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Was bedeutet Israels Angriff auf die Hisbollah-Finanzen?

Arthur Sullivan
24. Oktober 2024

Seit dieser Woche greift Israel Ziele an, die mit dem Finanzsystem der Hisbollah in Verbindung stehen. Doch neben den bombardierten Finanzinstituten verfügt die Miliz laut Experten über weitere Einnahmequellen.

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Ein Zweiradfahrer fährt an einem Gebäude der Finanzgruppe Al-Qard Al-Hasan vorbei, das durch einen israelischen Luftangriff beschädigt wurde
Ein Gebäude der Finanzgruppe Al-Qard Al-Hasan im Libanon, das durch einen israelischen Luftangriff beschädigt wurde Bild: -/AFP

Israels militärische Kampagne gegen die vom Iran unterstützte libanesische Hisbollah hat in dieser Woche ein neues Ziel ins Visier genommen: ihre Finanzinfrastruktur.

Am Sonntag flog Israel Luftangriffe auf Beirut und weitere Ziele im Libanon, die sich gegen Zweigstellen der Al-Qard Al-Hasan Association (AQAH) richteten, ein Finanzinstitut, das als inoffizielle Bank eng mit der Hisbollah verknüpft ist.

Am Montag stellte der Sprecher der israelischen Armee, Daniel Hagari, in einer im Internet veröffentlichten Videobotschaft eine Reihe von Behauptungen über die Finanzierung der Hisbollah und den Grund für die Angriffe auf.

Hagari zufolge hat die Hisbollah die "tiefe Finanzkrise" des Libanon in den letzten Jahren zu ihrem eigenen Vorteil ausgenutzt, und ihr eigenes Finanznetzwerk stütze sich auf zwei Haupteinnahmequellen: Geld aus dem Iran und Geld von der libanesischen Bevölkerung.

Er sagte, die israelischen Angriffe hätten verschiedene mit Al-Qard Al-Hasan in Verbindung stehende Einrichtungen zum Ziel gehabt. Hagari behauptete aber auch, ohne Beweise zu liefern, dass die Hisbollah "Hunderte von Millionen Dollar" in einem Bunker unter einem Krankenhaus im Zentrum von Beirut lagere.

Was ist Al-Qard Al-Hasan?

David Asher berät die US-Regierung seit Jahren in Sachen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung und war an früheren Kampagnen der US-Regierung gegen die Finanzierung der Hisbollah beteiligt. Er beschreibt Al-Qard Al-Hasan gegenüber der DW als einen "Spar- und Kreditverein, keine Bank im herkömmlichen Sinne".

Laut Jonathan Lord, Direktor des Nahost-Sicherheitsprogramms am Center for a New American Security, einer US-Denkfabrik mit Sitz in Washington, spielt Al-Qard Al-Hasan für die Hisbollah eine Schlüsselrolle im Libanon.

"Sie bieten Finanzdienstleistungen an", erklärt Lord gegenüber der DW. "Es gibt dadurch eine Art strategischen Wettbewerbsvorteil für die Hisbollah im Libanon. Denn der traditionelle Bankensektor ist durch die Korruption im Libanon und die allgemeinen Probleme im Finanzwesen und in der Wirtschaft instabil geworden - insbesondere in den letzten Jahren."

Uniformierte Hisbollah-Kämpfer mit weinroten Baretts und gelben Schärpen während der Beerdigung von Hisbollah-Kommandeuren
Die Hisbollah ist eine der am straffsten organisierten Milizen im Nahen OstenBild: Courtney Bonneau/Middle East Images/picture alliance

Al-Qard Al-Hasan wurde 1983 gegründet und hat schätzungsweise rund 30 Filialen. Sie ist in Gebieten vertreten, in denen die Unterstützung für die Hisbollah traditionell am stärksten ist. Seit dem teilweisen Zusammenbruch des libanesischen Bankensystems im Rahmen der allgemeinen Finanzkrise, die das Land 2019 heimsuchte, hat Al-Qard Al-Hassan an Popularität gewonnen.

Sie wird weder von der libanesischen Zentralbank reguliert noch ist sie Teil des internationalen Bankensystems. Seit 2007 haben die USA Sanktionen gegen sie verhängt.

Woher bekommt die Hisbollah ihr Geld?

Daniel Hagari sagte in seiner Videobotschaft, dass die Hisbollah Geld aus zwei Hauptquellen erhält: Aus dem Iran und von der libanesischen Bevölkerung über finanzielle und soziale Dienstleistungen, die von Al-Qard Al-Hasan bereitgestellt werden.

David Asher weist darauf hin, dass "es sehr schwierig ist, Al-Qard Al-Hasan allein ins Visier zu nehmen, weil das nur ein Bestandteil der Gleichung ist". Seiner Meinung nach besteht ein großer Teil der Aufgaben von Al-Qard Al-Hasan für die Hisbollah darin, "ihr Fußvolk" zu bezahlen und der Öffentlichkeit verschiedene Formen sozialer und finanzieller Dienstleistungen anzubieten.

Er betont, dass die Hisbollah auch das normale libanesische Bankensystem nutzt und dass ihr Vermögen auf verschiedene Weise verteilt ist. Er persönlich schätzt, dass die Hisbollah über ein Jahresbudget von "12 bis 15 Milliarden Dollar (elf bis 13,9 Milliarden Euro) pro Jahr" verfügt.

Die Aussage Israels, ein Großteil des Vermögens der Hisbollah stamme aus dem Iran, ist laut Jonathan Lord unbestreitbar, und die Hisbollah existiere buchstäblich als eine Abteilung der iranischen Revolutionsgarden. "Wenn man sich die Gefechtsgliederung des Iran anschaut, dann zählt der Iran die Hisbollah als einen Teil seiner nationalen Verteidigungsinfrastruktur", sagt er.

Israels Behauptung, der Iran finanziere die Hisbollah direkt mit Geld, das über die iranische Botschaft ins Land gebracht wird, sei daher sehr glaubwürdig, fügt Jonathan Lord vom Center for a New American Security hinzu.

David Asher weist darauf hin, dass weitere wichtigen Quellen des Vermögens der Hisbollah die Einnahmen aus kriminellen Machenschaften wie dem Drogenhandel und dem Geschäft mit Blutdiamanten sind. Es gebe umfangreiche Beweise dafür, dass die Hisbollah Geld über kriminelle Netzwerke in der ganzen Welt beschafft und dann einen Großteil des Geldes über scheinbar legale Unternehmen, oft in Europa, wäscht.

Der Geldwäsche-Experte schätzt, dass die Reserven der Hisbollah etwa zur Hälfte aus dem Iran kommen, während ein großer Teil der restlichen 50 Prozent aus den Erträgen krimineller Geschäfte auf der ganzen Welt stammt.

Wie wirkt sich dies alles auf die libanesische Wirtschaft aus?

Die wirtschaftliche Lage des Libanon wird von Experten seit 2019 regelmäßig als katastrophal bezeichnet. Die Sanktionen gegen den Iran führten in diesem Jahr zu einer schweren Liquiditätskrise im Libanon, die durch die Corona-Pandemie und die Explosion im Beiruter Hafen 2020 noch verschärft wurde.

Die heimische Währung, das libanesische Pfund, und das Bankensystem des Landes brachen zusammen, ebenso ein Großteil der öffentlichen Dienstleistungen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat sich fast halbiert. Bis zu eine Million Menschen wurden in den letzten Wochen durch die Bombardierung vertrieben, was etwa 20 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes entspricht.

Nach einem israelischen Luftangriff steigt im Beiruter Stadtteil Ghobeiri zwischen Häusern Rauch auf, im Vordergrund beobachtende Personen
Mitten im Beiruter Stadtteil Ghobeiri legt ein israelischer Luftangriff ein Hochhaus in Schutt und Asche Bild: Bilal Hussein/AP/picture alliance

Wird der israelische Plan aufgehen?

Jonathan Lord sagt, dass Israels Ziel, die finanzielle Infrastruktur der Hisbollah ins Visier zu nehmen, darauf hindeutet, dass "sie anders denken" als bei früheren militärischen Auseinandersetzungen. Es sei zwar klar, dass Israel der Hisbollah erheblichen Schaden zufügt, doch bestehe die Gefahr einer "schleichenden Ausweitung der Operationen", bei der der Libanon und der Kampf gegen die Hisbollah "zu Israels Vietnam werden", so Lord weiter

David Asher ist der Ansicht, dass die israelischen Angriffe in der vergangenen Woche auf Einrichtungen, die mit Al-Qard Al-Hasan und der Finanzstruktur der Hisbollah in Verbindung stehen, "etwa 30 bis 40 Prozent der Barbestände der Hisbollah vernichtet haben."

Gleichzeitig bleibt er bei seiner Einschätzung, dass die Hisbollah immer noch über ein großes Vermögen verfügt, das im normalen libanesischen Finanzsystem gebunden ist. Und außerdem werde Israels derzeitiges Vorgehen "die Einkommensströme, die die Hisbollah weiterhin aus dem Iran und ihren verschiedenen kriminellen Unternehmungen in der ganzen Welt bezieht, wahrscheinlich nicht beeinflussen".

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert