Wie Künstliche Intelligenz das Reisen verändert
12. April 2023Einen echten Geheimtipp auf Mallorca kennt ChatGPT nicht. Wer den Chatbot nach einem Ort auf der Insel fragt, der noch nicht vom Massentourismus erobert wurde, muss sich mit altbekannten Sehenswürdigkeiten und Traditions-Lokalen begnügen, die auch in jedem Reiseführer auftauchen. Palmas Kathedrale, das malerische Städtchen Sóller, die jahrhundertealte Eisdiele Ca'n Joan de s'Aigo - viel mehr ist dem Online-Dialogsystem, das auf Künstlicher Intelligenz (KI) basiert, nicht zu entlocken.
"Wenn es um Geheimtipps geht, hängt dies normalerweise von persönlichen Vorlieben und Erfahrungen ab, die ich als KI-Modell nicht habe", erklärt ChatGPT auf die Frage, woran es denn hapert. "Wenn Sie spezifischere und persönlichere Empfehlungen benötigen, rate ich Ihnen, lokale Reiseführer oder Einheimische zu konsultieren, die Ihnen bessere Geheimtipps geben können."
Korrekte Antwort ohne viel Bedenkzeit
Eine prompte (und obendrein korrekte) Antwort bekommt dagegen, wer von ChatGPT wissen möchte, wie man denn per Bus zum zentral in Palma gelegenen Platz Plaça d'Espanya kommt. Ebenfalls ohne viel Bedenkzeit spuckt der Chatbot die Erklärung aus, um was es sich eigentlich bei der mallorcatypischen Paprikawurst Sobrassada handelt (um eine ziemlich fettige Angelegenheit nämlich). Völlig richtig ist auch die Erläuterung, wie die Gepflogenheiten in Sachen Trinkgeld in den Restaurants auf der Insel sind (zehn Prozent gelten in der Regel als großzügig).
"Dass uns ein tourismusspezifischer Chatbot als Reiseführer durch die Stadt leitet, steht kurz bevor", prognostiziert Wolfram Höpken, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Ravensburg-Weingarten und Leiter des dortigen Instituts für Digitalen Wandel. "Dafür ist die Technik auf jeden Fall schon weit genug entwickelt." Es gibt aber andere Bereiche in der Tourismusbranche, in denen Künstliche Intelligenz schon seit einiger Zeit zum Einsatz kommt. "KI-Anwendungen werden im Tourismus bereits recht umfangreich eingesetzt", sagt Höpken.
Mit Künstlicher Intelligenz gegen Touristen-Gedränge
Vieles davon betrifft allerdings eher interne Abläufe touristischer Unternehmen. Reisende bekommen davon zunächst einmal gar nichts mit. So etwa, wenn Fluggesellschaften KI-Anwendungen nutzen, um die Zahl von Passagieren vorherzusagen, die ihren Flug stornieren oder einfach verfallen lassen. Oder wenn Unternehmen auf diesem Wege Missbrauch und Betrug bei Online-Buchungen aufdecken. In Venedig wiederum versucht man mittels Künstlicher Intelligenz allzu große Menschenansammlungen zu verhindern. "Es gibt KI-Anwendungen bereits für alle touristischen Stakeholder wie Reisende, Anbieter, Destinationen und Online-Reiseportale", so Höpken.
Zu den Bereichen, in denen Urlauber ganz direkt mit Künstlicher Intelligenz konfrontiert werden, gehören beispielsweise die sogenannten Chatbots: Statt einer lebendigen Person in der Telefonzentrale eines touristischen Unternehmens, übernimmt ein Computerprogramm den Online-Dialog. Bereits weit verbreitet sind auch sogenannte intelligente Empfehlungssysteme, die unter anderem von Hotel-Buchungsplattformen genutzt werden, um den Kunden ein möglichst genau auf seine jeweiligen Bedürfnisse und Vorlieben zugeschnittenes Angebot präsentieren zu können. Nicht zuletzt wächst auch die Zahl der Hotels und Restaurants, in denen Roboter die Aufgaben übernehmen, die bisher Menschen erledigten.
"Künstliche Intelligenz ist ein sehr dehnbarer Begriff", sagt Höpken. Heutige Roboter, die etwa in Restaurants dreckiges Geschirr an den Tischen abholen und in die Küche bringen, verfügten über eine recht überschaubare Intelligenz. "Der sucht sich seinen Weg durchs Lokal ja nicht wirklich selbständig." Hier stelle sich auch die Frage nach der Nutzerakzeptanz. "Möchte ich im Hotel von einem Roboter begrüßt werden?" Künstliche Intelligenz werde im Tourismus gewiss nicht in jedem Segment funktionieren. Dennoch rechne er für die Zukunft mit einer starken Zunahme von KI-Lösungen im Tourismus.
Ausflug zum Königspalast endet mit Enttäuschung
Auch von der wachsenden Bedeutung von Technologien wie ChatGPT ist Höpken überzeugt. Zumal Fehler ja keine schwerwiegenden Folgen hätten, wenn es nur um einen Ausflugstipp geht. Ungenauigkeiten und falsche Informationen schleichen sich tatsächlich noch regelmäßig in die Antworten von ChatGPT ein. Wer etwa dem Ratschlag der Künstlichen Intelligenz folgt und sich auf den Weg macht, den Marivent-Palast am Stadtrand von Palma zu besichtigen, der wird enttäuscht: Das Gebäude, das der spanischen Königsfamilie als Sommerresidenz dient, ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.
Ob Chatbots also tatsächlich eines Tages den guten alten Reiseführer ersetzen werden, muss sich noch zeigen. ChatGPT selbst traut sich das jedenfalls eher nicht zu: "Obwohl ich als digitaler Assistent nützlich sein kann, denke ich, dass ich persönliche Erfahrungen und Meinungen, die Reiseführer und Einheimische bieten können, nicht vollständig ersetzen kann", so die Antwort des Chatbots auf die Frage nach seinen Zukunftsplänen.