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Warum New Yorker Berlin als Heimat vorziehen

Elizabeth Grenier so
16. Juni 2019

Mittlerweile leben 20.000 US-Amerikaner in Berlin, darunter viele New Yorker. Doch warum haben sie sich ausgerechnet die deutsche Hauptstadt ausgesucht? Was gibt’s hier, was New York City nicht bietet?

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Sonnenuntergang über dem Berliner Alexanderplatz
Bild: picture-alliance/R. Schlesinger

"Wir sind seit drei Tagen in Berlin - und ich will nie mehr zurück... Ich komme aus New York City und muss sagen: Lange war New York City die größte, die mondänste Stadt der Welt ist, aber ab jetzt ist Berlin die Nummer 1", sagte einer der Hosts des US-Podcasts "Chapo Trap House" zum Start ihrer Europa-Tour Anfang Juni in Berlin. Diese Begeisterung teilen viele US-Amerikaner, die Deutschlands Hauptstadt für sich entdecken. Viele von ihnen bleiben nach ihrem ersten 72-Stunden-Trip schließlich eine ganze Weile länger: Aktuell leben in Berlin immerhin rund 20.000 US-Amerikaner.

Mit dem Deutschlandjahr, das 2019 in den USA begangen wird, fördert Deutschland ein Jahr lang seine kulturellen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten. Als sie im Live-Podcast ihre positiven Eindrücke von ihrer Zeit in Berlin vortrugen, verstärkte das Team von "Chapo Trap House" unwissentlich den Trend. 

Mythos Berlin

Die Tatsache, dass Berlin mit seiner turbulenten Geschichte das Epizentrum des 20. Jahrhunderts war, hat viele Ausländer - nicht nur US-Amerikaner - dazu inspiriert, die Stadt aufzusuchen. "Zerstört, geteilt und eingesperrt in einem Jahrhundert, das von Chaos und Umbrüchen geprägt war, ist Berlin bis heute eine Stadt geblieben, in der Herumtreiber, Träumer und Außenseiter einen Platz finden - und endlich frei herumlaufen können", schreibt DW-Autor Stuart Braun in seinem Buch "City of Exiles".

Viele internationale Künstler und Intellektuelle haben in Berlin gelebt. Unter ihnen: Iggy PopDavid Bowie, Susan Sontag oder Nan Goldin. Ihre öffentlichen Auftritte haben dazu beigetragen, Berlins Image einer freigeistigen Stadt zu festigen. 

In den 1990er Jahren zog die wiedervereinigte Stadt Hausbesetzer, Künstler und DJs an, die es verstanden, die leerstehenden Brachen nach dem Fall der Mauer in anarchische Kulturräume zu verwandeln. Unter ihnen waren New Yorker, die die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Metropolen erkannten.

Howard Katz
Hat in Berlin eine neue Heimat gefunden: der Musiker Howard KatzBild: Sven Hagolani

"Ich war hier zu Besuch, nachdem die Mauer gefallen war. Berlin versprühte so eine raue Energie, die New York in den 1970er und 1980er Jahren hatte", sagt Howard Katz, ein Choreograf, Performer, Musiker und Heilpraktiker, der in New York geboren wurde und in den 1990er Jahren entschied, in Berlin leben zu wollen. "Es gab viel Platz. Alles war offen und verrückt. Ich konnte mich auf all diese kuriosen Sachen und Menschen einlassen." Auch wenn diese alternative Szene Berlins heute nicht mehr das ist, was sie einmal war, gilt die Stadt noch immer als Zufluchtsort, an dem man der aktuellen US-Politik entfliehen kann.

Zuflucht vor der US-Politik

"Wir haben unsere Wohnung an dem Tag, an dem Trump vereidigt wurde, offiziell verlassen", sagt Alana Range, die sich mit ihrer Partnerin entschlossen hat, nach einem dreimonatigen Stipendium im Jahr 2016, ein zweites Büro für ihre in Brooklyn ansässige Agentur in Berlin einzurichten. "Es war ein lustiges Timing, aber schon auch zielgerichtet, denn es ist total frustrierend, an einem Ort zu leben, an dem so stark polarisiert wird - auch wenn New York eine Blase ist, in der man vor alldem sicher ist."

Alana Range -  Kreativdirektor von Radish Lab
Alana Range ist Kreativdirektorin und will in Berlin bleibenBild: Privat

Doch auch schon 15 Jahre vor Trumps Wahl zum Präsidenten der USA haben die Terroranschläge von 2001 New Yorker dazu gebracht, die Stadt an der Ostküste für Berlin zu verlassen: "Ich habe versucht, nach New York zurückzukehren. Das war ein paar Wochen vor dem 11. September - und das hat für mich nicht funktioniert. Die Stadt wurde danach geschlossen", sagt Katz, der später dauerhaft in die deutsche Hauptstadt zurückkehrte.

Entspannter leben und arbeiten

Einige Auswanderer lieben Berlin wegen ihres Nachtlebens, andere wiederum loben das entspannte Tempo. Für Range fühlt sich Berlin an "wie das Gegenteil von New York, wo die Leute denken, dass du tot bist, wenn du dich nicht 24 Stunden am Tag quälst und auf eine E-Mail mit 45 Minuten Verspätung reagierst".

Gewitter über Berlin
Berlin elektrisiert die New YorkerBild: picture-alliance/dpa/R. Guenther

Berlin sei für sie wie eine Art Airbag, ein weiches Kissen, auf dem man sich gut ausruhen kann. Vor allem die Einstellung gegenüber ihrer Arbeit sei grundlegend anders als in New York. "Arbeit ist für Berliner nur Arbeit." Eine gesunde Haltung, die US-Amerikaner ihrer Meinung nach sehr selten einnehmen. Einzig der Sonntag, an dem die Geschäfte geschlossen sind in Deutschland, sei für sie sehr gewöhnungsbedürftig gewesen, sagt sie. Selbst in der gehypten Start-up-Szene ginge es langsamer zu als in den USA. Viele kämen schlicht, um dem Stress in ihrer Heimat zu entfliehen.

Gentrifizierung greift in Berlin weiter um sich

Es ist wie immer ein Dilemma: Expats kommen, weil sie in Berlin eine bessere Work-Life-Balance vorfinden, gleichzeitig treiben ausgerechnet sie die Mieten in die Höhe, weil sie zahlungskräftig sind. Eine unheilvolle Dynamik.

Howard Katz, der seit den 1990er Jahren unmittelbarer Zeuge der Veränderung von Berlins alternativer Kunstszene war, will sich trotzdem nicht beschweren. Vielmehr ermutigt er die Menschen, sich für die Gestaltung eines Berlins zu engagieren, das sie wollen. Zu diesem Zweck kreiert er in Berlin seine eigenen neuen Freiräume. 2017 eröffnete Katz mit seinem Partner den "Q Space", einen Proben- und Aufführungsort im Ostberliner Stadtteil Pankow. Für ihn ist alles genau richtig: "Ich liebe Berlin", sagt er. "Und ich liebe die Veränderungen hier."