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Wenn das Parlament über Krieg und Frieden entscheidet

Nils Naumann9. September 2013

US-Präsident Obama hätte einen Militärschlag gegen Syrien befehlen können. Doch er entschied sich, zunächst die Zustimmung des Kongresses einzuholen. Ein Zeichen für die Demokratisierung des Krieges?

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Das US-Kapitol (Foto:J. Scott Applewhite, File/AP/dapd)
Bild: AP

Die Deutschen kennen es nicht anders. Wenn die Bundesregierung Soldaten in Kriegseinsätze schicken will, benötigt sie die Zustimmung des Parlaments. Das hat das Bundesverfassungsgericht schon 1994 klargestellt.

Dieser sogenannte Parlamentsvorbehalt macht es der Politik nicht immer einfach: 2001 plante der damalige sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder die Entsendung von Bundeswehrsoldaten nach Afghanistan. In den Reihen seiner rot-grünen Koalition aber gab es Widerstand. Schröder musste die Abstimmung über den Militäreinsatz mit der Vertrauensfrage verknüpfen. Nur so konnte er die eigenen Leute auf seine Linie bringen. Denn eine Niederlage bei der Vertrauensfrage hätte das Ende seiner Kanzlerschaft und der rot-grünen Regierung bedeutet. Und das wollten die Abgeordneten nicht riskieren.

"Wir haben in Deutschland in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen damit gemacht, die Entscheidungsmacht zu stark auf eine oder auf zu wenige Personen zu konzentrieren", erklärt Christian Mölling, Experte für Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik, den Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr. "Deswegen ist das jetzt bei uns sehr breit abgestützt."

Christian Mölling, Sicherheitsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) (Foto: Heiner Kiesel)
Der Sicherheitsexperte Christian MöllingBild: DW/H. Kiesel

Die deutsche Regelung ist kein Einzelfall: Von den NATO-Staaten müssen zum Beispiel die Regierungen von Dänemark, Litauen und der Türkei die Genehmigung ihres Parlaments einholen. Auch in den EU-Ländern Österreich, Irland und Schweden gibt es solche Vorschriften.

Auf der Suche nach Rückendeckung

Dagegen hätte US-Präsident Barack Obama nicht das Parlament befragen müssen. Er ist der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte. Obama kann ohne vorherige Zustimmung des Kongresses einen Militärschlag anordnen. Er muss das Parlament dann innerhalb von 48 Stunden davon unterrichten. Der Einsatz kann bis zu 60 Tage dauern, dann ist eine Genehmigung des Kongresses erforderlich.

Auch Großbritanniens Premierminister David Cameron hätte auf eigene Faust handeln können. Dort ist die Königin die Oberbefehlshaberin der Streitkräfte. Faktisch nimmt aber der Premierminister dieses Privileg wahr. Eine Zustimmung des Parlaments zu Militäreinsätzen ist nicht notwendig. Der Premierminister kann das Parlament aber, wie es Cameron getan hat, um ein nichtbindendes Votum bitten. Cameron hatte wohl gehofft, dass das Parlament ihn unterstützt, als er seine Pläne für einen Militärschlag gegen das Assad-Regime zur Abstimmung stellte. Doch die Abgeordneten versagten ihm die Gefolgschaft und lehnten den Angriff ab. Jetzt sind Cameron die Hände gebunden. Denn der Premier will sich an das Votum des Parlaments halten. Großbritannien wird also nicht in den Krieg ziehen.

David Cameron (Foto: Reuters)
Gepokert und verloren: David CameronBild: Reuters

Auch in Frankreich fordert inzwischen eine große Mehrheit der Bürger eine Abstimmung ihres Parlaments über einen möglichen Militäreinsatz in Syrien. In einer Umfrage für den Sender BFMTV sprachen sich 74 Prozent der Befragten dafür aus. Rein rechtlich ist das allerdings auch in Frankreich nicht notwendig. Laut Verfassung entscheidet der Staatschef über Militäreinsätze. Der Minister für die Beziehungen zum Parlament, Alain Vidalies, betonte aber, eine Abstimmung zu einem späteren Zeitpunkt sei für Staatschef François Hollande "kein Tabu-Thema".

Auch in den USA gibt es Proteste gegen einen Militärschlag (Foto JOE KLAMAR/AFP/Getty Images)
Auch in den USA gibt es Proteste gegen einen MilitärschlagBild: AFP/Getty Images

"Ein Eingreifen in Syrien kann außerordentlich ernste Konsequenzen haben", sagt Christian Tomuschat, Völkerrechtler und ehemaliges Mitglied des UN-Menschenrechtsausschusses. Der US-Präsident und der britische Premierminister hätten offenbar Angst vor der eigenen Courage bekommen, erklärt Tomuschat die Einbeziehung der Parlamente in den USA und Großbritannien. "Deswegen wollten Obama und Cameron die Verantwortung für den Einsatz auf breitere Schultern laden."

Abstimmung ein Element der Vernunft

Tomuschat spricht von einer grundsätzlichen Veränderung: "In demokratischen Staaten wird zunehmend darüber nachgedacht, die Parlamente in Entscheidungen über Militäreinsätze einzubinden". Der Völkerrechtler begrüßt diese Entwicklung: "Das ist ein moderierendes Element, ein Element der Vernunft, das hat man in Großbritannien gesehen."

Prof. Christian TOMUSCHAT,
Der Völkerrechtler Christian TomuschatBild: picture-alliance / Sven Simon

Der Politikwissenschaftler Christian Mölling sieht das ähnlich: "Insgesamt ist der Kurs positiv zu sehen. Wenn das Parlament mitbestimmen kann, dann ist das eine Demokratisierung des Prozesses. Der Vorteil ist, dass explizit begründet werden muss, warum man diese Militäreinsätze wie jetzt in Syrien haben will." Dadurch gebe es eine Debatte, ob die Kriegseinsätze richtig oder falsch seien. Mölling sagt, er glaube, dass durch eine Beteiligung der Parlamente der Rückhalt der Sicherheitspolitik in der Bevölkerung steige.

Bremsklotz Parlament?

Dagegen warnen die Gegner der Parlamentsbeteiligung vor unnötigen Verzögerungen bei der Entscheidung wichtiger sicherheitspolitischer Fragen. "Natürlich werden Militäreinsätze durch die Beteiligung des Parlaments schwieriger", sagt Christian Tomuschat, "aber das ist ja nicht schlecht. Ein Militäreinsatz sollte niemals eine ganz leichte Sache sein." Bei einem direkten Angriff auf das eigene Staatsgebiet könne die Regierung auch in Deutschland sofort reagieren. Die Zustimmung des Parlaments kann dann nachgeholt werden. Der Bundestag hat der Entsendung deutscher Soldaten außerdem in der Regel schnell zugestimmt.

In Deutschland ist der Parlamentsvorbehalt bei Militäreinsätzen geschriebenes Gesetz. In den USA, Großbritannien und Frankreich wäre ein Militärschlag gegen Syrien theoretisch auch ohne die Zustimmung der Parlamente möglich. Praktisch aber können sich Obama, Cameron und Hollande schon jetzt nur noch sehr schwer gegen das Votum ihrer Parlamente stellen. Und auch bei zukünftigen Militäreinsätzen werden die Abgeordneten in diesen Ländern wohl darauf bestehen, dass nicht mehr an ihnen vorbei entschieden wird. So ist der Parlamentsvorbehalt auf dem besten Weg, auch dort zumindest zu einem ungeschriebenen Gesetz zu werden.

US-Präsident Obama (Foto: REUTERS/Alexander Demianchuk)
Ringt um Zustimmung: US-Präsident ObamaBild: Reuters
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