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Wein vom Weinstock Jesu

17. Oktober 2015

„Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“: Dr. Claudia Nieser von der katholischen Kirche über den Aufruf an uns, Wein vom Weinstock Jesus zu werden und den Geschmack Gottes in die Welt zu tragen.

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Riesling im Rheingau
Bild: imago/suedraumfoto

Für seine Verkündigung greift Jesus häufig auf Bilder von der Traube, dem Wein, dem Weinstock oder dem Weinberg zurück. Der köstliche Saft der Reben scheint ihm besonders gut geeignet gewesen zu sein, um von der Freude und Fülle zu erzählen, die seine Botschaft für den Menschen bereithält. Der Geschmack eines guten Weins kann mit anderen Worten eine Ahnung davon vermitteln, welchen Geschmack, welche Würze das Evangelium dem Leben zu geben vermag.

Bei den Bildern aus dem Umfeld des Weinbaus in den Evangelien gibt es jedoch noch einen weiteren Aspekt. Der Saft der Trauben steht nicht nur für die „köstliche Speise“, die Jesus den Menschen mit seiner Botschaft bietet; die Trauben können auch für diejenigen stehen, die seiner Botschaft glauben und ihm nachfolgen. Die Trauben, die Reben stehen für alle Menschen, die sich Christen nennen.

„Ich bin der wahre Weinstock“
Entfaltet wird dieser Gedanke im Johannesevangelium in den berühmten Bildworten vom Weinstock und den Reben. „Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Winzer“ (Joh 15,1), sagt Jesus dort. Und fährt fort: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.“

In diesem Bildwort sind die Menschen der „Stoff“, aus dem der Wein gemacht wird. Betrachtet man die Geschichte des Christentums, ist das nur konsequent. Natürlich ist es zuallererst Jesus selbst, der uns den Weinbecher mit seiner guten, köstlichen Botschaft gereicht hat. Doch was soll man tun, wenn Jesus nicht mehr da ist? Was geschieht, mit anderen Worten, nach seinem Tod, seiner Auferstehung und Himmelfahrt? Dann liegt es an denjenigen, die an ihn glauben, die Würze und der Geschmack zu sein, die in seiner Botschaft liegen. Es liegt an den Christen, sich für eine Welt einzusetzen, in der Menschsein sich nicht in Arbeit, Pflichterfüllung, Ernährung, kurz: im bloßen Überleben erschöpft; für eine Welt, in der jedem Menschen eine ganz besondere Würde zukommt, eine Welt, in der er zur Freude bestimmt ist, zu einem Leben in Fülle.

In der 2.000-jährigen Geschichte des Christentums gibt es herausragende Beispiele, wie Menschen aus ihrem Glauben heraus diesen Geschmack in die Welt getragen haben. Ich denke zum Beispiel an Oscar Romero, den im Frühjahr selig gesprochenen Erzbischof von San Salvador, der für die arme, unterdrückte Landbevölkerung zum Wein vom Weinstock Jesus wurde. Entschieden setzte er sich für ihre Rechte, für ihre Würde ein, überzeugt davon, dass man als Christ gar nicht anders handeln kann, als die herrschende Ungerechtigkeit anzuprangern.

Es muss jedoch niemand berühmt sein, um Wein vom Weinstock Jesus zu sein. In diesen Tagen setzen sich zum Beispiel viele Frauen und Männer in Kirchengemeinden für das Wohl der Flüchtlinge in ihren Dörfern und Städten ein. Sie wollen, dass diese Menschen mehr Möglichkeiten haben als nur das nackte Überleben in einem fremden Land. Deshalb feiern sie mit ihnen Willkommensfeste, organisieren Sprachkurse und helfen auf vielfältige Arten dabei, dass sie in ihrer neuen Umgebung ein Stück Heimat finden und menschenwürdig leben können.

Weinstock und Reben bilden eine Einheit
Es gibt jedoch eine Voraussetzung dafür, um wirklich Wein vom Weinstock Jesus zu werden: Man muss in engem Kontakt zu diesem Weinstock bleiben. Mehr noch, die Worte des Johannesevangeliums sprechen im Grunde von einer Einheit zwischen Weinstock und Reben, einer Einheit zwischen Jesus und den Menschen. „Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht, denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen“ (Joh 15,5), sagt Jesus.

Ich meine aber, dass der Satz „Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch“ in erster Linie ein Versprechen ist, eine Einladung. „Wenn ihr in enger Verbindung mit mir bleibt“, so könnte man dieses Versprechen formulieren, „dann versorge ich euch mit allem, was ihr braucht. Aus mir, dem Weinstock, strömen Nahrung, Kraft und Leben in euch hinein. Sie lassen euch wachsen und reifen. Wenn ihr in enger Verbindung mit mir bleibt, dann nehmt ihr allmählich einen Geschmack an, der den Menschen in eurer Umgebung gut tun wird. Der ihnen dabei hilft, das Leben in Fülle zu haben.“

Dr. Claudia Nieser, Paderborn
Dr. Claudia Nieser, PaderbornBild: Privat

Zur Autorin
Die Theologin und Buchautorin Dr. Claudia Nieser, 1972 in Neunkirchen/Saar geboren, studierte katholische Theologie in Saarbrücken und Trier. Sie absolvierte ein Volontariat beim Saarländischen Rundfunk und arbeitet seit 2001 in der Presse- und Informationsstelle des Erzbistums Paderborn. Mit einer Dissertation über die algerische Schriftstellerin Assia Djebar promovierte sie zum Doktor der Theologie an der Eberhard Karls Universität Tübingen. In ihren Veröffentlichungen befasst sie sich mit Themen wie dem interreligiösen Dialog, dem Gespräch zwischen Literatur und Theologie sowie zwischen Populärkultur und Religion.

Kirchliche Verantwortung: Dr. Silvia Becker, Katholische Hörfunkbeauftragte, und Alfred Herrmann