Wenig Aufnahmebereitschaft für Afghanistan-Flüchtlinge
18. August 2021Der dienstälteste Innenminister der EU plädiert einmal mehr an das Gewissen seiner Kollegen. "Wir brauchen Quoten für Flüchtlinge aus Afghanistan, die auf legalem Weg nach Europa kommen", sagt Jean Asselborn. "Die EU-Staaten müssen endlich ein Zeichen setzen, dass wir bereit sind, den Menschen zu helfen."
Der Luxemburger kritisiert scharf die Haltung Österreichs: "Das ist schrecklich. Es ist zum Verzweifeln. Solche populistischen Sätze schüren nur Angst." Man müsse das Problem gemeinsam lösen und könne die Menschen aus Afghanistan doch nicht "auf den Mond schießen". Der Appell Asselborns dürfte allerdings ungehört verhallen. Die EU-Länder sind gespalten und handeln nach innenpolitischen Interessen. Jetzt soll ein Sondergipfel die Blockade lösen. Derzeit vertreten die EU-Staaten diese Positionen:
Österreich
Eine totale Absage und die härtesten Töne gegen die Aufnahme von afghanischen Flüchtlingen kommen derzeit von Innenminister Karl Nehammer aus Österreich. Es habe jetzt oberste Priorität, "mit den Nachbarländern von Afghanistan zu reden, damit Schutz und Hilfe in der Region sichergestellt ist". Darüber hinaus müsse die EU noch mehr tun, um ihre Außengrenzen zu schützen. Aber es gebe keinen Grund, warum ein Afghane jetzt nach Österreich kommen solle. Nehammer spricht sich auch für die Einrichtung von Abschiebezentren in den Nachbarländern Afghanistans aus.
Griechenland
Auch Griechenland will keine Flüchtlinge aus Afghanistan aufnehmen. Migrationsminister Notis Mitarachi erklärte, Griechenland werde nicht erneut "das Tor für ungeregelte Flüchtlingsströme nach Europa werden". Man beherberge bereits 40.000 Afghanen, die Hälfte anerkannte Flüchtlinge und der Rest Asylbewerber. Außerdem halte seine Regierung die Türkei für ein sicheres Land für afghanische Flüchtlinge.
Derzeit gehe es darum, aus humanitären Gründen einige Menschen und ihre Familien auszufliegen, die den griechischen Truppen während der NATO-Mission in Afghanistan geholfen hätten. Das sind nur einige Hundert Menschen. Darüber hinaus sei das Bild in Afghanistan noch zu unklar und man wisse noch nicht, ob Griechenland eine neue Flüchtlingswelle erleben werde.
Frankreich
Die französische Regierung versucht derzeit, eine Erklärung von Präsident Emmanuel Macron vom Montagabend abzumildern, die auf viel interne Kritik gestoßen war. In einer Fernsehansprache hatte er sich gegen "ungeregelte Flüchtlingsströme" aus Afghanistan ausgesprochen. Regierungssprecher Gabriel Attal erklärte am Mittwoch dazu, jedes Jahr würden mehrere Tausend Afghanen in Frankreich aufgenommen, die vor Verfolgung und Krieg flüchteten und man werde diese Aufnahmebereitschaft auch fortsetzen. Frankreich hat in der vergangenen Nacht rund 180 Afghanen aus humanitären Gründen aus Kabul ausgeflogen.
Es müsse eine internationale Initiative geben, um Asylsuchenden aus Afghanistan eine Heimat zu bieten. Dabei ließ der Regierungssprecher offen, wie viele Flüchtlinge Frankreich eventuell aufnehmen wolle. Das Thema ist für Macron wegen der im Frühjahr anstehenden Neuwahlen heikel. Rechtsparteien, besonders Marine Le Pens Rassemblement National, schüren seit Jahren Migrationsängste.
Italien
Italiens Regierungschef Mario Draghi hat zur Frage der Flüchtlinge aus Afghanistan noch nicht Stellung genommen. Die Priorität der Europäer müsse es jetzt sein, diejenigen Afghanen und ihre Familien aufzunehmen, die mit dem Westen zusammengearbeitet oder sich für Frauenrechte eingesetzt hätten, so Draghi. Darüber hinaus hält sich der Chef der italienischen Koalitionsregierung bedeckt, die auch von Parteien der populistischen oder extremen Rechten gestützt wird. Italien beklagt in diesem Sommer wieder einen erhöhten Zustrom von Migranten vor allem aus afrikanischen Ländern, die über die Mittelmeerroute ins Land kommen.
Spanien
Die Regierung in Madrid hat sich bereit erklärt, als Clearingstelle vorübergehend Afghanen aufzunehmen, die für europäische und andere westliche Organisationen gearbeitet haben und aus humanitären Gründen ausgeflogen werden sollen. Darüber hinaus gibt es noch keine Angebote.
Niederlande
In den Niederlanden wird derzeit nur die Aufnahme von Flüchtlingen diskutiert, die im Rahmen der NATO-Mission oder für Hilfsorganisationen gearbeitet haben. Das dürften nur wenige Hundert Personen sein. Der erste niederländische Evakierungsflug musste allerdings wegen der chaotischen Zustände am Flughafen Kabul leer umkehren.
Skandinavien
Dänemark hat in den letzten Monaten seine Flüchtlingspolitik dermaßen verschärft, dass sogar anerkannte syrische Flüchtlinge jetzt von der Zwangsrückkehr nach Damaskus bedroht sind. Die Aufnahme von Afghanen dürfte als ausgeschlossen gelten.
Ähnliches gilt für Schweden, wo die Koalitionsregierung auf schwachen Füßen steht und die liberale Flüchtlingspolitik der Vergangenheit dem Druck von Rechtsparteien geopfert wurde.
Deutschland
Das Bild in Deutschland ist unklar. Am Wochenende deuteten Berechnungen in Berlin auf eine Zahl von rund 10.000 Afghanen hin, die als frühere Mitarbeiter der Bundeswehr, Mitglieder der Zivilgesellschaft oder von NGOs aus humanitären Gründen Aufnahme finden sollten. Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte darüber hinaus ein koordiniertes Handeln der EU. Zunächst solle flüchtenden Afghanen allerdings in den Nachbarländern mit Hilfe des UNHCR geholfen werden. Erst in einem zweiten Schritt könne man dann überlegen, ob besonders Betroffene auf kontrollierten Wegen nach Europa gebracht werden könnten. Kanzlerkandidat Armin Laschet hatte dazu gesagt, man dürfe die "Fehler von 2015" nicht wiederholen.
Unterdessen haben einzelne Bundesländer ihre Bereitschaft erklärt, jeweils einige Tausend Afghanen aufzunehmen, so etwa Nordrhein-Westfalen oder Brandenburg. Noch im Juni hatten allerdings die Koalitionsparteien im Bundestag einen Antrag der Grünen auf schnelle Evakuierung der gefährdeten Gruppen aus Afghanistan abgelehnt. Inzwischen ist vielen der Weg aus dem Land durch die Checkpoints der Taliban versperrt.
Die Nachbarländer
Immer wieder wird in der EU also auf Afghanistans Nachbarländer verwiesen. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind dort in den vergangenen Jahren 90 Prozent der Flüchtlinge aus Afghanistan untergekommen. Rund zwei Millionen von ihnen leben in Pakistan, wo allerdings die Regierung inzwischen einen Grenzzaun nach Afghanistan errichtet und keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen will.
Ähnliches gilt für den Iran, wo nach inoffiziellen Zahlen bis zu drei Millionen Afghanen teils seit Jahrzehnten leben. Die Regierung will jetzt Pufferzonen an der iranisch-afghanischen Grenze einrichten, die Flüchtlinge dort allerdings nur vorübergehend dulden. Besonders die von den Taliban verfolgte ethnische Gruppe der Hazara sucht seit Jahren Zuflucht im Iran. Die schlechte Wirtschaftslage im Land schließe aber inzwischen die weitere Aufnahme von Afghanen aus, heißt es in Teheran.
Eine neue Massenwanderung in Richtung Europa gilt auch deswegen als unwahrscheinlich, weil inzwischen die meisten Routen versperrt sind. Die Türkei baut derzeit eine Mauer an der Grenze zum Iran, um Afghanen die Weiterreise zu versperren. Rund eine halbe Million von ihnen sollen sich bereits im Land befinden, wo sie auf zunehmende Ablehnung stoßen. Die Regierung in Ankara scheint dabei auch afghanische Flüchtlinge zum Teil eines neu zu verhandelnden Deals mit der EU zu machen.