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Weltrekorde schlagen hohe Wellen

Sarah Wiertz10. August 2015

Bei der WM in Kasan stellen die Schwimmer serienweise Weltbestzeiten auf. Gleichzeitig häufen sich in dieser Sportart die Dopingfälle, gegen die der Weltverband nur sehr lasch vorgeht. Das wirft Fragen auf.

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Russlands Schwimmerin Julia Jefimowa im Becken (Foto: EPA/PATRICK B. KRAEMER)
Bild: picture-alliance/dpa/P. B. Kraemer

Der Lärm ist ohrenbetäubend. Die 12.000 Zuschauer fiebern in der Fußball-Arena von Rubin Kasan, die extra für die Schwimm-WM aufwändig umgebaut wurde, mit ihrer Landsfrau mit. Und tatsächlich: die Russin Julia Jefimowa schlägt über 100 Meter Brust als Erste am Beckenrand an - Gold, das erste für das Gastgeber-Team.

Eines mit sehr fadem Beigeschmack, denn Jefimowa wurde im Oktober 2014 positiv auf ein anaboles Steroid getestet. Doch anstatt der obligatorischen Zwei-Jahres-Sperre bekam sie vom russischen Verband nur 16 Monate aufgebrummt, sonst wäre sie bei der Heim-WM ja nicht dabei gewesen.

Dass die nationalen Verbände die Sperrzeiten festlegen, ist ein großes Problem bei der Dopingbekämpfung. Das zeigt auch der Fall von Sung Yang. Der neue Weltmeister über 200 Meter Freistil hätte nach seinem Dopingbefund auf Stimulanzmittel im Mai 2014 ebenfalls nicht in Kasan dabei sein dürfen. Doch der Doppel-Olympiasieger aus China wurde rückwirkend für nur drei Monate in einer wettkampfreien Zeit gesperrt.

"FINA hat auf ganzer Linie versagt"

Schwimm-Bundestrainer Henning Lambertz beobachtet die deutschen Starter bei der WM in Kasan (Foto: Martin Schutt/dpa Bildfunk)
Bundestrainer Henning Lambertz: können nichts ändernBild: picture-alliance/dpa/M. Schutt

"Warum nur drei Monate Sperre in der wettkampfreien Zeit oder 16 Monate, damit es hier in Kasan wieder passt, keine Ahnung", sagt der deutsche Bundestrainer Henning Lambertz nur dazu resigniert. "Da müssen wir eben durch."

Müssen wir das? "Natürlich hat in meinen Augen die FINA (Schwimm-Weltverband, Anm. d. Red.) im Kampf gegen Doping auf ganzer Linie versagt, weil sie seit vielen Jahren nichts dafür tut, dass es einheitliche Regeln gibt für alle", sagte die Freistil-Weltmeisterin von 1994 Franziska van Almsick am vorletzten Wettkampftag in der ARD.

Nach dem alarmierenden Bericht der ARD und der "Sunday Times" vor zwei Wochen über Doping in der Leichtathletik ist das Thema derzeit wieder in den Schlagzeilen - auch bei der Schwimm-WM in Kasan. Denn: die beiden oben genannten Goldmedaillen der bereits schon einmal des Dopings überführten Sportler waren noch nicht einmal Weltrekordzeiten.

"Die Entwicklung hält nie an"

Ex-Schwimmerin Britta Steffen im Porträt (Foto: Gentsch/dpa)
Ex-Schwimmerin Britta Steffen: nicht überraschtBild: picture-alliance/dpa/F. Gentsch

Und von denen gab es wahrlich genug bei dieser Schwimm-WM in Kasan, überraschend viele: zwölf um genau zu sein. Nach den utopischen Anzug-Weltrekorden von 2009 (43 Bestmarken bei der WM in Rom) und dem darauf folgenden Verbot der Ganzkörperanzüge aus Polyurethan gingen viele Experten davon aus, dass die damals geschwommenen Bestzeiten ewig halten würden.

"Die Entwicklung hat ja nie angehalten", hält Doppel-Olympiasiegerin Britta Steffen, die vor zwei Jahren ihre Karriere beendet hatte, dagegen und erklärt aus ihrer Sicht die Gründe für die vielen Weltrekorde: "Die Trainingswissenschaft legt zu und wir haben echt viele, die Talent haben und hart arbeiten, und auch die Schwimmanzüge werden wieder weiterentwickelt."

Reichen Starblöcke und Unterwasserkicks als Erklärung?

Soweit muss man Steffen Recht geben. Zudem lässt die FINA - so träge sie auch bei der Dopingbekämpfung ist - nichts unversucht, um neue Weltrekorde und damit mehr Aufmerksamkeit für ihre Sportart zu ermöglichen. So gibt es eine neue Auslegung der Regel bezüglich der Unterwasserkicks.

"Brian Lochte demonstrierte das bei der WM über die Krauldistanzen, indem er im Anschluss der Rollwende den Übergang zum ersten Überwasserzug nach dem Abstoß in Rückenlage mit Kicks fortsetzt und sich erst zuletzt vor dem Auftauchen an der 15 Metermarkierung in die geforderte Schwimmlage dreht", erklärt Wolfram Sperling, Lehrbeauftragter beim Deutschen Schwimm-Verband (DSV) gegenüber der DW. Zwar holte Lochte eine Goldmedaille, allerdings über 200 Meter Lagen, über 200 Meter Freistil blieb er hingegen ohne Medaille.

Um noch schnellere Zeiten rauszuholen, hat die FINA auch noch schrägte Startblöcke eingeführt, über die Kurzbahn-Weltrekordler Steffen Deibler sagt: "Wenn man den Block richtig einzusetzen weiß, kann man bestimmt ein, zwei Zehntel schneller sein."

Nicht realistisch: WM ohne Gastgeberteam

Bei der Abschlussfeier der Schwimm-WM 2015 in Kasan stehen Russlands-Schwimmerin Julia Jefimowa (l.), Russlands Sportminister Vitaly Mutko (2.v.r.) und Russlands Premierminister Dimitri Medwedew (r.) nebeneinander (Foto: Sergei Savostyanov/TASS)
Russlands Soll erfüllt: Schwimmstar Jefimowa (l.) mit Premierminister Medwedew (r.) und Sportminister Mutko (2.v.r.)Bild: picture-alliance/dpa/S. Savostyanov

Regeländerungen, neue Entwicklungen in der Sportbekleidung, besondere Talente, andere Trainingsmethoden und größere Trainingsumfänge - erklärt all das allein die vielen neuen Weltrekorde? Das Problem: Die FINA selbst nährt Zweifel daran: mit ihrer lächerlichen (Anti-)Doping-Politik.

So hätte Gastgeber Russland bei der Heim-WM in Kasan gar nicht teilnehmen dürfen. Laut Reglement muss ein Verband für ein Jahr suspendiert werden, wenn vier Athleten innerhalb von 365 Tagen positiv getestet werden. Aber was tun, wenn der Verband doch erst im Oktober 2014 Russlands Präsident Wladimir Putin den FINA-Orden für besondere Verdienste um den Schwimmsport verliehen hat?

Eine Null mehr oder weniger

FINA-Präsident Julio Maglione (r.) und FINA-Generalsekretär Cornel Marculescu bei einer Pressekonferenz (Foto: Martin Schutt/dpa Bildfunk)
FINA-Pressekonferenz: Generalsekretär Cornel Marculescu (l.) und Präsident Julio MaglioneBild: picture-alliance/dpa/M. Schutt

Wie (un-) wichtig der FINA das Thema Doping ist, war zuletzt auf einer Pressekonferenz mit Generalsekretär Cornel Marculescu zu bestaunen: Auf die Frage, wie viele Dopingtests in Kasan durchgeführt werden, überraschte er mit der hohen Zahl von 3000. Auf Nachfrage kam die Antwort: "Ich weiß es nicht. Vielleicht sind es auch 300." Eine Null mehr oder weniger ist bei dieser heiklen Thematik anscheinend nicht wichtig. Es waren übrigens etwa 1000.

Nach Recherchen der ARD-Dopingredaktion lassen die Doping-Kontrollen des Weltverbandes zu wünschen übrig. So berichtete der italienische Trainer Andrea di Nino, der in Neapel ein internationales Profiteam betreut, dass in den trainingsintensiven Wintermonaten etwa ein halbes Jahr überhaupt keine Dopingkontrolle stattgefunden habe. Die Kronzeugin der ARD-Dokumentation über flächendeckendes Doping in Leichtathletik, Julia Stepanowa, berichtet auch über russische "Medaillengewinner von Europa- und Weltmeisterschaften" im Schwimmen und deren Trainer, die sie bei einem für Doping bekannten russischen Arzt gesehen habe.

Vorzeigenationen? Gibt es nicht mehr

Die australische Schwimmerin Kylie Palmer rückt ihre Schwimmbrille zurecht (Foto: Francois Nel/Getty Images)
Kylie Palmer: Dopingfall in AustralienBild: Getty Images/F. Nel

Dass der aktuellste Dopingfall im Schwimmsport, publik geworden im Juni dieses Jahres, mit Kylie Palmer zudem eine Athletin aus dem bislang als unverdächtig geltenden australischen Team betrifft, lässt selbst Bundestrainer Lambertz ratlos: "Der Fall Palmer hat mich schon überrascht. Australien galt immer als eine der Vorzeigenationen für den sauberen Sport", so Lambertz. "Wenn man zudem die Dunkelziffer erkennt, lässt sich erahnen, gegen wie viele Saubere man anschwimmt." Zudem wurde der positive Dopingbefund Palmers nicht durch die FINA bekannt, sondern erst auf Betreiben der Weltantidopingagentur (WADA) neu aufgerollt.

Die deutsche Freiwasserschwimmerin Angela Maurer, die in Kasan Bronze über die 25-Kilometer-Distanz gewann, bringt es auf den Punkt: "Wenn man sieht, dass die FINA den Fall Palmer erst gar nicht richtig verfolgt hat, denkt man: Was hat das ganze System eigentlich für einen Sinn?"