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Der "Dschungel" lebt

27. September 2010

Der "Dschungel", ein Lager illegaler Migranten im französischen Calais, wurde vor einem Jahr geräumt. Stattdessen jetzt gibt es jetzt viele kleine Lager. Nachts versuchen sie die Flucht durch den Eisenbahntunnel.

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Zeltlager in Calais. Foto: AP Michel Spingler
Die "Dschungel-Camps" sind immer noch daBild: AP

Vor einer Kirche in der französischen Hafenstadt Calais warten an einem Samstag zur Mittagszeit rund 150 Migranten. Alle habe eine Nummer gezogen und stehen nun in der Warteschlange. Sie wollen Hemden, Schuhe, eine Decke oder ein Handtuch ergattern, die Einwohner von Calais gespendet haben. Die kostenlose Kleiderkammer betreibt eine kleine Hilfsorganisation aus Großbritannien, die "Einwanderer-Solidarität Calais". Einer der freiwilligen Helfer, genannt Jo, bestreitet die Angaben der französischen Behörden wonach es kein Flüchtlingsproblem mehr gebe. "Es gibt nicht mehr das eine Lager, den einen "Dschungel", sondern jetzt gibt es viele kleine Lager rund um Calais, einen Dschungel der Sudanesen, einen Dschungel der Paschtunen, einen der Kurden usw.", erklärt Jo.

Großes Camp vor einem Jahr geräumt

Vor einem Jahr hatte die Polizei den großen "Dschungel" geräumt, in dem bis zu 800 Migranten auf ihre Chance warteten, durch den Ärmelkanal-Tunnel von Calais ins britische Dover zu gelangen. 300 Migranten wurden damals festgenommen, unter großem Interesse der Weltöffentlichkeit. Inzwischen hat das Interesse abgenommen, aber immer noch kommen hunderte Menschen aus Afrika und Zentralasien nach Calais. Sie zahlen Schmugglerringen zwischen 2000 und 5000 Euro für die gefährliche Reise. Ein lohnendes Geschäft für Kriminelle. Erst im August und Juni haben die französische und die britische Polizei zwei internationale Schmugglerbanden hochgehen lassen, die Menschen aus Sri Lanka und Vietnam über den Balkan und Osteuropa nach Frankreich schleusten.

Proteste der Migranten gegen die Räumung. Foto: AP Michel Spingler
Vor einem Jahr: Proteste der Migranten gegen die RäumungBild: AP

"Absurde Bewegungen"

Jo von der Hilfsorganisation "Einwanderer-Solidarität" erzählt, dass die Polizei in Calais die Migranten nicht mehr verhaftet, um sie dann später wieder in ihre Heimatländer abzuschieben. Die Polizei würde die Migranten so lange drangsalieren, bis sie von sich aus weiter zögen. Manche seien in die Stadt Dünkirchen umgezogen und sammelten sich dort, berichtet Pascal Fruily, ein weiterer freiwilliger Helfer: "So kann die Regierung natürlich sagen, es gibt keine Flüchtlinge mehr in Calais. Das löst das Problem aber nicht. Die Leute werden nur hin- und herbewegt. Nach Dünkirchen oder Bolougne. Das ist doch absurd."

Gelobtes Land Großbritannien

Afram aus Eritrea will an der Kleiderausgabe in Calais nicht erzählen, auf welchem Weg er in die Stadt gelangt ist. Er war bereits einmal in Großbritannien, wurde aber abgeschoben. In Italien stellte er einen Antrag auf Asyl, jetzt ist er wieder hier und will zum zweiten Mal durch den Eisenbahntunnel unter dem Ärmelkanal hindurch: "Ich mache das, weil England ein gutes Land für Einwanderer ist. Die Krankenhäuser sind gut, es gibt Sozialhilfe und Wohnungen, alles ist gut in England. Meine Freunde sind in England. Wenn ich dort Papiere bekomme, werde ich arbeiten. Wir sind keine Kriminellen und nehmen auch keine Drogen. Ich bete zu Gott."

Tunneleinfahrt in Calais. Foto: AP Michel Spingler
Tunneleinfahrt in CalaisBild: AP

Kritik vom Europarat

Gegen Abend ziehen die Migranten in die Nähe des Hafens von Calais. Dort wollen sie im Schutze der Dunkelheit auf die Ladefläche eines Lastwagens klettern. Die Lastwagen werden per Zug durch den Tunnel nach Großbritannien transportiert. Dem Helfer Jo tun die Migranten leid, denn die meisten haben völlig falsche Vorstellungen, von dem, was sie in Großbritannien erwartet: "Manche sind durch die Sahara-Wüste gewandert, manche haben auf dem Weg Freunde begraben, manche haben ihr Haus verkauft. Sie haben alles verloren, sind hungrig und müde. Alle finden England toll. Was soll ich Ihnen also sagen?"

Der Menschenrechts-Beauftragte des Europarats, Thomas Hammarberg, hatte die Lager in Calais besichtigt und den französischen Innenminister, Eric Besson, schriftlich aufgefordert, für Abhilfe zu sorgen. Nicht nur die Unterbringung der Menschen müsse verbessert werden, so Hammarberg, auch die Asyl- und Abschiebeverfahren müssten dringend verbessert werden. Dem Europarat gehören 47 Staaten an. Er achtet unabhängig von der Europäischen Union auf die Wahrung der Menschenrechte in den Mitgliedsländern.

Autor: Nik Martin/Bernd Riegert
Redaktion: Gero Rueter