Angriff Hauffs auf die Borniertheit der beginnenden Biedermeierzeit, in der jeder angefeindet wird, der sich den starren gesellschaftlichen Konventionen nicht "anbiedert" und anpasst. Fremdes wird als besonders bewundert. Die Novelle ist in seinem "Märchenalmanach auf das Jahr 1827" veröffentlicht worden. Nach dem Vorbild damals populärer Gesellschaftsnovellen verband Hauff die einzelnen Geschichten durch eine Rahmenerzählung, in der sich Menschen unter ungewöhnlichen Umständen begegnen und einander die Geschichten erzählen.
Der Sprecher
Gregor Höppner stürzt sich mit der Spielfreude eines Wortartisten in die Studio-Arbeit. Mit großer Leichtigkeit jongliert er Wortgetüme und komplizierte Textpassagen, auch wenn sie mitunter schwergängig sind. Bei Wilhelm Hauffs satirischem Märchen "Der Affe als Mensch" kann er alle Register seines szenischen Talents ziehen: In Sekundenschnelle transferiert er die gedruckten Sätze in filmische Sequenzen vor das innere Auge des Zuhörers.
Seine schauspielerische Ausbildung hat der gebürtige Berliner an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in Hannover absolviert. Danach waren die Stationen u.a. Hamburg, Bochum, Köln und Aachen. Höppner gehört zu den Mitbegründern des N.N. Theaters Köln, das sich mit bühnenreifen Klassikerparodien einen Namen gemacht hat. Er arbeitet viel als Sprecher für Hörspiel, Radiofeature und Fernseh-Dokumentationen. 2009 hat er seinen ersten eigenen Kurzfilm gedreht.
Die Klassiker - Wilhelm Hauff: Der junge Engländer oder Der Affe als Mensch
Sprecher: Gregor Höppner
Produktion: interface studios, Köln
Regie: Heike Mund
Online-Realisation: Claudia Unseld
Redaktion: Gabriela Schaaf