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Russland und Spitzbergens grüne Zukunft

Alexander Korolev
29. Mai 2024

Sowohl Oslo als auch Moskau bauen auf Spitzbergen Kohle ab. Doch Norwegen will den Bergbau einstellen und steigt auf grüne Energie um. Was bedeutet das für den Archipel? Und welche Pläne verfolgt Russland?

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Blick auf die vereisten Berge von Spitzbergen
Blick auf SpitzbergenBild: Dmyto Katkov

Die 24-jährige Mia Slettas lebt nördlich des Polarkreises in der norwegischen Stadt Longyearbyen, der Hauptstadt des Spitzbergen-Archipels. Sie holt uns in einem roten Pickup ab. Die Fahrt aus der Stadt dauert etwa 15 Minuten. Auf dem Weg kommen wir an einem Straßenschild mit einem Eisbären vorbei. "Longyearbyen darf man nicht ohne Waffe verlassen, denn man könnte einem Bären begegnen", erläutert Slettas.

Ein Warnschild mit einem abgebildeten Eisbären
Ein Schild warnt vor EisbärenBild: Dmyto Katkov

Während der Fahrt erzählt sie, wie sie in Spitzbergen gelandet ist: "Erst war ich nur für ein paar Wochen gekommen, habe aber dann beschlossen, länger zu bleiben. Am Ende habe ich meine Sachen gepackt und bin hierher gezogen. Das ist jetzt vier Jahre her, es gefällt mir hier und ich mag vor allem meinen Job." Unterdessen nähern wir uns mehreren Gebäuden. Auf einem steht "Gruve 7" geschrieben, was Grube 7 bedeutet.

Letzte norwegische Grube

Mia Slettas arbeitet als Mechanikerin in dem Bergwerk, das seit einem halben Jahrhundert Kohle aus Permafrost fördert. "Die Grube 7 ist einzigartig, weil sie immer nur einen Zugang hatte", sagt Slettas. Es folgt von ihr eine kurze Einweisung, was die Sicherheit und Ausrüstung betrifft, und dann geht es in die Grube. Bis zum eigentlichen Ort, wo Kohle abgebaut wird, sind es sieben Kilometer, die durch einen Eisberg führen - erst im Pickup, dann in einem Elektroauto und schließlich zu Fuß.

Die Deckenhöhe beträgt stellenweise nur anderthalb Meter. Man muss sich beugen, um sich nicht am Kopf zu stoßen. Die Temperatur im Tunnel liegt sowohl im Sommer als auch im Winter bei null Grad. Heute verstärkt Slettas einen der Bögen. Mit einer großen Maschine bohrt sie Löcher in die Decke und treibt meterlange Eisenstangen hinein. Das hilft, den Druck des Gesteins über uns zu verteilen.

Mia Slettas mit Helm und Arbeitskleidung
Mia Slettas arbeitet in einem Bergwerk auf SpitzbergenBild: Dmyto Katkov

Mia Slettas begann als Auszubildende und ist nun seit zwei Jahren als einzige Frau voll ins Team der Bergleute integriert. Sie sagt, Angst vor der Tiefe habe sie keine und sie sei harte körperliche Arbeit gewohnt. Doch für sie und ihre Kollegen wird sich bald vieles ändern. Grube 7, das letzte im Spitzbergen-Archipel betriebene norwegische Bergwerk, soll im nächsten Sommer für immer schließen. Nach den Plänen der Regierung soll die Insel auf alternative Energiequellen umsteigen. "Als ich im Bergwerk anfing, sollten wir bis 2045 Kohle fördern. Ein Jahr später hieß es, wir würden schließen. Ich habe mich inzwischen beruhigt und versuche, nicht zu viel darüber nachzudenken", so Slettas.

Bisher wurden in der Grube etwa 30.000 Tonnen Kohle zur Beheizung der Stadt Longyearbyen abgebaut, und etwa 80.000 weitere für die Metall- und Chemieindustrie in Europa, einschließlich Deutschland. Die Schließung der Grube war bereits für das Jahr 2023 geplant, aber wegen Russlands Krieg gegen die Ukraine und steigender Energiepreise wurde sie auf 2025 verschoben. Alle Bergleute und Beschäftigten werden dann ihre Jobs verlieren.

"Grüner Übergang" in der Arktis

Im Herbst 2023 hatten die Behörden von Longyearbyen ihr einziges Kraftwerk planmäßig von Kohle auf Diesel umgestellt. "Dies ist die erste Phase der Energiewende", sagt Terje Aunevik, Bürgermeister von Longyearbyen, der im vergangenen Herbst in dieses Amt gewählt wurde. "Durch die Kohle wurden jedes Jahr rund 75.000 Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre freigesetzt und die Stadt musste etwas Effektiveres finden. Es klingt seltsam, wenn wir von fossilen Brennstoffen auf fossile umsteigen, aber Diesel ist ein guter erster Schritt, weil er flexibel einsetzbar ist. Wir haben zur Stabilisierung der Lage in Batterien investiert, was auch die Arbeit mit erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne erleichtert", fügt er hinzu.

Portrait von Terje Aunevik, Bürgermeister von Longyearbyen
Terje Aunevik ist seit Herbst Bürgermeister von LongyearbyenBild: Dmyto Katkov

Mons Ole Sellevold, Mitarbeiter des staatlichen Unternehmens Store Norske, das schon seit einem Jahrhundert Kohle in Spitzbergen fördert und jetzt in erneuerbare Energien investiert, ist direkt am grünen Wandel in Spitzbergen beteiligt. "Es ist ein Projekt zur Energiewende an einem abgelegenen Ort, an der Küstenfunkstelle Isfjord Radio außerhalb von Longyearbyen. Dort stellen wir von 100 Prozent Diesel auf ein Hybridsystem aus erneuerbaren Energien um, einschließlich Solarenergie und Energiespeicher wie Batterien. Wir denken auch an einen Aufbau kleiner Windkraftanlagen", erzählt Sellevold.

Mons Ole Sellevold mit Mütze und Winterjacke im verschneiten Spitzbergen
Mons Ole Sellevold setzt sich für einen Übergang zu erneuerbaren Energien einBild: Dmyto Katkov

Er sagt, er fühle sich in Spitzbergen als Pionier auf dem Gebiet der grünen Energie. "Wir können nicht auf fertige Lösungen zurückgreifen. Natürlich sind Sonnenkollektoren, Windturbinen und Batterien weltweit alltäglich. Aber wie sie hier in der Arktis funktionieren, wissen wir erst, wenn wir sie aufbauen und unter realen Bedingungen testen. Im Frühjahr werden wir sehen, ob sich unsere Bemühungen lohnen", so Sellevold.

Die Polarnacht im Winter weicht auf Spitzbergen dem Polartag im Frühling. Das mache Sonnenkollektoren ideal für die Energiewende, erklärt Sellevold. Auf mehreren Gebäuden in Longyearbyen sind Solarpaneelen angebracht und in einer abgelegenen Gegend wird ein Solarpark getestet. Laut Sellevold wird in Spitzbergen neben der Nutzung von Wind- und Sonnenenergie auch der Ausbau von Geothermie diskutiert.

Blick auf ein Schild mit der Aufschrift "Longyearbyen" an einer Straße
Straße nach LongyearbyenBild: Dmyto Katkov

Allerdings sind nicht alle in Longyearbyen mit dieser Umweltpolitik zufrieden. Während Spitzbergen auf grüne Energie umstellen soll, exportiert Norwegen laut Experten weiterhin Gas und Öl, was die Bekämpfung des Klimawandels insgesamt nicht verbessert. Auch in der Stadt selbst klagen Anwohner über den Geruch von Diesel, der im Kraftwerk verbrannt wird. Aber es gibt noch ein anderes Problem.

Sonderstatus und der Faktor Russland

Spitzbergen hat einen Sonderstatus, der durch einen Vertrag von 1920 gesichert ist und von über 50 Ländern unterzeichnet wurde. Neben Norwegen ist auch Russland auf dem Archipel wirtschaftlich aktiv, und zwar mit dem Trust "Arktikugol" (Arktische Kohle) in Barentsburg, 60 Kilometer von Longyearbyen entfernt. Die Russen wollen im Gegensatz zu den Norwegern die Minen ausbauen, obwohl auch dort künftig die Förderung zurückgehen wird.

Blick auf das nördlichste Kohlebergwerk auf Spitzbergen in einer vereisten Landschaft
Blick auf das nördlichste Kohlebergwerk auf SpitzbergenBild: Dmyto Katkov

Derzeit geht man in Barentsburg von 120.000 Tonnen pro Jahr aus, doch bis 2032 soll die Förderung im Archipel auf 40.000 Tonnen sinken. Zudem hat das russische Unternehmen seit der Verhängung westlicher Sanktionen im Jahr 2022 Schwierigkeiten, Kohle auf dem europäischen Markt zu verkaufen. Barentsburg versucht, seine Aktivitäten zu diversifizieren und setzt dabei insbesondere auf die Entwicklung von Tourismus und Forschung.

Ende des Kohlezeitalters und Beginn einer neuen Ära

Vertretern des norwegischen Energieunternehmens Store Norske zufolge bestehen derzeit keine Kontakte zu Barentsburg, was die Entwicklung erneuerbarer Energien angeht. Es gibt auch keine entsprechenden Pläne für die Zukunft. Mit anderen arktischen Ländern und der örtlichen Universität in Longyearbyen hingegen bestehen Kooperationen.

Mons Ole Sellevold mit einer Jacke, auf dessen Rücken der Name des Unternehmens Store Norske steht
Mons Ole Sellevold, Angestellter des Staatsunternehmens Store NorskeBild: Dmyto Katkov

Doch zurück zur Grube 7, wo Mia Slettas ihre Zehn-Stunden-Schicht beendet. Auf die Frage, was sie in Zukunft vorhat, antwortet sie: "Ich mag die Arbeit in einem Bergwerk und die Menschen, die dort arbeiten. Wahrscheinlich werde ich nach Grönland oder Australien gehen. Alternativ denke ich auch darüber nach, auf das norwegische Festland zurückzukehren und dort als Mechanikerin zu arbeiten."

Norwegens letzte Grube wird ein Jahrhundert nach Beginn des Bergbaus auf dem Archipel geschlossen. In Longyearbyen ist es das Ende einer Ära. Die Einführung neuer Technologien auf der Insel markiert den Beginn eines grünen Übergangs in Spitzbergen, wo der Klimawandel nach Ansicht vieler seit einigen Jahren besonders zu spüren ist. Für eine grüne Zukunft bleibt aber noch viel zu tun.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk