1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikIsrael

Wie arabische Medien Israels Justizreform beurteilen

Kersten Knipp | Mohamed Farhan
3. August 2023

Mit Erstaunen, aber auch Spott blicken die arabischen Medien auf die Justizreform in Israel. Sie rechnen mit einer Veränderung der politischen Kultur des Landes. Diese werde dem Land nicht guttun.

https://p.dw.com/p/4UbJ4
Demonstranten gegen die Justizreform stellen sich vergangene Woche einem Wasserwerfer entgegen
Demonstranten gegen die Justizreform stellen sich vergangene Woche einem Wasserwerfer entgegenBild: Ariel Schalit/AP Photo/picture alliance

In einem sind sich Medien und Beobachter in der arabischen Welt einig: Die derzeit betriebene Justizreform werde auf Israel einen nachhaltigen Einfluss haben. Diese tiefgreifende Veränderung werde das Verhältnis des Landes zu seinen Nachbarn neu bestimmen.

Allerdings: Die Diskussion um die Reform ist in erster Linie ein Medienphänomen. Dies gelte zumindest für die palästinensischen Autonomiegebiete, sagt Steven Höfner, Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah. "Viele Palästinenser halten das Thema nicht für sonderlich relevant", sagt Höfner im DW-Interview. "Sie sehen zwar, dass sich in Israel selbst etwas ändert. Aber sie gehen nicht davon aus, dass das auch Auswirkungen auf sie selbst haben wird. Insofern interessiert sich nur ein vergleichsweise kleiner Teil für das Thema."

Umso entschiedener greifen die Zeitungen in den Autonomiegebieten das Thema auf. Die israelische Gesellschaft bewege sich in Richtung eines politischen Extremismus, der sich inzwischen nicht nur gegen die Palästinenser richte, sondern dazu führe, dass die internen Konflikte in Israel selbst nun offen aufbrächen, hieß es Ende vergangener Woche nach dem Beschluss des israelischen Parlaments in der Zeitung "Al-Quds", dem auflagenstärksten Blatt in den Autonomiegebieten. Die Regierung in Jerusalem könne diesen Konflikt allenfalls einfrieren - und zwar, indem sie "neue Aggressionen" gegen die Palästinenser, den südlichen Libanon, Syrien oder Iran durchführe, heißt es in dem Blatt. Davon, dass die Sicherheit Israels durch die libanesische Hisbollah, das Assad-Regime und insbesondere den Iran gefährdet ist, findet sich in dem Kommentar kein Wort.

Internationale Distanz zu Israel?

Nicht nur innen-, sondern auch außenpolitisch habe die Justizreform Folgen für Israel, heißt es am Montag dieser Woche in der in Ramallah erscheinenden Zeitung "Al-Ayyam", dem zweitstärksten, als regierungsnah geltenden Blatt der Autonomiegebiete. Im Ausland werde die Justizreform als Auftakt zu einer "diktatorischen Phase" sowie einem "umfassenden Niedergang" der israelischen Staatsinstitutionen gesehen, ist "Al-Ayyam" überzeugt. Parlamente, Regierungsinstitutionen und Organisationen der Zivilgesellschaft dürften ihre Beziehungen zu Israel überdenken, so das Blatt. Es scheine, als richte sich Israel nun gegen ebene jene Voraussetzungen, denen es seine Entwicklung, ja sogar seine Existenz verdanke.

Schwächung der militärischen Kraft?

Ähnlich liest sich eine Analyse auf der arabischsprachigen Seite des aus Katar stammenden, Israel grundsätzlich kritisch gegenüberstehenden Nachrichtensenders Al-Jazeera. Durch die Reform wachse die politische Spaltung und mit ihr die Unsicherheit im Land. Israel "wird sich von vielen Faktoren seiner Macht trennen, die seine Existenz bislang gesichert haben", so Al-Jazeera. So werde sich etwa die militärische Kraft des Landes reduzieren.

Morgenluft wittern auch die Extremisten der Region. So äußerte etwa Hassan Nasrallah, der Chef der extremistischen Hisbollah-Miliz im Libanon, deren militärischer Arm von der Europäischen Union als Terrororganisation eingestuft wird: "Das ist es, was sie (die Israelis, Anm.d. Red.) auf den Weg des Zusammenbruchs, der Fragmentierung und des Verschwindens bringt, so Gott will."

Ein israelischer Panzer in der Nähe des Gazastreifens, Mai 2021
Das Kalkül der Extremisten: Die Reform könnte Israel militärisch schwächen. Ein israelischer Panzer im Mai 2021 in der Nähe des Gazastreifens Bild: Ilia Yefimovich/dpa/picture alliance

Anders sieht das der Polit-Journalist Abdessamad Bencherif, mit dem die DW über die Wahrnehmung der Krise in einem geographisch entfernteren Land, Marokko, gesprochen hat. Zwar würden die Folgen der Reform die innerisraelischen Spannungen erhöhen und die Lage verkomplizieren. Er könne sich aber nicht vorstellen, dass die Reform eine Bedrohung der Sicherheit oder gar Existenz Israels nach sich ziehen werde. "Es ist bedauerlich, dass die rechte Tendenz über die politischen Eliten und die Gesellschaft Israels dominiert und der religiöse Populismus zunimmt", so Bencherif.

"Israel übernimmt Spielregeln der Region"

Sarkastisch kommentiert die Entwicklung der Kolumnist Tariq Al-Hamid in der saudischen Zeitung "Asharq al-Awsat", die sich, der Linie der Regierung in Riad folgend, Israel gegenüber vergleichsweise diplomatisch zeigt. "Heute können wir sagen, dass Israel sich den Spielregeln der Region ergeben hat und zu einem normalen Land im Nahen Osten geworden ist, in dem ein Drittel der Wähler für religiöse Parteien stimmt", schreibt er. Die politische Krise in Israel zeige, dass das Land aus ideologischen Gründen und engstirnigen politischen Interessen nach den in der Region verbreiteten Mechanismen verfahre. "Israel hat sich mit den Spielregeln in der Region abgefunden, wo die Demokratie verzerrt ist und man auf die extremistische Karte setzt, um politische Vorteile zu erzielen", schreibt Al-Hamid.

Kundgebung gegen Justizreform in Jerusalem, Juli 24.7.2023
Kundgebung in Jerusalem am Montag vergangener WocheBild: MENAHEM KAHANA/AFP

Keine Auswirkungen auf Abraham-Abkommen

Vor knapp drei Jahren schlossen zwei Staaten der Golfregion, nämlich die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain, Normalisierungsabkommen mit Israel, die sogenannten Abraham-Abkommen. Später folgten entsprechende Vereinbarungen auch mit Marokko und dem Sudan. Könnte es sein, dass die Justizreform nun Auswirkungen auf die Abkommen hat - dass sich die Vertragsstaaten aus diesen lösen könnten? Das sei unwahrscheinlich sagt, Cinzia Bianco, Expertin für die Golf-Region beim Think-Tank European Council on Foreign Relations, der DW. Bei den Abraham-Abkommen gehe es lediglich um die Beziehungen zwischen den Unterzeichnerstaaten, so Bianco. "Ihr Inhalt bleibt von Meinungsverschiedenheiten in der Innenpolitik unberührt."

Dringlicher wird die Reform hingegen in der politischen Elite der Autonomiegebiete diskutiert, sagt Steven Höfner von der Konrad-Adenauer-Stiftung. "Dort ist man sich bewusst, dass man sich in Israel gerade die Frage nach der nationalen Identität stellt." Auf die habe das Land derzeit noch keine Antwort gegeben.

Reaktionen auf Netanjahus umstrittene Justizreform

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika