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PolitikSerbien

Was erwartet der Westbalkan von Trump und Harris?

27. September 2024

Donald Trumps Sohn besucht Belgrad, sein Schwiegersohn macht Geschäfte in Serbien - und in Kosovo wird die Präsidentschaftswahl in den USA mit Sorge betrachtet. Welche Folgen wird ihr Ausgang für Südosteuropa haben?

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Die Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und Kamala Harris sind auf einem großen geteilten Bildschirm während ihrer Fernsehdebatte zu sehen. Davor die Schattenrisse von Menschen, die zuschauen.
Wurde auch auf dem Balkan mit Interesse verfolgt: TV-Duell der beiden Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und Kamala HarrisBild: Alex Wong/Getty Images

Am 23. September 2024 traf sich Donald Trumps ältester Sohn Donald Jr. mit serbischen Geschäftsleuten zu einem Abendessen in Belgrad, um Investmentmöglichkeiten in Serbien auszuloten. Trumps vielfältige Kontakte zu serbischen Unternehmern und Regierungsvertretern reichen bis 2013 zurück. Der damalige serbische Premier Ivica Dacic hatte Trumps Interesse an einem Immobilienprojekt publik gemacht.

Das Objekt ist das ehemalige Hauptquartier der Jugoslawischen Volksarmee, das 1999 während der NATO-Angriffe schwer beschädigt wurde. Die Verhandlungen verliefen jedoch im Sand - bis zum Mai 2024, als Trumps Schwiegersohn Jared Kushner, angeleitet vom ehemaligen US-Botschafter in Berlin, Richard Grenell, den Deal abschloss. Der wohl milliardenschwere Vertrag sieht eine Pacht des Gebäudekomplexes für 99 Jahre vor.

Jared Kushner steht in Anzug und Kravatte vor einem Auto
Jared Kushner, der Schwiegersohn von Donald TrumpBild: Chris Kleponis/abaca/picture alliance

Grenell, der im Fall von Trumps Wahlsieg als Außenminister gehandelt wird, galt in Berlin als der unbeliebteste US-Botschafter der deutschen Nachkriegszeit. Die Schweizer Tageszeitung NZZ nannte ihn wegen seines "rüpelhaften Verhaltens" einen "Undiplomaten". Donald Trump Jr. pries ihn kürzlich als "den Top-Anwärter" für das Amt des Secretary of State.

Trumps gescheiterter Balkan-Exkurs 2020 

Als Trumps Sondergesandter für den Balkan zog Grenell die Fäden, als 2020 Kosovos Premier Albin Kurti gestürzt wurde, da er einem anderen Deal im Wege stand. Es ging angeblich um einen Gebietsaustausch zwischen Serbien und Kosovo nach ethnischen Kriterien. Im Juni 2020 wollten sich der damalige Kosovo-Präsident Kosovos Hashim Thaci und Serbiens Präsident Aleksandar Vucic mit Trump im Weißen Haus treffen, um das Abkommen zu unterzeichnen.

Es sah laut Berichten vor, die vier serbisch dominierten Gemeinden im Norden Kosovos an Serbien anzuschließen. Im Gegenzug hätte das mehrheitlich albanisch besiedelte südserbische Presevo-Tal Teil Kosovos werden sollen. Ein solcher "land swap" (Gebietsaustausch) hätte einen Domino-Effekt auslösen können, denn die Westbalkan-Staaten sind trotz der Kriege der 1990er immer noch multiethnisch geprägt.

Infografik Karte umstrittene Gebiete Westbalkan DE

Der bosnische Serbenführer Milorad Dodik hatte bereits gedroht, in einem solchen Fall den mehrheitlich serbischen Landesteil Bosnien und Herzegowinas, die Republika Srpska, an Serbien anzuschließen - was zu einem neuen Balkan-Krieg hätte führen können. Ethnisch motivierte Grenzänderungen bergen immenses Konfliktpotential. Eine Anklage des Kosovo-Sondertribunals gegen den ehemaligen kosovarischen Präsidenten Hashim Thaci durchkreuzte Trumps Plan. Thaci stellte sich freiwillig dem Gericht.

Grenells anhaltende Beliebtheit in Serbien belegt derweil die Aussage des serbischen Botschafters in Washington, Marko Duric, der ihn "unzweifelhaft Serbiens Freund" nannte. Präsident Vucic verlieh Grenell 2023 den höchsten serbischen Orden für seine Verdienste: "Ich denke, er ist einer der wenigen Leute aus den USA, der eine ausgewogene Herangehensweise zu Kosovo hat."

Harris oder Trump - was den Westbalkan erwarten könnte

Trumps proserbische Einstellung lässt erahnen, was den Westbalkan erwarten könnte. Die Linie der demokratischen Vizepräsidentin und Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris hierzu ist bislang nebulös. Aufgrund ihrer Vita und ihrer außenpolitischen Ansichten aber kann man einige Schlüsse wagen.

Einerseits ist es unwahrscheinlich, dass Harris angesichts ihrer multiethnischen Herkunft serbische oder andere Ethnonationalisten begünstigen würde. Zudem ist Harris für ihre Pro-Ukraine-Haltung bekannt. Vielleicht hat deren Präsident Wolodymyr Selenskyj sie vor Moskaus mutmaßlichen Plänen gewarnt, den Balkan zu destabilisieren beziehungsweise hier Fronten mittels der Moskau-treuen großserbischen Nationalisten zu eröffnen. Die engen Beziehungen zwischen Belgrad und Moskau könnten Harris zu einer Kurskorrektur veranlassen.

Die amerikanische Vizepräsidentin und Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, Kamala Harris, gestikuliert bei einem Auftritt bei der Democratic National Convention in Chicago im August 2024
Die amerikanische Vizepräsidentin und Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, Kamala HarrisBild: J. Scott Applewhite/dpa/AP/picture alliance

Der Konfliktforscher der renommierten Johns Hopkins Universität, Edward Joseph, kritisierte kürzlich "die Beschwichtigungspolitik" des bisherigen US-Präsidenten Joe Biden gegenüber Serbien. Vucic habe Belgrad immer weiter gen Osten gesteuert, und es gäbe keinen Grund, warum eine Präsidentin Harris diese verfehlte Politik weiterverfolgen sollte, so Joseph. Der ehemalige US-Diplomat Shaun Byrnes schlug in die gleiche Kerbe mit seiner Empfehlung: "Wir müssen härter mit Serbien umgehen, weil es sich weiterhin feindselig gegenüber Kosovo verhält."

"Fantasie-Diplomatie" auf dem Balkan

Daniel Serwer, ein Diplomatie-Veteran, der mit dem sogenannten Architekten des Dayton-Friedensabkommens, Richard Holbrooke, arbeitete, bezeichnete Bidens Balkan-Politik als "Fantasie-Diplomatie": Ausgerechnet Vucic - den Propaganda-Minister des serbischen Präsidenten und "Schlächter des Balkans" Slobodan Milosevic in den 1990ern - als Stabilitätsanker aufzubauen, sei fernab jedweder Realität.

Der russische Präsident Wladimir Putin (links) und der deutlich größere serbische Präsident Aleksandar Vucic schütteln sich im Amtssitz Vucics die Hand. Beide lächeln in die Kamera. Im Hintergrund ist das serbische Staatswappen auf blauem Untergrund zu sehen.
Der russische Präsident Wladimir Putin trifft in Belgrad Staatschef Aleksandar Vucic (2019)Bild: picture-alliance/TASS/M. Metzel

Schon die häufigen Besuche des Vucic-Vertrauten und Vize-Premiers Aleksandar Vulin in Russland, bei dem er zuletzt Präsident Wladimir Putin höchstpersönlich versicherte, dass "Serbien strategischer Partner und Alliierter Russlands" sei, lassen Zweifel an der US-Politik aufkommen.

Die Aktivitäten von Trumps Umfeld in Belgrad haben gezeigt, dass im Fall seiner Wiederwahl zum US-Präsidenten ökonomische Ziele im Vordergrund der amerikanischen Westbalkan-Politik stehen würden. Sehr zupass kommt Trump dabei, dass Serbiens Präsident Vucic über exzellente Beziehungen zu Putin verfügt.

Sorgen vor Trump

Für die Ukraine, Bosnien, Kosovo und Montenegro ist dies beängstigend. Denn obwohl Bosnien und Kosovo, zwei Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit, ausgesprochen proamerikanisch und prowestlich sind, können sie im Fall einer Wiederwahl Trumps nicht automatisch mit US-Schutz vor serbischen Expansionsgelüsten rechnen.

In der Vergangenheit hat der Republikaner deutlich gemacht, dass er Verbündete fallen lässt, wenn es in sein Kalkül passt. So hatte er im Dezember 2018 angekündigt, den Großteil der US-Streitkräfte aus Syrien abzuziehen und somit die Kurden verraten, die die Hauptkampflast des Bodenkrieges gegen die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) getragen hatten. Dieser Verrat an Verbündeten veranlasste US-Verteidigungsminister James Mattis damals zum Rücktritt. Vor dem missglückten Grenell-Deal zum Gebietsaustausch zwischen Kosovo und Serbien hatte Trump Kosovo-Premier Kurti bereits mit dem Abzug der US-Truppen aus der ehemaligen serbischen Provinz gedroht, die als Lebensversicherung gelten.

Waffenlieferungen als Rückversicherung

Ob die NATO-Schutztruppe KFOR ohne die USA die Sicherheit Kosovos garantieren könnte, ist zumindest fraglich. Für diesen Fall scheint die Biden-Administration zumindest eine Vorsorge getroffen zu haben: Die USA haben Kosovo 250 der aus dem Ukraine-Krieg bekannten Javelin-Panzerabwehrraketen geliefert, die Türkei lieferte die nicht minder effektiven Bayraktar-Drohnen. Ohne diese beiden Waffensysteme wäre die Ukraine als selbstständiger Staat wohl nicht mehr existent.

Kosovo besitzt übrigens keine Kampfpanzer. Im Gegensatz zu Serbien, dessen Streitkräfte über gut 250 verfügen. Die Zahl der gelieferten Javelins dürfte also nicht zufällig gewählt worden sein.  

Auf Patrouille mit der KFOR

Porträt eines Mannes im Anzug mit Brille vor weiß-beigem Hintergrund
Alexander Rhotert Diplom-Politikwissenschaftler, Autor und Westbalkan-Experte