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PolitikEuropa

Wie stimmen EU-Abgeordnete am rechten Rand?

Kira Schacht | Bernd Riegert
3. Juni 2024

Die rechten Parteien im EU-Parlament stimmen bislang oft gegen die Mehrheit. Das zeigt eine Datenanalyse der DW. Wird das im nächsten Parlament so bleiben? Die (rechten) Karten werden vermutlich neu gemischt.

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Mitglieder des EU-Parlaments sitzen in Reihen im Plenum und stimmen ab
Bei der Arbeit: EU-Abgeordnete stimmen ab, hier über den Migrationspakt am 10. AprilBild: Geert Vanden Wijngaert/AP Photo/picture alliance

Meinungsumfragen und Studien in der Europäischen Union legen nahe, dass es bei den Europawahlen Anfang Juni zu einer Verschiebung nach rechts kommen dürfte. Die zwei rechtspopulistischen bis rechtsextremen Gruppen "Europäische Konservative und Reformer” (EKR) und "Identität und Demokratie” (ID) könnten zusammen genommen zwischen 21 und 24 Prozent der 720 Sitze im neuen Parlament erreichen. Im alten Parlament lagen sie bei 18 Prozent.

Die beiden größten Fraktionen, die Christdemokraten und die Sozialdemokraten blieben den Umfragen zufolge ungefähr auf ihrem derzeitigen Niveau. Die Liberalen und die Grünen müssten Einbußen einstecken. 

Meloni und Le Pen nähern sich an

Die bisherigen Fraktionen EKR und ID werden sich nach der Wahl neu zusammensetzen. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni wird mit ihrer Partei "Fratelli d'Italia", die zur (EKR) gehört, mehr Sitze erringen und strebt offenbar eine gemeinsame Fraktion mit ihrer bisherigen Rivalin Marine Le Pen vom französischen "Rassemblement National" an, der bislang zur ID-Gruppe gehörte. 

Zur Vorbereitung einer neuen Fraktion hat die bisherige ID-Gruppe die in Teilen rechtsextreme deutsche AfD zwei Wochen vor der Wahl hinausgeworfen. Die Begründung: Die AfD schade dem Image der anderen Parteien, sei zu extrem und provoziere fortwährend. Das Fass zum Überlaufen brachte eine Relativierung der Nazi-Organisation SS durch AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah. 

Meloni hat als Ziel ausgegeben, eine ähnliche Koalition zu bilden, die sie in Italien anführt. Dort sind Rechtspopulisten (Fratelli), Rechtsextreme (Lega) und Christdemokraten (Forza) ein recht stabiles Bündnis eingegangen. Die "unnatürliche Koalition" von Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen im Europäisches Parlament müsse beendet werden, meint Meloni.

Wie war das bisherige Abstimmungsverhalten?

Das Datenteam der DW hat ausgewertet, wie die beiden Rechtsaußen-Gruppen (EKR und ID) in der vergangenen Legislaturperiode abgestimmt haben. Dazu haben wir das Stimmverhalten von EKR und ID bei Schlüsselthemen wie dem Krieg Russlands gegen die Ukraine, bei Migration und Klimaschutz näher betrachtet. 

Das Ergebnis: Bei den meisten Themen haben die bisherigen rechten Gruppen EKR und ID in der Regel gegen die Mehrheit des Europäischen Parlaments abgestimmt.

Doch nicht immer ist das Stimmverhalten der beiden bisherigen rechten Gruppen gleich, besonders auffällig ist das bei der Haltung gegenüber Russland und bei der Unterstützung der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen den russischen Angriff. 

Kein einheitliches Bild in der Ukraine-Politik

Beide rechten Gruppen haben 2022 zwar den Angriff verurteilt, aber der Unterstützung und Bewaffnung der Ukraine stimmt dann nur noch die EKR zu, während die ID sie 2024 ablehnt. Beide Fraktionen, EKR und ID, sind 2024 für Beschränkungen von ukrainischen Agrarexporten in die EU, weil diese angeblich EU-Bauern benachteiligen. Das gesamte Parlament tritt aber für eine Liberalisierung der Agrarexporte ein.

In der Handelspolitik gegenüber der Ukraine spielen in den rechten Gruppen vor allem die vermeintlichen Interesse der heimischen Bauern eine Rolle. Die polnische nationalkonservative PiS (EKR-Gruppe) stimmt gegen Erleichterungen für die Ukraine, obwohl sie sonst zu den eifrigsten Unterstützern der Ukraine gehört. In den Niederlanden, Belgien und Österreich sind die Rechtspopulisten gespalten. In Italien stimmen die rechtsextreme Lega (ID-Gruppe) und die Meloni-Partei Fratelli (EKR) im Sinne der Ukraine. 

Dem von der Mehrheit des EU-Parlaments gewünschten Beitritt der Ukraine zur Union stimmt die EKR-Gruppe zu. Die weiter nach rechts driftende ID-Gruppe lehnt ihn ab. Beide rechte Fraktionen sind sich aber einig, dass eine Erweiterung nicht mit mehr Integration innerhalb der EU einhergehen sollte. 

Klare Opposition in der Migrationspolitik

Anders als bei der Russlandpolitik gibt es in der Migrationspolitik kein gemischtes Bild. Beide rechte Gruppen sind sich einig und lehnen alle wesentlichen Reformen ab, die die Mehrheit des Parlaments beschlossen hat. Beide Gruppen wollen wesentlich striktere Maßnahmen bis hin zu einer völligen Schließung der Grenzen und einem Ende des Asylrechts in Europa.

Ausnahme ist die Eurodac-Verordnung, die die Einführung einer verbesserten Datenbank zur Erfassung aller einreisenden Migranten und Asylbewerber vorsieht. Ihr stimmten beide Gruppen zu. 

"Green Deal" wurde abgelehnt

In der Umweltpolitik und beim Klimaschutz stimmen die Abgeordneten der beiden Gruppen mehr oder weniger deckungsgleich ab. Maßnahmen zur Einschränkung von CO2-Emissionen werden meist abgelehnt, während die Mehrheit des Parlaments ihnen zustimmt. Der Menschen gemachte Klimawandel wird von vielen Parteien, in der EKR und in der ID abgestritten, unter anderem von der deutschen AfD. 

Genaue Prognosen kaum möglich

Die Frage, was wäre wenn die rechtspopulistischen bis rechtsextremen Parteien im neuen Parlament kräftig zulegten, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Greifen wir ein Beispiel heraus: Die Abstimmung über ein Gesetz zur Luftreinhaltung im April 2024. Hier stimmen die EKR und die ID-Fraktionen zusammen mit der halben christdemokratischen EVP-Fraktion gegen das Gesetz. Trotzdem findet es im Plenum eine Mehrheit, weil Linke, Sozialdemokraten und Grüne geschlossen dafür stimmen. Selbst mit den zusätzlichen Sitzen, die rechte Abgeordnete laut Umfragen bei der Europawahl 2024 bekommen könnten, hätte sich an diesem Gesamtergebnis nichts geändert.

Neue Verbündete für die größte Fraktion der Christdemokraten?

Die Analystin der Brüsseler Denkfabrik "Centre for European Policy Studies (CEPS)", Sophia Russack, meint, am Ende könnten die Christdemokraten (EVP) als größte Gruppe im Europäischen Parlament ihren Einfluss vielleicht sogar noch ausbauen. Sie seien nicht mehr nur auf eine Koalition mit Sozialdemokraten und Liberalen angewiesen, sondern könnten von Fall zu Fall mit den moderaten Teilen der Rechten, also der heutigen EKR, zusammenarbeiten. "Ich glaube nicht, dass wir uns darum sorgen müssen, dass Rechtsaußen künftig die Entscheidungen bestimmt. Es könnte aber sehr wohl sein – und auch das ist Spekulation – dass die Agenda der EU durch sie ein wenig weiter in Richtung konservativ verschoben wird."

Die Spitzenkandidatin der christdemokratischen Fraktion (EVP), Ursula von der Leyen, schließt eine Zusammenarbeit zumindest mit Teilen der rechtspopulistischen oder rechtsextremen Abgeordneten nicht aus. Auch sie weiß nicht, welche neuen Gruppen rechts der Mitte es im nächsten Parlament geben wird, aber sie sagte in einem Hörfunkinterview im Deutschlandfunk, sie wolle von Fall zu Fall mit einzelnen Abgeordneten, nicht mit ihren Parteien, zusammenarbeiten. Die Voraussetzung für solche informelle Koalitionen sei, dass die Abgeordneten für die Ukraine eintreten, europäische Werte vertreten und Rechtsstaatlichkeit wahren wollten. 

Interessant wird sein, wo sich die 12 Abgeordneten der rechten ungarischen Regierungspartei "Fidesz" einsortieren werden. Sie waren bislang keiner Fraktion zugeordnet und wurden in der Datenanalyse nicht berücksichtigt. Eine weitere Frage, die sich aus den bisherigen Daten nicht beantworten lässt: Wie werden sich die neun Abgeordneten der Rechtspopulisten aus den Niederlanden verhalten, die zum ersten Mal laut Umfragen ins Europaparlament einziehen werden? Die PVV von Geert Wilders hat rechtzeitig vor der Europawahl eine Regierungskoalition in den Niederlanden zustande gebracht, in der sich die PVV mit bisherigen Christdemokraten und Liberalen verbündet. Auch das könnte ein Modell für mögliche Mehrheit im nächsten Europaparlament werden.

Europa vor dem Rechtsruck?

 

Daten, Quellen und Methodik hinter dieser Analyse finden Sie in diesem Repository. Mehr datenjournalistische Geschichten der DW finden Sie hier.

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