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Wie Russland Tschechien als Tor zur EU nutzt

Tim Gosling
22. September 2024

In Tschechien finden sich mit Abstand die meisten russlandnahen Unternehmen im Vergleich zu allen EU-Staaten. Das birgt auch Risiken für Prags zentralen Handelspartner Deutschland.

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Ansicht des Atomkraftwerks Temelin in der Tschechischen Republik mit Kühltürmen im Hintergrund
Der Kernenergiesektor in Tschechien ist nach wie vor stark von Lieferungen und Know-how aus Russland abhängigBild: Vaclav Pancer/picture alliance

Rund 46.000 Unternehmen in der EU haben einen russischen Bezug, der nach EU-Regeln meldepflichtig ist, heißt es von der internationalen Rating-Agentur Moody's. Mehr als ein Viertel davon finden sich in der Tschechischen Republik, in der aber nur zweieinhalb Prozent der EU-Bevölkerung leben.

Bulgarien ist mit 9500 Unternehmen der zweitbeliebteste Standort für Unternehmen mit Russland-Bezug. Obwohl Deutschland hinsichtlich der Wirtschaftskraft und der Bevölkerungszahl von mehr als 80 Millionen Einwohnern schwerer wiegt, haben sich hier nur 4200 solcher Unternehmen niedergelassen.

Mehr Geschäfte trotz Abkühlung der Verhältnisses zu Russland

Die Russen sind seit langem sehr daran interessiert, in Tschechien Geschäfte zu machen. Dieser Trend hat sich verstärkt, obwohl sich das Verhältnis zwischen Moskau und Prag seit 2021 und vor allem nach dem Einmarsch in die Ukraine abgekühlt hat.

Es sind politische und geschäftliche Verbindungen, die während des Kommunismus geschmiedet wurden. Die sprachliche Nähe und Schlupflöcher in den sich entwickelnden tschechischen Regulierungssystemen haben russische Investoren ermutigt, das Land als Weg in die EU-Märkte zu nutzen.

Russlands Krieg in der Ukraine habe zu einem Anstieg der Zahl russischer Unternehmer geführt, sagt Pavel Havlicek, Analyst bei der Prager Vereinigung für internationale Angelegenheiten. Ein Geschäftsprojekt oder der Kauf einer Immobilie sei jetzt "der einfachste Weg für Russen, eine tschechische Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten", sagte er der DW.

Oleg Deripaska
Trotz EU-Sanktionen soll der russische Oligarch Oleg Deripaska über seine versteckten Holdings weiterhin Macht ausüben könnenBild: Alina Kovrigina/TASS/dpa/picture alliance

Spione, Sanktionen und Geldwäsche

Daten des Ministeriums für Industrie und Handel zeigen, dass im ersten Quartal 2022 etwa 4300 russische Unternehmer in Tschechien registriert waren. Zwei Jahre später waren es schon über 5200.

"Wir kommen nicht darum herum, eine intensive Diskussion darüber zu führen, wie wir mit Ländern umgehen sollen, in denen der russische Einfluss ein Ausmaß erreicht hat, das nicht nur die Einheit der EU oder der NATO, sondern auch unsere Sicherheit bedroht", sagte der tschechische Premierminister Petr Fiala Ende August.

Die tschechische Spionageabwehr BIS warnt seit langem vor der Bedrohung aus dem eigenen Land und erklärte gegenüber lokalen Medien, dass die hohe Zahl der Unternehmen in russischem Besitz "nicht zur nationalen Sicherheit beiträgt".

Eine große Sorge, so die Analysten, ist, dass sich unter den zweifellos vielen seriösen Unternehmen und Einzelpersonen auch Spione oder Umstürzler befinden. Die Wahrscheinlichkeit, dass der russische Geheimdienst solche Wege nutzt, hat sich 2021 noch erhöht. Damals wies Prag rund hundert Mitarbeiter der russischen Botschaft aus, die man als Geheimdienstagenten eingestuft hatte.

Eine Demonstrantin hält bei Protesten in Prag gegen die Wahlen in Russland einen brennenden Kopf aus Plastik oder Pappmaschee an einem Ast in die Höhe
In Prag, der Hauptstadt der Tschechischen Republik, demonstrierten Menschen im März gegen Putin und die Wahlen in Russland.Bild: Vit Simanek/CTK/picture alliance

Sanktionsverstöße befürchtet

Die Gefahr von Sanktionsverstößen ist ein weiteres großes Thema. Inmitten komplexer globaler Handels- und Finanznetzwerke hat die EU Schwierigkeiten, den Fluss von Geldern und Gütern nach Russland zu kontrollieren. Mehrere solche Verstöße wurden von der Tschechischen Republik aufgedeckt.

Auch kriminelle Banden aus Ländern, die östlich der EU-Grenzen liegen, sind ein Grund zur Sorge. Laut Transparency International CZ herrschen "in der Tschechischen Republik nach wie vor günstige Bedingungen für Geldwäsche, insbesondere für Personen aus der ehemaligen Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten."

Und das tschechische Nationale Zentrum gegen organisierte Kriminalität (NCOZ) warnte im Juli, dass erhebliche Aktivitäten postsowjetischer krimineller Organisationen und zunehmende Bemühungen zur Umgehung von Sanktionen dazu beitragen würden, die Sicherheit Tschechiens im Jahr 2023 zu verschlechtern.

Lukas Kraus sagt, Geldwäsche in Milliardenhöhe trage dazu bei, "die Wirtschaft zu schädigen". In einem Interview mit der DW verwies der Anwalt der tschechischen Nichtregierungsorganisation Wiederaufbau des Staates beispielsweise auf die negativen Auswirkungen auf den tschechischen Wohnungsmarkt, wo die Immobilienpreise für viele unerschwinglich sind.

Russlands Aktivitäten – riskant auch für Deutschland

Riskant sind diese zahlreichen russischen Wirtschaftsinteressen nicht nur für die Tschechen. Die Risiken werden zudem noch in andere Länder getragen, weil die tschechische Wirtschaft stark von ausländischem Kapital und vom Export abhängig ist. Die Verbindungen zu Deutschland sind besonders stark.

"Das Risiko für die Wirtschaftspartner ist den Tschechen bewusst", sagte Havlicek und fügte hinzu, dass "Deutschland das natürlich jetzt auch merkt."

Eigene Sanktionen der Tschechen

Die in Prag ansässige Denkfabrik Datlab hat berichtet, dass Unternehmen in russischem Besitz - darunter viele, die mit von Sanktionen betroffenen Personen in Verbindung stehen - im vergangenen Jahr trotz Sanktionen öffentliche Aufträge im Wert von 2,5 Milliarden Euro (2,76 Milliarden Euro) in der EU erhalten haben.

Seit der Veröffentlichung dieser Studie 2023 hat die tschechische Regierung, die zu den treuesten Unterstützern Kiews gehört, versucht, hart durchzugreifen. Sie wurde dafür gelobt, dass sie ein eigenes Sanktionssystem eingeführt hat, das noch weitreichender ist als die EU-Beschränkungen.

Tschechien Prag | PK MP Petr Fiala zu Dukovany power plant
Tschechiens Ministerpräsident Petr Fiala: Der russische Einfluss bedroht die Einheit von EU und NATO sowie die Sicherheit einzelner EU-Länder Bild: Michal Krumphanzl/CTK/IMAGO

Kritik am bestehenden System

Kritiker bemängeln jedoch, dass es nach wie vor Probleme unter anderem mit der Transparenz und der Durchsetzung der Vorschriften gibt.

Zwar gibt es Fortschritte bei den Bemühungen, anonyme Eigentümerschaft an Unternehmen zu unterbinden. Aber Schwachstellen - die offenbar durch einflussreiche Interessenvertreter geschützt werden - machen es den Behörden besonders schwer, die undurchsichtigen Eigentumsnetze zu durchschauen, hinter denen sich viele russische Interessen verbergen.

Datlab schätzt, dass nur 35 Prozent der Unternehmen, die sich wahrscheinlich in russischem Besitz befinden, in den tschechischen Registern korrekt erfasst sind. Nach Ansicht des Analysten Havlicek ist eine ernsthafte Überarbeitung erforderlich, um die Fähigkeit des Staates zu verbessern, Unternehmen zu überwachen und systematisch zu überprüfen sowie komplexe Eigentumsstrukturen zu analysieren.

Die NGO Wiederaufbau des Staates fordert höhere Strafen für Verstöße gegen  Sanktionen und eine Verschärfung der Maßnahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche.

Ondrej Kopecny, Leiter von Transparency International CZ, erklärte gegenüber der DW, dass die Regierung Fiala es versäumt habe, im Namen der Förderung der Transparenz langfristige strategische und wirksame Lösungen zu erarbeiten oder die Durchsetzung der bestehenden Vorschriften zu verbessern.

Ein Sprecher des Ministeriums für Industrie und Handel sagte auf DW-Anfrage zu den geplanten Maßnahmen lediglich, dass im Ministerium die Situation langfristig beobachtet werde und in Fällen, "in denen Transaktionen ein potenzielles Sicherheitsrisiko darstellen", das Ministerium diese Investitionen überprüfe.

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert