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Wilder Streik lähmt Busnetz in Maharashtra

Natalie Mayroth
24. Dezember 2021

Ein beispielloser Streik bei einem der größten Busunternehmen Indiens geht trotz Lohnerhöhung weiter: Die Beschäftigten wollen Staatsbedienstete werden.

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Indien Streik von Angestellten der Busgesellschaft MSRTC in Mumbai
Streikende Busfahrer auf dem Freiheitsplatz in MumbaiBild: Natalie Mayroth

"Möge die Einheit der Arbeiter siegen", schallt es aus einem brummenden Lautsprecher. Davor sind ein paar Hundert Männer und Frauen versammelt, die auf dem Boden sitzend zuhören. Es sind Beschäftigte des halbstaatlichen Busverkehrsunternehmens des Bundesstaates Maharashtra, kurz: MSRTC. Sie haben sich auf dem zentralen Platz der Freiheit (Azad Maidan) der westindischen Metropole Mumbai versammelt. Wer einen Schlafplatz in Mumbai hat, kommt tagsüber. Andere, wie die Busschaffnerin Mandakini Karad aus der acht Stunden entfernten Stadt Aurangabad, übernachten im Freien.

Indien Streik von Angestellten der Busgesellschaft MSRTC in Mumbai
Busschaffnerin Mandakini Karad aus dem ländlichen Maharashtra mit ihren streikenden Kollegen in MumbaiBild: Natalie Mayroth

Seit Wochen finden die Versammlungen auf dem Azad Maidan statt. Am 3. November wurde ein unbefristeter Streik der Belegschaft ausgerufen, mit einer klaren Forderung: Die Busgesellschaft "Maharashtra State Road Transport Corporation" (MSRTC) soll vollständig in die Zuständigkeit und Finanzierung durch die Regierung des Bundesstaats Maharashtra überführt werden. Damit würden die rund 90.000 Beschäftigten zu Staatsbediensteten, mit diversen Vergünstigungen, die ihnen als Beschäftigte des halbstaatlichen Betriebs bislang nicht zustehen.

Indien Coronavirus
Busverkehr in Mumbai unter Pandemie-BedingungenBild: Niharika Kulkarni/REUTERS

Die Zeitung "Indian Express" zählt auf: Wäschereinigungszuschlag, Teuerungszuschlag, Wohnkostenzuschlag, Pendlerzuschlag. Auch bei Gesundheitsleistungen sind die Beschäftigten von MSRTC benachteiligt. Das zeigte sich auch an der Behandlung unter Pandemiebedingungen: Obwohl die Busse nicht nur Passagiere, sondern auch Post, Zeitungen und Medikamente befördern, erhielten die Mitarbeiter nicht den Status als "Einsatzkraft an der Pandemie-Front" ("Frontliner"), was ihnen Priorität bei der Impfung gegen COVID-19 eingeräumt hätte. Über 300 von ihnen sind laut "Times of India" im Zusammenhang mit einer Infektion mit dem Virus gestorben.

Unnachgiebige Belegschaft

Unterdessen ist die Landbevölkerung hart vom Streik betroffen, besonders Studierende. Denn die ratternden MSRTC-Busse sind für viele die einzige bezahlbare Verbindung zwischen Städten und entlegenen Gebieten. "Wir leiden sehr unter dem Streik, da ich in einer abgeschiedenen Region im Palghar Distrikt lebe", sagt die 21-jährige Poonam Gharat. Die Schulen und Hochschulen haben nach langer Pause wieder geöffnet, doch muss sie nun jeden Tag acht Kilometer zu Fuß zurückzulegen. "Kinder, die in unserer Nachbarschaft eingeschult wurden, können wegen des Streiks nicht zur Schule gehen", sagt sie.

Indien Streik von Angestellten der Busgesellschaft MSRTC in Mumbai
Mittagessen auf dem Versammlungsgelände der StreikendenBild: Natalie Mayroth

Doch der Großteil der Beschäftigten hält am bisher längsten Streik bei der 1950 gegründeten Busgesellschaft fest. Und zwar nicht nur, um einige finanzielle Sonderleistungen zu erlangen. Aufgrund der massiven Umsatzverluste des Busbetriebs durch die Lockdowns 2020 und 2021 wurden Gehälter teilweise monatelang nicht ausgezahlt; über 30 Beschäftigte sollen aus wirtschaftlicher Not Selbstmord begangen haben.

So riefen mehrere Gewerkschaften für den 27. Oktober zu einem Hungerstreik auf. Das Aktionskomitee stellte vier Hauptforderungen, darunter Verbesserungen bei den Zulagen, eine Gehaltserhöhung sowie die Aufwertung der Beschäftigten als Staatsdiener. Gewerkschaften und Bundesstaatsregierung einigten sich rasch, die meisten Forderungen wurden erfüllt, bis auf eine: die Übernahme der Busgesellschaft durch die Regierung. Seitdem herrscht ein "wilder" Streik ohne Beteiligung der Gewerkschaften, denen die Streikenden "Verrat" vorwerfen.

Wirtschaftliche Schieflage

Die Regierung von Maharashtra - wo momentan die BJP von Ministerpräsident Modi  in der Opposition ist - hatte den Streikenden eine Gehaltserhöhung zugesprochen und gebeten, wieder die Arbeit aufzunehmen. Sie wartet eine Entscheidung des Obergerichts (High Court) in Mumbai über die Forderung der Streikenden ab. Angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage der Busgesellschaft dürfte der Regierung eine hundertprozentige Übernahme wenig verlockend erscheinen.

Die MSRTC konnte schon lange vor der Pandemie keine Gewinne mehr machen. Dasselbe gilt für fast alle Transportunternehmen der indischen Bundesstaaten. Bereits seit zehn Jahren schreibt die Gesellschaft rote Zahlen. Sie rechnet laut der Zeitung "Indian Express" zum Ende des laufenden Finanzjahres mit einem Verlust von umgerechnet 1,4 Milliarden Euro. In den vergangenen anderthalb Jahren gewährte die Regierung dem Busunternehmen dreimal finanzielle Unterstützung, damit es Gehälter zahlen konnte.

Indien Streik von Angestellten der Busgesellschaft MSRTC in Mumbai
Weibliche Mitarbeiter der Busgesellschaft sind meistens im ländlichen Raum tätigBild: Natalie Mayroth

Alle Versuche, die Streikenden zum Aufgeben zu bewegen, schlugen bislang fehl. Ihnen wurden höhere Löhne versprochen, aber gleichzeitig mit Entlassung gedroht, falls sie die Arbeitsniederlegung nicht beenden. 10.000 Personen wurden bisher freigestellt.

Von ihrer Forderung einer Zusammenführung des Unternehmens mit der Regierung wollen sie nicht abweichen, sagt der ehemalige Gewerkschafter Vijaykumar Thigale. Der 47-jährige Mechaniker erklärte gegenüber der DW: "Wir verlassen uns auf die Verfassung, nicht auf irgendeine Gewerkschaft." Nachdem die Beschäftigten keine weitere "Einmischung" wollten, habe er seinen Posten bei der Gewerkschaft niedergelegt. Die seien zu sehr in die Machtspiele der politischen Parteien verwickelt.

Misstrauen gegenüber Privatisierung

Auch Privatisierungsmaßnahmen zur Reduzierung der Verluste sieht Thigale skeptisch. Die Unternehmensberatung KPMG ist bereits mit der Prüfung entsprechender Maßnahmen beauftragt. Ex-Gewerkschafter Thigale sieht beunruhigende Zeichen: "Zuerst stellten sie Mitarbeiter auf Vertragsbasis ein. Dann haben sie ein externes Unternehmen für die Fahrkarten beauftragt. Unsere Uniformen und Werkzeuge kommen nun auch von Privatfirmen." Der Mechaniker sieht das nicht als Chance für mehr Wettbewerb. Er bemängelt schlechtere Qualität und befürchtet mehr Korruption, die sich durch viele Bereiche der indischen Gesellschaft zieht.

Indien Streik von Angestellten der Busgesellschaft MSRTC in Mumbai
Einer der Wortführer des Streiks, Ex-Gewerkschafter Vijaykumar ThigaleBild: Natalie Mayroth

Die Schaffnerin Mandakini Karad ist sich darüber im klaren, dass ihre Forderungen schwierig umzusetzen sind. Sie ist überzeugt, dass ihr mehr Lohn als umgerechnet 140 Euro zustehen. Aber um Geld alleine gehe es ihr nicht: "Selbst, wenn es mehrere Jahre dauert, um den Betrieb umzubauen, wir wollen ein schriftliches Versprechen", fordert sie mit lauter Stimme. Auch nach über 50 Tagen auf dem Azad Maidan will sie den Protest nicht beenden.

Mitarbeit: Mayur Yewle