Was ist Google ohne Chrome noch wert?
20. November 2024Das US-Justizministerium tritt einem Medienbericht zufolge dafür ein, dass die Tochter Google des US-Konzerns Alphabet ihren Internet-Browser Chrome aus kartellrechtlichen Gründen verkaufen muss. Das Ministerium werde den Richter in dem entsprechenden Gerichtsverfahren um einen solchen Schritt bitten, berichtete die US-Nachrichtenagentur Bloomberg.
Schon im August hatte ein US-Bezirksrichter in einem Kartellprozess geurteilt, dass Google bei den Online-Suchen und der damit verbundenen Werbung ein illegales Monopol habe, das es mit milliardenschweren Zahlungen verteidige. So soll Google 26 Milliarden Dollar an Hersteller von Elektronikgeräten gezahlt haben, um dafür zu sorgen, die eigene Suchmaschine in den Geräten als Standardoption zu setzen. Um die Marktmacht von Google nun zu brechen, greifen die Richter zu drastischen Maßnahmen. So wird Google nun verpflichtet, seinen Browser Chrome abzustoßen.
Das Verfahren gilt als "Prozess des Jahrzehnts", weil die USA laut Bloomberg erstmals seit langer Zeit einem Unternehmen die Bildung eines illegalen Monopols vorwerfen und nun klare Konsequenzen verlangen. Google - beziehungsweise der Mutterkonzern Alphabet - hat angekündigt in Berufung zu gehen.
Chrome ist wichtig für Google
Der Verlust von Chrome wäre für den Konzern ein herber Rückschlag. Während fast 90 Prozent der Suchanfragen weltweit über Google laufen, nutzen mehr als 60 Prozent der Menschen dafür auch den konzerneigenen Browser.
Chrome ist für sie das Zugangstor zum Internet. Hier kann Google seine eigenen Produkte bewerben und Kunden binden - beispielsweise für Gmail als E-Mail-Dienst oder Gemini als künstliche Intelligenz.
Doch Chrome ist vor allem ein wichtiger Bestandteil des Google-Kerngeschäfts: dem Verkauf von Internetwerbung. Denn anders als bei einer Suchanfrage über Google über einen anderen Browser kann Google bei Chrome deutlich mehr Daten sammeln - beispielsweise über das Suchverhalten und bevorzugte Websites. Das hilft Google dabei, seine Anzeigen noch effizienter auf die Nutzenden auszurichten.
"Fällt Chrome, dann wackelt Google"
Das Anzeigengeschäft ist für Google und auch für den Mutterkonzern Alphabet sehr wichtig. 2023 setze Alphabet mit Werbung mehr als 230 Milliarden Dollar um. Das ist der Großteil des Gesamtumsatzes, der sich im selben Jahr auf 307 Milliarden belief.
Digital-Experte Nils Seebach ist sich deshalb sicher: "Fällt Chrome, dann wackelt Google gewaltig. Im bisherigen Setup ist Chrome Teil des Google-Geschäftsmodells und könnte auf sich gestellt wohl aber kaum überleben." Eine Abspaltung könnte seiner Meinung nach auch für Alphabet zur Belastungsprobe werden. "Solch ein Vorgang wäre ein Extremereignis, auch für den Markt", erklärt Seebach der DW.
Ulrich Müller von der Anti-Monopol-Organisation Rebalance Now sagt der DW, er begrüße die Entscheidung. Sollte sich Google von Chrome trennen müssen, erwartet er einen Rückgang des Anzeigengeschäfts. Das könnte dazu führen, dass "Google wieder stärker über die Qualität seiner Dienste in den Wettbewerb treten muss", so Müller. Er glaubt auch, dass es eine Chance sein könnte für alternative Geschäftsmodelle bei der Internetsuche - wie beispielsweise eine Abo-finanzierte Suchmaschine.
Für Nils Seebach, Geschäftsführer der Digitalberatung Etribes, stellt sich die Frage, wie lange der Prozess noch dauern wird und bis wann die Abspaltung erfolgt sein muss. "Vielleicht sind Browser oder Suchmaschinen, wie wir sie heute kennen, dann längst obsolet."
Historischer Prozess
Das Urteil geht auch zurück auf eine gut 100 Jahre alte Tradition des US-Wettbewerbsrechts. Schon 1911 wurde Rockefellers Ölmonopolist Standard Oil zerschlagen. Vor allem in den 1960er und frühen 70er Jahren sei sehr kritisch auf mögliche Monopole geschaut worden, sagt Müller von Rebalance Now. In den 80er Jahren argumentierte dann die neoliberale Chicago School, eine große Konzentration von Marktmacht sei akzeptabel, wenn die Unternehmen effizient sind. In der Folge wurden strukturelle Maßnahmen seltener ergriffen.
Trotzdem wurde 1982 der Telekommunikationskonzern AT&T aufgespalten. Und auch Microsoft drohte ein ähnliches Schicksal. 2001 hieß es in einem Gerichtsurteil, Microsoft müsse zerschlagen werden, weil der Konzern ein Monopolist sei. Dessen Betriebssystem Windows sei so eng mit dem eigenen Browser (damals: Internet Explorer) verknüpft, dass der Konkurrent Netscape vom Browser-Markt verdrängt werde. Microsoft ging in Berufung und konnte so die Zerschlagung abwenden. Allerdings musste der Konzern Teile seiner Systeme für Konkurrenten öffnen.