Norwegen, Spanien und Irland erkennen Staat Palästina an
Veröffentlicht 20. Mai 2024Zuletzt aktualisiert 28. Mai 2024Zumindest auf diplomatischer Ebene dürfte der Mai 2024 als außerordentlich erfolgreicher Monat in die palästinensische Geschichte eingehen: Die UN-Generalversammlung räumte den Palästinensern in einer Abstimmung weitergehende Rechte innerhalb der Vereinten Nationen ein. Lediglich das Stimmrecht fehlt ihnen damit noch zur Vollmitgliedschaft.
Nun erleben palästinensische Diplomaten eine weitere Aufwertung auf der internationalen Bühne. Angekündigt hatten die drei Staaten Norwegen, Irland und Spanien den Schritt schon vergangene Woche, an diesem Dienstag haben sie beschlossen, Palästina offiziell als souveränen Staat anzuerkennen. Dabei geht es einerseits um die Solidarität mit der Zivilbevölkerung im Gazastreifen. Andererseits gilt der Schritt als Positionierung zugunsten einer Zwei-Staaten-Lösung im Nahostkonflikt. Die nämlich lehnt die aktuelle rechte Regierung Israels immer deutlicher ab. Insgesamt steigt so die Zahl der Länder weltweit, die Palästina als eigenen Staat anerkennen, auf 146.
Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hatte Premierminister Benjamin Netanjahu die Vernichtung der im Gazastreifen herrschenden militant-islamistischen Palästinenserorganisation als Kriegsziel ausgegeben. Zudem will er das Palästinensergebiet längerfristig kontrollieren. Doch wegen des harten militärischen Vorgehens, dem nach palästinensischen Angaben bereits mehr als 35.500 Zivilisten zum Opfer gefallen sind, und wegen der desaströsen humanitären Lage im Gazastreifen gerät Israel international immer mehr unter Druck.
Spanien: ehrlicher Makler in Nahost?
Diesen Druck wollen Spanien, Norwegen und Irland nun durch ihre Anerkennung Palästinas weiter erhöhen. Spaniens Premier Pedro Sánchez hat dazu in den vergangenen Monaten zahlreiche Gespräche mit europäischen Partnern geführt. Berichten zufolge trieb er das Vorhaben zunächst auf EU-Ebene voran; aufgrund der Ablehnung Deutschlands und anderer Staaten schmiedete er stattdessen eine Koalition der Willigen.
Spanien besitzt gute Beziehungen zu vielen arabischen Staaten, vor allem denen im Maghreb-Raum, sowie zur Türkei. Zum Teil pflegt es diese Verbindungen seit der Franco-Diktatur (1939-1975), in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg bewahrten diese Länder den südeuropäischen Staat vor der wirtschaftlichen und politischen Isolation zwischen dem Westen und dem Ostblock.
Nach dem Ende der Franco-Diktatur 1975 nahm Spanien wirtschaftliche Beziehungen zu Israel auf, 1986 auch diplomatische Beziehungen. In den darauffolgenden Jahren erarbeitete sich Spanien eine Stellung als angesehener Vermittler zwischen dem jüdischen Staat und der arabischen Welt. Eine Nahost-Konferenz 1991 in Madrid gilt als Auftakt zum Oslo-Friedensprozess zwischen Palästinensern und Israel in den Folgejahren.
Norwegen: vielfacher Friedensvermittler
Dieser Friedensprozess wurde zum größten Teil in der norwegischen Hauptstadt auf den Weg gebracht: Ab 1993 sollten mehrere hier unterzeichnete internationale Abkommen zwischen der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und der Regierung des Staates Israel eine Zweistaatenlösung auf den Weg bringen. Der Oslo-Friedensprozess galt als großer diplomatischer Erfolg. Norwegens Regierung selbst nahm in diesem Prozess eine Vermittlerrolle ein und gilt auch deshalb bis heute als großer Verfechter einer Zweistaatenlösung in Nahost. Auch in anderen Krisen und Konflikten spielte Norwegen häufig eine wichtige Rolle als Vermittler: etwa beim Friedensschluss zwischen kolumbianischer Regierung und FARC-Guerilla 2016 oder bei den Friedensverhandlungen zwischen philippinischer Regierung und dem oppositionellen Bündnis NDFP. Darüber hinaus, heißt es auf der Webseite des norwegischen Außenministeriums, "trägt Norwegen zu diskreten Gesprächen von Konfliktparteien bei, die sich noch nicht auf offizielle Verhandlungen geeinigt haben."
Mit diesem Selbstverständnis sieht Norwegen die Anerkennung Palästinas als wichtigen Impuls, um den zuletzt völlig festgefahrenen Prozess hin zu einer Zweistaatenlösung wieder in Gang zu bringen. Außenminister Espen Barth Eide erklärte: "Mit dieser Anerkennung geben wir dem Prozess, der mit den Osloer Verträgen begann, eine neue Software. Es ist ein 2.0 für die Vision eines unabhängigen Palästinas." Eide zufolge könnte es einer "Friedenslösung mehr Schwung verleihen", wenn weitere Länder dem Beispiel Norwegens folgen würden.
Irland: Solidarisch mit Palästinensern durch die eigene Geschichte
Auch Irland ist seit den ersten Tagen des aktuellen Gaza-Krieges als lautstarker Unterstützer der Palästinenser aufgetreten. Als Mitte April der neue Regierungschef Simon Harris ins Amt eingeführt wurde, war Sánchez sein erster Staatsgast in Dublin - und der gemeinsame Schritt das offenkundige Hauptthema des Treffens. Die irische Regierung rühmt sich, bereits seit 1980 und damit länger als jedes andere EU-Land für eine Zweistaatenlösung mit einem völlig souveränen Palästinenserstaat einzutreten.
In Irland lässt sich die starke Identifikation mit den Palästinensern durch die Geschichte erklären: Sie beginnt mit dem britischen Regierungsbeamten Arthur Balfour, der im späten 19. Jahrhundert für das von Großbritannien kolonialisierte Irland verantwortlich war und diesem eine Selbstverwaltung absprach. 1917 setzte er, inzwischen als britischer Außenminister, die sogenannte Balfour-Deklaration ab, in der er sich im Namen seiner Regierung für eine jüdische Heimstätte im damals osmanisch kontrollierten Palästina aussprach. Nachdem das Gebiet kurz darauf zum britischen Protektorat wurde, dienten dort mehrheitlich Gendarmen, die zuvor als paramilitärische "Black and Tans" brutal gegen irische Aufständische gekämpft hatten.
Der Zuzug von Juden in den hauptsächlich muslimisch bevölkerten Nahen Osten wurde im katholischen Irland mit der Ansiedlung britischer Protestanten im Norden der Insel verglichen. Den daraus resultierenden Nordirlandkonflikt bringen einige Irinnen und Iren mit dem Nahostkonflikt in Verbindung.
Europa: unterschiedliche Positionen zu einem palästinensischen Staat
Die drei Länder geben einander Rückendeckung über politische Lagergrenzen hinweg. Um dem gemeinsamen Schritt mehr Gewicht zu verleihen, haben sie weitere Mitstreiter umworben: Slowenien hat eine Anerkennung Palästinas bis Mitte Juni in Aussicht gestellt. Auch das EU-Mitglied Malta könnte dann handeln. Im April hatte es im UN-Sicherheitsrat bereits für eine palästinensische UN-Vollmitgliedschaft gestimmt, die letztlich am Veto der USA scheiterte.
Innerhalb der EU erkennen bislang vor allem mittel- und osteuropäische Staaten einen Palästinenserstaat an. Bei ihnen geht die Anerkennung noch auf die sozialistische Vergangenheit zurück, in der es eine ideologische Nähe etwa zum PLO-Führer Jassir Arafat gab. Einige der Länder, vor allem Tschechien und Ungarn, gelten heute eher als Unterstützer Israels, obwohl sie vollwertige diplomatische Beziehungen zu den Palästinensern pflegen.
Das erste und bislang einzige Land, das erst nach seinem EU-Beitritt einen Palästinenserstaat anerkannte, war Schweden im Jahr 2014. Ob nun noch weitere Länder folgen, ist offen: In Belgien hadert die Regierung mit dem Zeitpunkt; Portugal ist nach dem Machtwechsel zugunsten einer konservativen Regierung vorerst davon abgerückt.
Andere Staaten wie Deutschland unterhalten zwar Verbindungen mit der Palästinensischen Autonomiebehörde, wollen einen palästinensischen Staat jedoch erst dann anerkennen, wenn auch Israel dies tut. Solange die Hamas, die von zahlreichen Staaten, darunter alle EU-Mitglieder und die USA, als Terrororganisation eingestuft wird, ein politischer Machtfaktor in den Palästinensergebieten ist, gilt solch ein Schritt als ausgeschlossen.
Dieser Artikel erschien zuerst am 20.5.2024 und wurde am 28.5.2024 aktualisiert und erweitert.