Wer wird Bundespräsident?
19. Februar 2012Dunkle Wolken hängen an diesem Sonntag über dem Schloss Bellevue in Berlin. Eine Deutschland- und eine Europafahne bewegen sich träge im leichten, aber kalten Wind. Äußerlich ist dem Amtssitz des Bundespräsidenten nicht anzusehen, dass er seit dem Rücktritt von Christian Wulff am Freitag verwaist ist und so machen zwei einsame Touristen auch unbeirrt ihre Fotos.
Mehr Betrieb als vor Bellevue herrscht vor dem rund 1,2 Kilometer Luftlinie entfernt liegenden Kanzleramt. Auf dem Bürgersteig haben Fernsehsender ihre Übertragungswagen geparkt, auf dem Rasen stehen Kamerastative und Beleuchtungseinrichtungen. Ein paar Journalisten stehen wartend herum, einige ziehen trotz warmer Jacke fröstelnd die Schultern hoch, es sind gerade einmal fünf Grad über Null in Berlin.
Gesprächsmarathon
Drinnen im Kanzleramt dürfte es hitziger zugehen. Seit 13 Uhr tagen sie wieder, die Spitzenpolitiker der Regierungskoalition, die aus CDU/CSU und FDP besteht. Acht Stunden haben sie am Freitag und Samstag schon beisammen gesessen, doch die Suche nach einem Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten will so recht nicht vorangehen. Gemessen an den Absagen, die es bereits gegeben hat, scheint der Job nicht gerade beliebt zu sein. Der offenbar zunächst auserkorene Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, steht jedenfalls genauso wenig zur Verfügung wie der Bundestagspräsident und CDU-Politiker Norbert Lammert.
Das engt den Spielraum für die Koalition deutlich ein. Das Problem liegt in der Zusammensetzung der Bundesversammlung. Die setzt sich aus den 620 Bundestagabgeordneten zusammen und weiteren 620 Delegierten, die von den Landesparlamenten entsandt werden. Rein rechnerisch haben CDU/CSU und FDP in der Bundesversammlung lediglich eine hauchdünne Mehrheit. Und wer kann schon dafür garantieren, dass die im Fall eines umstrittenen Kandidaten zustande käme?
Bundeskanzlerin Angela Merkel, die auch CDU-Vorsitzende ist, hatte daher unmittelbar nach dem Rücktritt Wulffs erklärt, der neue Bundespräsident solle ein von allen Parteien getragener Kandidat sein. Bei der Opposition stieß die Ansage auf große Zustimmung. Nachdem Politiker der Regierungskoalition am Samstag jedoch durchblicken ließen, man wolle erst einmal innerhalb des schwarz-gelben Lagers zu einem Konsens kommen und erst dann auf die Opposition zugehen, zogen am Berliner Polit-Himmel die ersten Wolken auf.
SPD und Grüne wollen nicht nur Ja oder Nein sagen
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel warnte, seine Partei werde nicht nach dem Motto "Friss oder stirb" einen schwarz-gelben Vorschlag akzeptieren und der Fraktionschef der Sozialdemokraten, Frank-Walter Steinmeier, ergänzte: "Wir können nur zu einem gemeinsamen Kandidaten kommen, wenn es von Anfang an ein offenes Gespräch über in Frage kommende Personen gibt." Die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, wirft der Bundeskanzlerin inzwischen sogar ein "unwürdiges Treiben" vor. Die Regierung mache die Suche nach einem Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten zu einer "öffentlichen Castingshow". Das sei "in hohem Maße abstoßend".
Tatsächlich dringen immer mehr Einzelheiten über die Kandidatenfindung nach draußen. Bisheriger Höhepunkt: Ein offener Koalitionskrach über den früheren DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck. Nachdem FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle Gauck in einem Interview als "respektablen Kandidaten" für das Amt des Bundespräsidenten bezeichnet hatte, sprach sich das gesamte FDP-Präsidium am Nachmittag für Gauck als Konsens-Kandidaten aus.
Das Volk will Gauck
Gauck war bei der Wahl 2010 von SPD und Grünen als Gegenkandidat zu Christian Wulff aufgestellt worden und wird auch von der Opposition nach wie vor favorisiert. Würde Gauck diesmal als überparteilicher Kandidat aufgestellt, dann könnte das für Bundeskanzlerin Merkel wie eine Niederlage aussehen. Kein Wunder also, dass aus der Union schon zu hören ist, Gauck käme nicht in Frage, da er bei CDU und CSU nicht zu vermitteln sei.
Indem die FDP Gauck ins Spiel bringt, setzt sie die Union unter Druck und unterstreicht gleichzeitig ihre Ablehnung gegen Kandidaten, die von CDU und CSU favorisiert werden. Dazu zählen die noch amtierende Oberbürgermeisterin von Frankfurt, Petra Roth, der evangelische Theologe Wolfgang Huber und der ehemalige Chef des UN-Umweltprogramms, Klaus Töpfer.
Obwohl sich die Koalition nach außen hin uneins ist, will sie am Abend ein erstes Gespräch mit der Opposition führen. Für 20.30 Uhr sind SPD und Grüne ins Kanzleramt eingeladen. Vielleicht bringen sie noch ein paar Vorschläge mit, die die Kandidatenfindung aus der Sackgasse holen könnten. Wie sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, am Samstag so schön: "Man ist immer gut beraten, zwei, drei, vier Namen im Kopf zuhaben und tief in seinem Herzen zu wiegen, darüber aber kein lautes Selbstgespräch zu führen, aus Sorge abgehört zu werden, und damit in die Gespräche zu gehen."
Autorin: Sabine Kinkartz
Redaktion: Andreas Noll