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Buchmesse diskutiert über Megacities

Jochen Kürten10. Oktober 2014

Was macht das ungebremste Wachstum in den Megastädten der Welt mit den Menschen? Und welche Rolle kann die Literatur bei dieser Entwicklung spielen? Auch darüber wurde auf der Buchmesse diskutiert.

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Shanghai Megacity
Bild: Peter Parks/AFP/Getty Images

"Berlin Alexanderplatz" oder "Manhattan Transfer", das waren Romane, die in den Kanon der Weltliteratur eingingen. Bücher, die ganz tief in den Kosmos einer Stadt eindrangen und die den Lesern viel zu erzählen hatten über das Leben in der Stadt und die Rolle, die der einzelne Mensch darin einnimmt.

Den Roman "Das Halsband der Tauben" könnte man in diesem Sinne auch "Mekka Transfer" nennen, sagt Anita Djafari unter Anspielung auf das berühmte New-York-Buch des Erzählers John Dos Passos aus dem Jahre 1925. Djafari engagiert sich seit Jahren bei litprom, der Gesellschaft zur Förderung von Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika, dafür, dass deutsche Leser nicht nur die neuesten Romane aus Nordamerika oder Europa lesen.

Frankfurter Buchmesse 2014 Tobias Voss und Anita Djafari
DW-Reporter Jochen Kürten im Gespräch mit Anita Djafari und Tobias VossBild: DW/J. Kürten

Ein Roman über Mekka

"Urbanität und Megastädte" heißt das Motto des diesjährigen Weltempfangs, des zentralen Diskussionsforums für Politik, Literatur und Übersetzung in Frankfurt. Weltempfang wird mitveranstaltet vom Auswärtigen Amt und den kulturellen Mittlerorganisationen wie Goethe-Institut und Deutsche Welle. litprom hat das Programm zusammengestellt.

"Das Halsband der Tauben" der Schriftstellerin Raja Alem aus Saudi-Arabien liege ihr besonders am Herzen, sagt Anita Djafari, erzähle der Roman doch ungemein viel über das Leben in einer Stadt wie Mekka: "Ein Roman über eine Stadt, von der wir nicht so viel wissen, die aber genau den gleichen Zerstörungsmechanismen unterliegt wie westliche Städte."

Stadt zwischen Religion und Zerstörung

Alems Buch kläre über die unglaubliche Bedeutung auf, die die Stadt für die Gläubigen hat, zeige aber ebenso den "absoluten Kommerz, dem die Stadt unterliegt, und der sie auch zerstört." Raja Alem wird für ihren Roman bei der Messe am Samstag (11.10.) mit dem LiBeraturpreis 2014 ausgezeichnet.

Buchcover Das Halsband der Tauben von Raja Alem
Bild: Unionsverlag

Auf zahlreichen Veranstaltungen und Diskussionsforen wird in Halle 5, wo die meisten der internationalen Verlage ihre Stände haben, diskutiert. Dabei geht es nicht nur um Literatur, sondern auch um die Frage, was etwa Künstler oder Architekten zum besseren Zusammenleben in den globalen Megacities der Welt beisteuern können.

Das Thema liegt einfach in der Luft, wenn auch nicht erst seit heute", sagt Tobias Voss von der Frankfurter Buchmesse: "Es ist ein ausgesprochen wichtiges Thema, weil Städte zwei Seiten haben: einerseits sind sie Orte der Utopie, wo neue Formen des dynamischen Zusammenlebens ausprobiert werden." Auf der anderen Seite stünden Bilder, wie das von Babylon und einer großen Sprachverwirrung für diese Städte. Viele Menschen würden sich inzwischen fragen: "Ist das eigentlich alles noch händelbar in so einer Stadt, von der Infrastruktur her, von den kulturellen und sozialen Einrichtungen? Ist das noch steuerbar?"

Überleben im Großstadtmoloch

Wie kann man also überleben in einer solchen, alle sozialen und kommunikativen Grenzen sprengenden Stadt? Das fragte auch ein Panel, das vom Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) und der Deutschen Welle zusammengestellt worden war: Nach Expertenmeinung leben in 15 Jahren 60 Prozent der Weltbevölkerung in Städten. Daher sind solche Fragen von höchster Dringlichkeit. Verkehrschaos, soziale Spannungen, Ressourcenknappheit – das sind nur einiger Bestandteile der städtischen Zukunftsszenarien.

Doch Städte können in ihrer ungeheuren "Verdichtung" auch Chancen bieten, die großen Herausforderungen der Zukunft - von der Energieversorgung bis zum sozialen Ausgleich - erfolgreich zu gestalten. Mit Planspielen und Kunstprojekten wollen Städteplaner und Künstler bei den Menschen in den Megastädten das Bewusstsein schärfen und Veränderungsprozesse anstoßen.

Frankfurter Buchmesse 2014 Buchmesseforum "Weltempfang"
Beim "Weltempfang" wurde eifrig diskutiertBild: DW/A. Feilcke

Kinder und ihre Ideen ernst nehmen

Raoul Bunschoten ist Experte für Architektur und Stadtplanung, beschäftigt sich vor allem mit Großstädten im chinesischen Raum. Für ihn ist es besonders wichtig, die jeweiligen Bewohner miteinzubeziehen in die Wachstumsprozesse. Dabei solle man auch spielerische Elemente beachten. Wichtig sind Bunschoten auch die Ideen von Kindern: "Die leben in den Städten der Zukunft." Der Stadtplanungsexperte will durch seine spielerischen Projekte - die von Würfelspielen bis zu einem Kochbuch der chinesisch-taiwanesischen Großregion reichen - ein "Bewusstsein schaffen, dass Menschen ihre eigene Zukunft gestalten können." So könnten diese lebenswerte Umwelt- und Überlebensstrategien für die Herausforderungen urbaner Gesellschaften schaffen.

Im Zentrum der Arbeit von Valentina Rojas Loa Salazar, Kuratorin eines deutsch-mexikanisches Stadtkunstkollektiv, steht eine der größten Megacities der Welt: Mexico City. Ihr ist es wichtig zu zeigen, wie die Stadtbewohner mit ihren individuellen Lebensweisen auf die urbanen Prozesse in ihrer Umwelt reagieren und diese baulich und räumlich gestalten: "Emotionen kartieren eine Stadt. Ich wollte zeigen: Warum lieben, warum hassen wir die Stadt", so Loa Salazar.

Perfekte Architektur reicht nicht

Ronald Grätz, Generalsekretär des Instituts für Auslandsbeziehungen, warnte davor, Städte nicht nur mit perfekter Architektur und Struktur auszustatten. Im Mittelpunkt müsse immer der Mensch, der die Stadt mit Leben füllt, stehen: "Städte verlieren ihre Geschichte, wenn sie monoton werden. Menschen und Städte brauchen auch etwas Schönes." Wenn also Städte nicht schön seien, sondern nur funktional, dann hätten "die Menschen keinen Anker, der sie hält."

Frankfurter Buchmesse 2014 Raja Alem
Die Autorin Raja Alem aus Saudi-Arabien kennt sich aus mit MegacitiesBild: DW/J. Kürten

Ob Sao Paulo, Peking oder Mexiko-City - die Probleme der Menschen in den Großstädten ähneln sich weltweit. Die Parallelen seien verblüffend, meint auch Anita Djafari: "Natürlich ist Teheran ein anderer Moloch als eine Großstadt in Deutschland oder Amerika." Doch die Problematiken und Diskussionsansätze glichen sich sehr.

Für Tobias Voss liegt der Schlüssel zum Erfolg in der Integration der Zuwanderer: "Wenn es eine Stadt oder eine Megacity schafft, mit den neuen Einwanderern adäquat umzugehen, wenn sie es also schafft, sie zu integrieren, dann wird es auch weiterhin funktionieren mit der Stadt." Ungemein wichtig dabei sei das Thema Bildung: "Man muss die Leute nicht nur in die Stadt integrieren, man muss sie auch bildungstechnisch integrieren." Dabei spiele das Lesen eine herausragende Rolle.

Womit man wieder beim Buch wäre. Bücher sind ein Schlüssel zum Verständnis der Welt – und helfen bei der Integration, gerade und vor allem auch in den modernen Megacities. Und wo ließe sich darüber besser diskutieren als auf der Buchmesse.