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Werden Bidens neue Ölsanktionen Russland wirklich schaden?

Arthur Sullivan
14. Januar 2025

Experten zufolge könnten neue US-Sanktionen gegen russische Ölexporte spürbare Auswirkungen auf die Öl-Einnahmen Moskaus haben. Indien und China könnten dazu gebracht werden, nach alternativen Lieferquellen zu suchen.

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Umweltschützer protestieren in der Ostsee gegen einen russischen Öltanker
Westliche Sanktionen gegen einzelne Tanker der russischen Schattenflotte zeigen zunehmend WirkungBild: Ole Berg-Rusten/NTB/picture alliance

Die Amtszeit der US-Regierung unter Joe Biden ist fast abgelaufen, doch in ihren letzten Tagen hat sie entscheidende Maßnahmen gegen russische Erdölexporte, die wichtigste Einnahmequelle von Präsident Wladimir Putin, ergriffen.

Am 10. Januar kündigte das Weiße Haus strenge Sanktionen gegen den russischen Erdölsektor an und setzte fast 200 Schiffe der so genannten Schattenflotte auf die schwarze Liste. Außerdem nahmen die USA die russischen Erdölproduzenten Gazprom Neft und Surgutneftegas ins Visier.

Moskau hat seit der Einführung des Ölpreisdeckels Ende 2022 zahlreiche Wege gefunden, um die Sanktionen zu umgehen, die durch verschiedene Maßnahmen den Preis für ein Barrel russisches Öl auf 60 Dollar (58,20 Euro) begrenzen. Analysten bewerten die neuen Entwicklungen als wichtigen Schritt.

Craig Kennedy, ein unabhängiger Russlandexperte, der derzeit am Davis Center for Russian Studies an der Harvard University arbeitet, erklärte gegenüber der DW, die jüngste Maßnahme sei "ein schmerzhafter Schlag" für Russland. "Sie bedeutet, dass einige der Schiffe, auf die man sich verlassen zu können glaubte, in Häfen auf der ganzen Welt bis auf weiteres außer Betrieb genommen werden müssen und damit ihren Nutzen verlieren", so Kennedy.

USA Washington 2025 | Joe Biden spricht im Roosevelt Room des Weißen Hauses
Die jüngsten Sanktionen sind ein starkes letztes Zeichen der Regierung BidenBild: Ben Curtis/AP/picture alliance

Benjamin Hilgenstock von der Kyiv School of Economics bezeichnete die Nachricht gegenüber der DW als "sehr willkommene Entwicklung", sagte aber, dass der Druck aufrechterhalten werden müsse. "Die Länder der Koalition müssen so lange Sanktionen gegen Schattentanker verhängen, bis die Schattenflotte Geschichte ist", so Hilgenstock.

Die Rohölpreise stiegen nach dieser Nachricht auf den höchsten Stand seit August. Berichten zufolge wurde der Schritt der US-Regierung jedoch durch die Erwartung motiviert, dass es auf dem globalen Ölmarkt im Jahr 2025 ein Überangebot geben wird.

Öl "immens wichtig"

Der ursprüngliche Gedanke hinter der Preisobergrenze war, dass dadurch Marktstörungen vermieden werden könnten, indem russisches Öl auf den Weltmärkten weiter verfügbar ist, aber der Preis, den die russische Regierung für den Rohstoff erhält, begrenzt wird. Westliche Versicherungs- und Logistikdienstleistungen, die die globale Schifffahrt dominieren, dürfen nicht angeboten werden, wenn russisches Öl über der Obergrenze von 60 US-Dollar verkauft wird.

Russland umging den Ölpreisdeckel, indem es Hunderte von alten Tankern kaufte und seine so genannte Schattenflotte aufbaute. Diese Schiffe transportieren Öl in Länder, die große Mengen abnehmen, wie Indien und China, und nutzen dabei oft undurchsichtige Versicherungssysteme.

Obwohl die russischen Öleinnahmen in den sechs Monaten nach Einführung des Ölpreisdeckels stark zurückgingen, haben sie sich in den letzten 18 Monaten weitgehend erholt. Nach Angaben des Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) sind die russischen Rohölexporteinnahmen im Jahr 2024 um sechs Prozent gestiegen, obwohl die Exportmengen um zwei Prozent gesunken sind.

Russlands "Schattenflotte" vor dänischer Küste

Die Öleinnahmen sind für Präsident Wladimir Putin von entscheidender Bedeutung, da er die Militärausgaben drastisch erhöht hat, um im Krieg gegen die Ukraine die Oberhand zu gewinnen. Die russischen Verteidigungsausgaben haben sich seit 2021 mehr als verdreifacht und sollen im Haushalt des nächsten Jahres die Rekordsumme von 13,5 Billionen Rubel (131 Milliarden US-Dollar, 128 Milliarden Euro) erreichen, was einer weiteren enormen Steigerung um 25 Prozent entspricht.

"Öl ist für Russland inzwischen enorm wichtig geworden", sagte Kennedy. "Sie stehen unter zunehmendem Druck. Mit dem Verlust der europäischen Gasmärkte ist die Notwendigkeit, so viel wie möglich aus dem Öl herauszuholen, noch deutlicher geworden." Seit der russischen Invasion in die Ukraine im Jahr 2022 hat die Europäische Union die Menge des von ihr gekauften russischen Gases drastisch reduziert.

Tanker im Visier 

Als sich Ende 2023 herausstellte, dass die Schattenflotte Russland half, die westlichen Sanktionen zu umgehen, begannen die USA, einzelne Tanker ins Visier zu nehmen.

Kennedy zufolge war die Maßnahme "unglaublich erfolgreich": "Sobald der Name und die Nummer eines Schiffes auf dieser Liste standen, wollten Länder wie Indien und China kein russisches Öl mehr annehmen, das auf diesen Schiffen transportiert wurde."

Russland war gezwungen, mehrere Schiffe nicht mehr einzusetzen. "Mit einem Federstrich in Washington konnte man 40 Millionen Dollar teure Tanker dutzendweise unbrauchbar machen", sagte Kennedy.

Die USA haben die Fokussierung auf einzelne Tanker im März eingestellt. Es wird spekuliert, dass diese Entscheidung aus der Sorge getroffen wurde, dass eine zu starke Einschränkung russischer Ölexporte zu einem Preisschock an den Tanksäulen in den USA vor den Präsidentschaftswahlen hätte führen könnte.

Leitungen und große Öltanks in einer Förderanlage in der russischen Region Wolgograd
Öl ist für Russlands Volkswirtschaft unverzichtbarBild: Rogulin Dmitry/dpa/picture alliance

Auch das Vereinigte Königreich und die EU haben begonnen, russische Tanker ins Visier zu nehmen. Die Entscheidung der USA, die Schattenflotte wieder zu sanktionieren, ist aber nach Ansicht von Experten entscheidend.

Kennedy ist überzeugt, dass die schiere Menge der russischen Tanker, die jetzt von den Sanktionen der USA, Großbritanniens und der EU betroffen sind, den Druck auf Russland erhöhen werden. "Das Land hat Milliarden in die Anschaffung wichtiger Transportmittel investiert."

Schädlich für Moskau

Obwohl Russland auch weiter Milliarden mit Öl verdienen wird, werden die jüngsten Maßnahmen Moskau wehtun.

Hilgenstock sagt, dass eine Kombination aus der Verfolgung einzelner Tanker und dem Vorgehen gegen den so genannten "Bescheinigungsbetrug" - bei dem Transporteure fälschlicherweise behaupten, dass die russische Ölladung die Obergrenze einhält - Russlands Wirtschaft ernsthaft schwächen könnte.

"Das wäre sehr schmerzhaft", so Hilgenstock. "Es würde den Druck auf den Rubel erhöhen, die Inflation verstärken und die Haushaltseinnahmen schmälern und all diese Dinge."

Russland Noworossiysk Öltanker im Hafen
China und Indien haben sich bereits geweigert, Öl von sanktionierten Tankern anzunehmenBild: Vitaly Timkiv/SNA/IMAGO

Wenn Indien und China weiterhin sanktionierte Tanker meiden, wäre Russland gezwungen, entweder die Preisobergrenze einzuhalten oder dies durch gefälschte Papiere vorzutäuschen.

"Sie müssen die Preisobergrenze einhalten oder sie müssen versuchen, die Preisgestaltung für ihr Öl zu fälschen", betont Kennedy. "In jedem Fall ist es für Russland riskanter und wird teurer. Man nimmt (den Russen, d. Red.) also ein paar Dollar pro Barrel weg, vielleicht auch mehr."

Weniger Öl, mehr Frieden?

Diskussionen über die Dynamik der Preisobergrenze oder über Versicherungsbetrug wirken abstrakt. Aber es ist klar, dass erfolgreiche Sanktionen gegen die russische Energiewirtschaft direkte Auswirkungen auf Putins Fähigkeit haben, den Krieg zu seinen Bedingungen zu führen. "Es untergräbt das Vertrauen in Moskaus Fähigkeit, eine plötzliche Krise zu verhindern. Das wird die Illusion zerstören, dass Russland irgendwie widerstandsfähig und in der Lage ist, so lange zu kämpfen, wie es nötig ist", sagt Kennedy.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj brachte es auf den Punkt, als er auf die Nachricht von den jüngsten Sanktionen reagierte. "Je weniger Einnahmen Russland aus dem Ölgeschäft erzielt", schrieb er auf der Plattform X, "desto eher wird der Frieden wiederhergestellt."

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert