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PolitikUkraine

Wie ukrainische Frauen gegen die russische Besatzung kämpfen

Anna Psemyska
9. August 2023

Die Bewegung "Wütende Mawka" zeigt in den von der russischen Armee besetzten Gebieten im Süden der Ukraine, dass die fremden Soldaten dort nicht willkommen sind. Die Aktionen sind vielfältig - und unberechenbar.

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"Ich will keine Blumen, ich will meine Ukraine" - Flugblatt der "Mawkas" in den von der russischen Armee besetzten Gebieten
"Ich will keine Blumen, ich will meine Ukraine" - Flugblatt der "Mawkas" in den von der russischen Armee besetzten GebietenBild: privat

"Ich erzähle meiner Familie nichts von meinen Untergrundaktivitäten. Ich tue alles, damit sie kein einziges Flugblatt und keine Farbspraydose zu sehen bekommen", sagt Tetjana (Name geändert). Sie stammt aus Simferopol auf der von Russland 2014 annektierten ukrainischen Halbinsel Krim und gehört der Widerstandsbewegung "Wütende Mawka" an. "Mawka", ein Wesen aus der ukrainischen Folklore und Mythologie, ist die Beschützerin des Waldes. Sie soll die Natur vor bösen Einflüssen bewahren.

Die Untergrundorganisation aus Frauen ist in den von Russland besetzten Gebieten der Ukraine aktiv und wird über das soziale Netzwerk Telegram koordiniert. Die Frauen verbreiten pro-ukrainische Flugblätter, malen Graffiti, vernichten russische Symbole und sammeln Informationen über das russische Militär.

Wie die Widerstandsbewegung entstand

"Mawkas sehen alles!", "Besatzer, ärgert nicht die ukrainischen Frauen!" - das steht auf den Flugblättern mit dem Bild des Mawka-Wesens, die immer wieder in den Straßen der von Russland besetzten Städte in den ukrainischen Regionen Saporischschja und Cherson, aber auch auf der Krim auftauchen. Die Widerstandsbewegung wurde von drei Freundinnen aus Melitopol gegründet. Mit einer von ihnen kann die DW über Zoom sprechen. Sie bittet darum, lediglich "Wütende Mawka" genannt zu werden. Ihren wahren Namen verschweigt sie aus Sicherheitsgründen. Während des Gesprächs ist ihr Gesicht mit einer Maske bedeckt und sie hat eine Kappe über ihre Augen gezogen.

Die junge Frau sagt, die Idee einer Untergrundbewegung aus Frauen sei bei einem Beisammensein in der Küche gekommen: "Der 8. März, der Internationale Frauentag, stand bevor. Uns war klar, dass die Besatzer etwas unternehmen und bestimmt Frauen vor Geschäften Blumen schenken würden. Wir wollten ihnen zeigen, dass sie uns mit Blumen nicht kaufen können, und dass wir wissen, was wir wollen, nämlich zurück zur Ukraine."

"Mawkas" gegen "Orks"

Eine der drei Frauen ist Künstlerin. Sie erstellte Flugblätter mit dem Bild einer jungen Frau, die einen russischen Soldaten mit einem Blumenstrauß schlägt - mit der Aufschrift "Ich will keine Blumen, ich will meine Ukraine". Die anderen jungen Frauen befassten sich mit Telegram. Über das soziale Netzwerk konnten Bewohner der besetzten Gebiete die Flugblätter in digitaler Form herunterladen, ausdrucken und in ihren Städten aufkleben.

Ukraine: Front und Frauenrollen

Als Gegensatz zu den "Orks" (dieser Name nichtmenschlicher Wesen aus dem "Herrn der Ringe" wird von vielen Ukrainern für die russischen Militärs verwendet) entschieden sich die Frauen für die Abbildung einer "Mawka". "Während der Besatzung haben wir die ganze Zeit versucht, unseren Widerstand deutlich zu machen, wir haben auch anderen Bewegungen geholfen. Aber wir dachten immer, dass es gut wäre, etwas als Frauen zu tun", sagt die Mitbegründerin der Bewegung und fügt hinzu, dass die russischen Besatzer dies von Frauen nicht erwartet hätten.

Kurz vor dem 8. März sah auch Tetjana aus Simferopol auf Telegram die "Mawka"-Flugblätter. Ihre Kindheit hatte sie bei ihrer Großmutter in Melitopol verbracht, daher verfolgt sie die Ereignisse in der besetzten Stadt im Süden der Ukraine genau und abonnierte den Telegram-Kanal "Wütende Mawka". Tetjana sagt, dass sie schon 2014, während der Annexion der Krim, ihre pro-ukrainische Position zum Ausdruck bringen wollte. Doch damals sei sie noch minderjährig gewesen. Als sie im März 2023 erfuhr, dass Russen in die Wohnung ihrer Großmutter in Melitopol eingezogen seien, die seit Beginn der umfassenden Invasion im Februar 2022 leer stand, beschloss sie, dass es an der Zeit war zu handeln. Sie kontaktierte die "Mawkas" und fragte, was sie für sie tun könne.

Flugblätter, Graffiti und Verbrennungen

Die erste Aufgabe der jungen Frau bestand darin, Informationen zu sammeln. "Zuerst habe ich nur beobachtet, als ich Militärs und die Ausrüstung in der Stadt sah. Ich habe Gerüchte von Bekannten gesammelt, die in den lokalen Behörden tätig sind, und habe alles der 'Mawka' gemeldet", sagt Tetjana. Später wurde sie gebeten, Flugblätter zu verbreiten und Graffiti mit ukrainischen blau-gelben Flaggen und pro-ukrainischen Parolen zu malen. Normalerweise filmen die Frauen ihre Aktionen und veröffentlichen die Aufnahmen dann auf ihrem Telegram-Kanal, der inzwischen mehr als 7000 Follower hat.

Tetjana gibt zu, dass es nicht einfach ist, irgendwo unauffällig Flugblätter anzukleben und Graffiti zu malen: "Während man es aufklebt, das Handy zückt, ein Foto macht, hört man schon Schritte von jemandem hinter sich. Graffiti ist noch schwieriger, weil man Handschuhe tragen muss, um sich die Hände nicht mit Farbe zu beschmutzen. Dann muss man den Handschuh ausziehen und ein Foto machen. An gut besuchten Orten haut das nicht hin." Daher tauchen Spuren der "Mawkas", nach Fotos aus dem Telegram-Kanal nach zu urteilen, am häufigsten dort auf, wo wenig Menschen anzutreffen sind.

Als Tetjanas Vater russische Propagandaplakate und eine russische Flagge von der Arbeit mitgebracht hatte, kam der jungen Frau die Idee, den "Mawkas" vorzuschlagen, russische Symbole zu verbrennen und dies zu filmen oder zu fotografieren. Inzwischen sei dies, so die Frau, eine der Lieblingsbeschäftigungen der "Mawkas".

Wie viele "Mawkas" sind im Einsatz?

Die Bewegung zähle mehr als hundert aktive Teilnehmerinnen aus verschiedenen vorübergehend besetzten Städten, sagt ihre Mitbegründerin, die sich "Wütende Mawka" nennt. Hunderte weitere Frauen und Mädchen machen ihr zufolge unregelmäßig mit: Sie berichten von Straßensperren, an denen die Russen Kontrollen und Durchsuchungen durchführen, von Gebäuden, in denen das russische Militär stationiert ist und dabei die einheimische Bevölkerung als Schutzschild benutzt, oder von Krankenhäusern, die ausschließlich im Dienst der Besatzer stehen.

Die "Mawkas" tragen auch Geschichten von Frauen zusammen, die sich unter der russischen Besatzung in einer feindlichen Umgebung wehrlos fühlen. Wie die "Wütende Mawka" erzählt, verhalten sich russische Soldaten oft dreist und versuchen, mit ukrainischen Frauen auf der Straße in Kontakt zu kommen. "Eine junge Frau hat mir sogar geschrieben, dass sie sich kaum aus dem Haus traue und nur mal in einen Laden gehe", so die Mitbegründerin der Widerstandsbewegung.

Einige prorussische Telegram-Kanäle in Melitopol machen auf die "Mawkas" aufmerksam und bezeichnen ihre Aktivitäten als Versuch, die Menschen vor Ort "einzuschüchtern". Für sie sind die Frauen "Sabotage-Trupps". Andere stellen die Existenz der "Mawkas" gänzlich in Frage. "Für mich ist das ein Zeichen dafür, dass die Besatzer alles sehen und ihnen all das nicht gefällt", sagt die "Wütende Mawka". Ihr zufolge besteht das Ziel der Widerstandsbewegung darin, die Besatzer daran zu erinnern, dass sie in der Ukraine nicht willkommen sind. Die "Mawkas" würden versuchen, gegen die Wucht der russischen Propaganda anzugehen, die mit Hunderten von Zeitungen, Flugblättern, Plakaten mit russischen Flaggen und Parolen agiert.

Hoffnung durch die ukrainische Gegenoffensive

Trotz der Gegenoffensive der ukrainischen Streitkräfte und der regelmäßigen Explosionen in Melitopol fühle sich das russische Militär in der Stadt "wohl", sagt die "Wütende Mawka". Die Frauen im Untergrund sehen keine Anzeichen dafür, dass die Russen Melitopol verlassen wollen. Doch die lokale Bevölkerung werde immer aktiver. "Wenn die Menschen die Erfolge unserer Soldaten sehen und davon lesen, dann macht das ihnen Mut. Die Jungs können es, also können wir es auch", so die "Wütende Mawka".

Griff um den Hals des russischen Doppeladlers: "Ich will nicht weg von der Krim, werde es aber wohl müssen!" - Flugblatt der "Mawkas" auf der Krim
Griff um den Hals des russischen Doppeladlers: "Ich will nicht weg von der Krim, werde es aber wohl müssen!" - Flugblatt der "Mawkas" auf der KrimBild: privat

Laut Tetjana aus Simferopol macht sich nach den jüngsten Explosionen auf der Krim unter denjenigen Bewohnern der Halbinsel, die den Besatzern treu ergeben sind, zunehmend Angst breit. Manche seien schon nach Russland abgereist, andere würden eine Evakuierung im Falle einer Zunahme der Kämpfe erwägen. "In den neun Jahren Besatzung ist leider ein Teil der Bevölkerung unter den Einfluss der anhaltenden russischen Propaganda geraten", bedauert Tetjana. Über ihre Beteiligung an der Widerstandsbewegung spricht sie weder mit Freunden noch Bekannten. Sie sagt aber, dass viele von ihnen die russischen Besatzer kritisieren und sich positiv über die Ukraine äußern würden: "Mir scheint, dass ein großer Teil der Bewohner der Krim, insbesondere die Krimtataren, den Widerstand unterstützen."

Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk