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Mäuse ziehen Babys mit der besten Freundin groß

Brigitte Rohm
25. September 2018

Hausmäuse sind soziale Tiere. Aber fremden Nachwuchs mitzusäugen, hört sich aus evolutionärer Sicht schon reichlich unsinnig an. Mäuse-Freundinnen tun es trotzdem.

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Zwei Gruppen Hausmäuse (Bild: picture-alliance/Wildlife/A.Visage)
Bild: picture-alliance/Wildlife/A.Visage

Ein Nest, zwei Mamas, viele Babys – und Milch für alle: So sieht gelebte Solidarität unter Mäusemüttern aus. Die Tiere schaffen häufig ein gemeinsames Nest, um ihren Nachwuchs partnerschaftlich aufzuziehen. Allerdings können sie dann nicht mehr zwischen ihren eigenen und fremden Jungtieren unterscheiden – und säugen beide gleichermaßen. Dieses Verhalten der Hausmaus zeugt von außergewöhnlicher Kooperation. Denn Milch ist kostbar. 

Die Milchproduktion, die sogenannte Laktation, ist für die kleinen Säugetiere eine extreme körperliche Belastung. Auf dem Höhepunkt der Säugezeit muss eine Mutter, die selbst ein Blutvolumen von nur vier Millilitern hat, für einen fünf- bis achtköpfigen Wurf acht bis neun Milliliter Milch produzieren – jeden Tag. Evolutionsbiologisch wäre es unklug, das wertvolle Gut an fremde Nachkommen zu verschwenden.

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Die Modelle sprechen dagegen – aber die Nager kooperieren doch!

Und tatsächlich stürzt die Zusammenarbeit bei der Brutpflege die Mäuse in ein soziales Dilemma. Sie produzieren die Milch nämlich entsprechend der Gesamtanzahl der Babys im Nest: Wenn eine Maus also acht Junge hat und die andere vier, produzieren beide Mäuse Milch für sechs. Das bedeutet für die Mutter mit dem kleineren Wurf, dass sie überproduziert, während die mit dem größeren Wurf einen Vorteil hat – sie nutzt die andere Maus aus. 

Ein Mäuseweibchen säugt ihre Jungtiere (Bild: picture-alliance/Arco Imags/Tuns)
Bei Mäusen wird die Milch geteilt - und nicht nur unter Geschwistern. Auch die Babys der Nestkumpanin werden mitgesäugt.Bild: picture-alliance/Arco Imags/Tuns

Diese scheinbar selbstlose Unterstützung anderer Mäusekinder widerspricht eigentlich der geltenden evolutionsbiologischen Lehre. "Die Modelle sagen deshalb alle voraus, dass es keine Kooperation gibt oder dass sie zusammenbricht, weil sie nur zu Ausnutzung führt", erklärte Barbara König, Professorin für Zoologie an der Universität Zürich auf der jüngsten "Aber die Mäuse kooperieren trotzdem!" 

Mäuseweibchen sind sozial, aber wählerisch

Die Verhaltensbiologin hat sich auf das Sozialverhalten von Mäusen spezialisiert. Sie versucht herauszufinden, welche Erklärung es für die Kooperation der Tiere gibt. Und sie möchte herausfinden, wie die Mäuse trotz des sozialen Dilemmas von der Kooperation profitieren können. 

In Laborexperimenten zeigte sich bereits, dass sich die Weibchen einen sozialen Partner aussuchen und dabei sehr wählerisch sind: 73 Prozent haben eine "beste Freundin", wenn man bei Mäusen von Freundschaft sprechen will. Dürfen sie mit dieser gemeinsam in einem Nest ihre Würfe großziehen, haben die Mütter gemeinsam einen höheren Fortpflanzungserfolg.

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Beobachtung von frei lebenden Mäusen

Da die sozialen Situationen im Labor zu stark vereinfacht sind, startete Königs Forscherteam eine aufwendige Langzeitstudie mit frei lebenden Mäusen. Die Wissenschaftler haben dazu einen 72 Quadratmeter großen Lagerraum in der Nähe von Zürich zur Versuchsanlage umfunktioniert. Im Durchschnitt leben dort 80 bis 90 Mäuse mit ihrem Nachwuchs und können sich dort frei bewegen. "Unser Vorteil ist, dass wir diesen guten Zugang haben, um die Mäuse zu beobachten und wir mit Hilfe von Technologien sehr viel über ihr Verhalten rauskriegen können, ohne sie dabei zu stören", sagt die Biologin.

Die Mäuse-Versuchsanlage der Universität Zürich (Bild: Universität Zürich/Barbara König)
In diesen 72 Quadratmeter großen Lagerraum sind knapp 90 Mäuse eingezogenBild: Universität Zürich/Barbara König

Ihre erste wichtige Erkenntnis: Mäuse ziehen ihre Jungen viel öfter zu zweit auf, als die Forscher erwarteten. Etwa 40 Prozent der Würfe wachsen in solchen Gemeinschaftsnestern heran. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Mäusemamas dafür entscheiden, steigt mit den vorhandenen Optionen: Je mehr andere Weibchen gerade Junge zur Welt gebracht haben, desto eher schließen sich zwei von ihnen zusammen.

Die Babys der Partnerin müssen jung sein

"Für uns war überraschend, wie sie sich individuell an ihre soziale Umgebung anpassen können und dann abhängig davon jeweils das Verhalten zeigen, das ihnen momentan den größten Vorteil gibt", erklärt König.

Die Mäusemütter wählen ihre Partnerin keineswegs zufällig aus. Ein entscheidender Faktor ist dabei das Alter des Wurfs ihrer Nestgenossin – gewöhnlich waren die Jungen weniger als fünf Tage alt. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Mütter in den ersten Tagen nach der Geburt das Nest am aggressivsten gegen Eindringlinge verteidigen müssen. Die Würfe wären somit besonders gut geschützt.

Nager-Partnerschaft braucht Vertrautheit und Vertrauen

Der zweite wichtige Faktor für die Entscheidung ist die Zeit, die die beiden Weibchen zuvor gemeinsam verbracht haben – auch schon während der Schwangerschaft. Denn dadurch sammeln sie Informationen übereinander. Mäuseweibchen umgeben sich vor allem mit Artgenossinnen, die ihnen genetisch ähneln.

Königs Team fand jedoch heraus, dass eine direkte Verwandtschaft bei der Nestpartnerwahl keine übergeordnete Rolle spielt. Im Hinblick auf das Überleben des Nachwuchses ist es sogar von größerem Vorteil, wenn die beiden Tiere keine Schwestern sind, aber zusammen in einem Nest aufgewachsen sind.

"Unsere These ist: Diese Sozialpartnerwahl erlaubt ihnen, das Risiko zu minimieren, ausgenutzt zu werden", sagt König. Gemeinsame Brutpflege kann von Vorteil sein, wenn die Partner das Nest gemeinsam warmhalten, vor Feinden schützen und die körperliche Belastung durch die Milchproduktion reduzieren. Doch um eine stabile Kooperation einzugehen und erfolgreich zu zweit eine kleine Mäuseschar großzuziehen, braucht es Vertrautheit und Vertrauen. Das geht am besten mit der besten Freundin.