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Wie Russland ausländische Kämpfer für den Krieg mobilisiert

21. August 2024

Russland rekrutiert Bürger aus Ländern des globalen Südens für den Krieg gegen die Ukraine. Gelockt wird nicht nur mit einer vergleichsweise guten Bezahlung. Die DW hat mit einigen über ihre Erfahrungen gesprochen.

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Werbung für den Vertragsdienst in der russischen Armee auf einem LKW vor dem zwei uniformierte Männer stehen
Werbung für den Vertragsdienst in der russischen ArmeeBild: Sergey Pivovarov/REUTERS

Der 21-Jährige aus Sri Lanka ging nicht davon aus, an die Front in die Ukraine geschickt zu werden, als er seinen Vertrag mit dem russischen Verteidigungsministerium unterschrieb. Von der Möglichkeit, sich der russischen Armee anzuschließen, hatte er von einem anderen Sri Lanker erfahren. Dieser habe ihm gesagt, wenn er ein Jahr lang beim Militär dienen würde, würden er und seine Eltern die russische Staatsbürgerschaft erhalten. "Er sagte mir, man werde nicht an die Front geschickt und nur als Helfer eingesetzt", so der junge Mann. Kurz entschlossen unterschrieb er im Februar einen Vertrag und erhielt gleich umgerechnet 2000 US-Dollar. Zugesagt worden sei ihm ein Sold von monatlich 2300 US-Dollar plus etwaige Zuschläge.

Der Sri Lanker aus der Ortschaft Walasmulla sagt, er habe sich gezwungen gesehen, einen Vertrag mit der Armee zu unterschreiben, um in Russland einen legalen Status zu erhalten. Als er im Frühjahr nach einer Verwundung und Gefangennahme in einem ukrainischen Krankenhaus nahe der Front lag, erklärte er sich unter Wahrung von Anonymität bereit, seine Geschichte zu erzählen. Über eine per Telefon zugeschaltete Dolmetscherin sprach er mit einem DW-Reporter auf Singhalesisch, unter Beobachtung ukrainischer Militärs, die offenbar nur über geringe Englischkenntnisse verfügten und sich nicht einmischten.

Von Fleischerei über Restaurant zum Militär

"Wegen der schlechten Wirtschaftslage in Sri Lanka", wie der junge Mann sagt, habe er sich entschieden, über eine Jobagentur ein Arbeitsvisum für Russland zu bekommen. Die Krise in seinem Heimatland hat sich unter anderem wegen Russlands Krieg verschärft, da aufgrund der Blockade ukrainischer Exporte über das Schwarze Meer die Preise für Lebensmittel und Treibstoff gestiegen sind. Ein Jahr lang war der Mann für eine russische Fleischerei tätig und als sein Visum ablief, lebte er ein weiteres Jahr illegal in Moskau, wo er in einem Schnellrestaurant arbeitete. Schließlich ging er zur russischen Armee.

Nach nur zwei Monaten Einsatz im Hinterland wurde er in die Außenbezirke der besetzten ukrainischen Stadt Donezk verlegt. "Ich sagte dem Kommandanten, dass ich zurück nach Sri Lanka will, doch er sagte, dies sei unmöglich und mir würden laut Vertrag im Falle einer Flucht 15 Jahre Gefängnis in Russland drohen", erzählt der junge Mann und fügt hinzu, dass in seiner Einheit auch Bürger Nepals, Indiens, Kirgisistans und Tadschikistans waren. Direkt an der Front sei er nur einmal gewesen - fünf Tage lang. Dort sei er verwundet und gefangen genommen worden.

Im Lager für Kriegsgefangene in der Westukraine stehen Kriegsgefangene in einer Schlange vor einer Tür
Im Lager für Kriegsgefangene in der Westukraine sind vorwiegend Russen, aber auch ausländische SöldnerBild: Hanna Sokolowa-Stech/DW

Wie die Nachrichtenagentur Bloomberg im Juni unter Berufung auf europäische Beamte berichtete, hat Russland Tausende Wanderarbeiter und ausländische Studenten gezwungen, sich der russischen Armee für den Krieg gegen die Ukraine anzuschließen. Den Ausländern sei im Falle einer Weigerung gedroht worden, ihr Visum für Russland nicht mehr zu verlängern.

Viel Geld für Dienst in Russlands Armee

"Wir sind sehr, sehr arm", sagt ein 35-jähriger Nepalese, der sich in einem Lager für Kriegsgefangene in der Westukraine befindet. Im Juli erzählte er der DW seine Geschichte, auch er will namentlich nicht genannt werden. Diesem Gespräch wohnte ebenfalls ein Wärter bei, der aber schwieg und kein Englisch zu verstehen schien.

In Nepal arbeitete der Mann als Taxifahrer - für etwa 400 Dollar pro Monat. Dies reichte nicht, um seine Frau, zwei Kinder und Eltern zu ernähren. Von Freunden aus Indien hörte er, man könnte in der russischen Armee "viel Geld" verdienen. So kam er im Oktober 2023 nach Moskau, wo er gemustert und mit 60 weiteren Ausländern ins Trainingszentrum "Avantgarde" am Rande der russischen Hauptstadt gebracht wurde. Von der Einrichtung haben auch andere angeworbene Ausländer berichtet. Laut dem US-Sender CNN ist sie ausschließlich zur Ausbildung ausländischer Söldner bestimmt. Dort schloss der Nepalese einen Jahresvertrag mit der russischen Armee mit einem Sold von 2000 Dollar pro Monat ab.

Er sagt, auch er sei zunächst im russischen Hinterland eingesetzt worden, zusammen mit einem Chinesen als Küchengehilfe. Insgesamt seien in der Einheit 23 Personen aus Nepal und drei aus Indien gewesen. Die restlichen elf seien Russen gewesen. Sie alle hätten sich mit Hilfe von Audio-Übersetzern verständigt. Nach einem Monat sei er an Stellungen in der Nähe von Donezk verlegt worden. Dort habe er seinen Kommandanten gebeten, ihn nach Hause gehen zu lassen, aber auch ihm sei gesagt worden, dass eine Kündigung des Vertrags nicht möglich sei. Wenige Wochen später, im April, sei er verwundet worden und habe ukrainische Soldaten gesehen. "Ich habe den Helm, die Schutzweste und das Maschinengewehr abgelegt, um Hilfe gebeten und gesagt, dass ich aus Nepal komme", so der Mann.

Menschen aus dem globalen Süden im Militärdienst für Russland

Derzeit sind etwa zehn Söldner in ukrainischer Gefangenschaft, sagt Petro Jazenko, Sprecher des Koordinierungsstabs für Kriegsgefangene beim ukrainischen Militärgeheimdienst HUR. "Es sind noch einige weitere gefangen genommen worden, aber noch nicht in der Statistik angekommen", so Jazenko im Gespräch mit der DW. Ihm zufolge sind unter den Gefangenen Bürger afrikanischer Länder, darunter aus Sierra Leone und Somalia, außerdem aus Sri Lanka, Nepal und Kuba. "Es sind meistens Menschen aus dem globalen Süden, aus armen Ländern", sagt Jazenko und fügt hinzu, dass ein Kubaner ihm gesagt habe, zuhause nur sieben Dollar pro Monat verdient zu haben.

Männer im Lager für Kriegsgefangene beim Essen in einem Speisesaal
Männer im Lager für Kriegsgefangene haben mit der DW unter Wahrung ihrer Anonymität gesprochenBild: Hanna Sokolova-Stekh/DW

Wie viele Ausländer auf russischer Seite kämpfen, ist dem HUR nicht bekannt. Russland spreche Ausländer aber mit Werbung in sozialen Netzwerken sowie direkt im Ausland über Agitatoren an, so Jazenko: "Oft werden Jobs in Firmen versprochen, und wenn es dann um die Armee geht, heißt es, man werde nur im Hinterland eingesetzt.

Das bestätigten auch acht ausländische Gefangene, die der HUR im März zu einer Pressekonferenz nach Kiew brachte - fünf nepalesische Staatsbürger und jeweils ein Bürger aus Kuba, Sierra Leone und Somalia. Sie sprachen freiwillig mit den Journalisten, wie sie versicherten. So sagte der Mann aus Sierra Leone, er habe bereits an einem Krieg in seinem eigenen Land teilgenommen, sei verwundet worden und habe nicht vorgehabt, in einen weiteren Krieg zu ziehen. Nach Russland sei er ursprünglich gefahren, weil ihm ein Job auf einer Baustelle versprochen worden sei.

Petro ​​Jazenko vom HUR weist aber darauf hin, dass es unter den Ausländern, die für Russland kämpfen, auch Profis gebe. "Sie verfügen über militärische Erfahrung und wissen sehr gut, wohin sie fahren", so Jazenko. Nicht alle seien Opfer von Betrug.

Ausländische Söldner als Kriegsgefangene eingestuft

"Solange es keinen Prozess gegen sie gibt, werden sie so festgehalten wie gefangene russische Soldaten", sagt Jazenko über den Status jener Ausländer. Noch sei keiner von ihnen durch Austausch oder andere Verfahren freigekommen. "Einige Länder, insbesondere Sri Lanka und Nepal, haben Interesse daran, ihre Bürger zurückzuholen. Das ermöglicht uns Verhandlungen", so der HUR-Sprecher.

Anfang des Jahres hatte CNN unter Berufung auf eigene Quellen berichtet, Russland habe rund 15.000 nepalesische Staatsbürger angeworben. In der Hauptstadt Kathmandu besuchten Journalisten ein Treffen von Familien nepalesischer Söldner, die von den Behörden die Rückkehr ihrer Angehörigen forderten. Die nepalesische Regierung sprach nur von 200 eigenen Bürgern in der russischen Armee, von denen 13 umgekommen sein sollen. Dennoch untersagte sie ihren Bürgern, zur Arbeit nach Russland zu fahren. Vorausgegangen war ein Aufruf, die Anwerbung nepalesischer Staatsbürger durch Russland zu beenden. Zudem nahm die Polizei in Kathmandu 18 Personen fest, die möglicherweise an der Anwerbung beteiligt waren.

Fluchthilfe auch für Ausländer

Bekannt geworden sind auch Fälle, in denen Ausländer russische Stellungen verlassen haben. Im Mai berichtete der HUR, ohne Zahlen zu nennen, von einer Massenflucht von Söldnern aus Nepal, die in der besetzten Region Luhansk eingesetzt waren. Und im Juni meldete der Sender France 24, dass 22 Sri Lanker aus der russischen Armee geflohen seien.

Aktivisten der russischen Menschenrechtsorganisation "Idite lesom" ("Gehe durch den Wald") helfen bei der Flucht aus der russischen Armee - vor allem Russen und Ukrainern, die in den von Russland besetzten Gebieten gewaltsam zum Militär eingezogen werden. Sie kümmern sich aber auch um Bürger anderer Länder.

Iwan Tschuwiljajew, ein Vertreter der Organisation, bestätigt im Gespräch mit der DW, dass die Aktivisten unter anderem Bürgern afrikanischer Länder und Afghanistans bei der Flucht helfen konnten. Ihm zufolge unterscheidet sich die Art und Weise, wie Russland Ausländer für seine Armee anwirbt, nicht von ihrem Ansatz bei der Rekrutierung eigener Bürger. "Dabei wird ausgenutzt, dass die Menschen die Gesetze nicht kennen und sich in einer prekären finanziellen Lage befinden", so der Menschenrechtsaktivist.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk