Jüdischer Campus: "Wer baut, der bleibt"
10. Juni 2018"Wer baut, der bleibt. Der freut sich auf die Zukunft." Rabbiner Yehuda Teichtal, der Gemeinderabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, ist ein Meister der knappen großen Worte. Der Pathos ist ihm ernst. "Wer baut, der zeigt Vertrauen. Wir sind hier, um eine langfristige, dauerhaft lebendige jüdische Zukunft mitzugestalten in Deutschland." Das sei die Botschaft.
Der orthodoxe Rabbiner Teichtal ist Vorsitzender des Jüdischen Bildungszentrums in Berlin. Am Sonntag begrüßt er Außenminister Heiko Maas zum Spatenstich eines Jüdischen Campus im Bezirk Wilmersdorf. Kindergarten und Schule, eine Turnhalle, die auch für Theater- und Kinovorführungen genutzt werden kann. Es ist wohl das größte jüdische Neubauprojekt in Berlin seit Ende des Zweiten Weltkriegs.
"Integration mit Identität"
Der gebürtige New Yorker Teichtal ist seit gut 20 Jahren in Berlin tätig, seitdem prägt er das orthodoxe Chabad-Lubawitsch-Zentrum. Die Lubawitscher sind eine streng religiöse jüdische Gemeinschaft - "orthodox, aber offen", sagt der Rabbiner. Vor knapp 15 Jahren eröffnete er eine Kita. Waren es zunächst wenige Kinder, besuchen heute viele Dutzend die Einrichtung, die immer noch in provisorischen Containern untergebracht ist.
2007 wurde aus einem früheren Industriebau, einem Umspannwerk der Stromversorgung, ein Bildungs- und Familienzentrum mit Synagoge, Mehrzweckräumen und einer Nachbildung der Jerusalemer Klagemauer. Nun folgt der Jüdische Campus mit Räumen für Bildung, Kultur und Sport. Es soll das größte jüdische Bildungszentrum in Europa werden. Die ersten Ideen für das Vorhaben kamen 2013 auf, erzählt der Rabbiner. "Damals war es ein Traum. Jetzt wird es Realität." Soweit er wisse, sei das Projekt "einzigartig im Nachkriegsdeutschland". Ihm gehe es um Integration. "Aber Integration heißt nicht Assimilation. Es geht um Integration mit Identität."
Die Realität wird ein sechsgeschossiger Bau in einem kleinen Park. Dafür konnte das Bildungszentrum noch ein angrenzendes Grundstück erwerben. Bislang gehören zum Zentrum 1000 Quadratmeter umbauter Raum, 7000 weitere sollen hinzukommen. Sie bieten unter anderem Platz für 500 Kinder von der Kita bis zum Abitur. "Eine freie Form, die sich frei bewegt", so sagt es Architekt Sergei Tchoban. Der Bau soll offen, mit sanft-runder Form im Gelände stehen. Nach außen sollen Keramiktafeln in Blau- und Weißtönen den Bau dominieren - Farben, die an die israelische Fahne oder an einen jüdischen Gebetsschal erinnern.
Und was zu einem jüdischen Bauvorhaben in Deutschland wohl dazugehört: Der Bau bekommt Sicherheitsglas und einen massiv befestigten Kontrollpunkt am Eingang. "Wir träumen davon, dass der Tag kommen wird, an dem die Sicherheit nicht mehr notwendig sein wird", sagt Teichtal. Er erzählt, dass er selber vor zwei Monaten Antisemitismus erlebt habe. Auf dem Heimweg von der Synagoge sei er mit seiner Tochter aus einem Auto heraus beschimpft worden. "Sehr unschöne Dinge", meint er. Und dann folgt sofort: "Um so wichtiger ist es, jetzt mehr zu tun, um Toleranz zu stärken."
Kulturübergreifendes Projekt
Dem Rabbiner ist es wichtig, dass das Projekt "kulturübergreifend" ist und "offen für alle, ungeachtet ihrer Zugehörigkeit" zu einer Religion. Schon jetzt sei das Bildungszentrum steter Anlaufpunkt. Immer mal wieder kämen Schulklassen, etwa einmal im Monat Bundeswehrsoldaten und kürzlich hätten sich Stipendiaten des Bundestages die Einrichtung vorstellen lassen. Für den Neubau wichtiger ist Teichtal wohl ein anderer Gast: Vor einigen Monaten habe der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, in Wilmersdorf das Projekt vorgestellt bekommen und gelobt.
Die kalkulierten Kosten für das Bauvorhaben belaufen sich, so Teichtal, auf 18 Millionen Euro. Zwei Drittel davon seien gedeckt durch Zuschüsse des Bundes und des Landes Berlin sowie durch verschiedene Stiftungen. Für den Rest hilft vorerst ein Darlehen. Der Neubau trägt offiziell den Namen Pears Jüdischer Campus, denn die britische Familienstiftung Pears Foundation fördert dauerhaft die Forschungs- und Bildungsprogramme auf dem Campus.
Architekt spendet Honorar
Zumindest eine Ausgabe bleibt dem Rabbiner erspart. Architekt Sergei Tchoban, der vor zehn Jahren bereits den Bau der Synagoge im alten Umspannwerk betreute, arbeitet honorarfrei. "Das ist meine Spende", sagt er. "Für mich ist das Projekt etwas sehr Besonderes."
Ihn habe auch die Herkunft seiner Familie dazu bewogen, sagt der 55-jährige gebürtige Leningrader, der seit langem in Berlin lebt und große Bauprojekte in Berlin und anderen deutschen Städten verantwortet. Sein Großvater, sagt er, "war ein bedeutender jüdischer Wissenschaftler in Russland". Auch darum findet Tchoban es unglaublich wichtig, "jüdisches Leben in Berlin zu stärken".